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Ausgabe: | Januar/2013 |
Spalte: | 97–98 |
Kategorie: | Praktische Theologie |
Autor/Hrsg.: | Gerhards, Albert |
Titel/Untertitel: | Wo Gott und Welt sich begegnen. Kirchenräume verstehen. |
Verlag: | Kevelaer: Butzon & Bercker 2011. 200 S. m. Abb. 21,5 x 13,5 cm. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-7666-1545-9. |
Rezensent: | Franz-Heinrich Beyer |
Innerhalb der protestantischen Theologie wird die Frage, ob es eine Theologie des Kirchenraumes gibt bzw. geben könne, eher zurückhaltend, wenn nicht gar ablehnend behandelt. Dem steht das Phänomen einer zunehmenden Zahl von Veröffentlichungen gegenüber, die das Anliegen verbindet, den Kirchenraum in seiner historischen Entwicklung, in seiner Ausstattung und mit seinem didaktischen Potential beschreiben und erklären zu wollen. Diesem Anliegen sieht sich auch das vorliegende Buch verpflichtet, das einen mystagogischen Zugang zum Kirchenraum eröffnet, »um die Schulung der Wahrnehmung, um die architektonischen und künstlerischen Gegebenheiten mit den theologischen, liturgischen und spirituellen Ideen konfrontieren zu lernen« (14).
Der Autor Albert Gerhards, Liturgiewissenschaftler in Bonn, prägt seit Jahren maßgeblich das Gespräch um das Kirchengebäude mit seinen Veröffentlichungen, in denen er den Zusammenhang von Liturgie und Kirchenraum als grundlegend zum Verständnis sowohl für überkommene als auch für neu zu gestaltende Kirchenräume, aber auch für den Umgang mit »sterbenden Kirchen« herausstellt. Hier sind nun mehrere dieser an verschiedenen Orten erschienenen Beiträge überarbeitet und in der Struktur eines mystagogisch orientierten Kirchenführers angeordnet worden. Das Buch besteht aus zwei Teilen: einer »Grundlegung« sowie einem »virtuelle(n) Rundgang durch die Kirche«.
In der Grundlegung geht es u.a. um »Sakralität«, die nicht einem Raum eigen ist, sondern die aus dem Zusammenspiel theologischer Überlegungen, ästhetischer Gestaltung und liturgischer Praxis erklärt wird. Ausführlich behandelt G. dann das Verhältnis von Liturgie und Raumgestaltung. Der Begriff »Wegekirche« steht hier nicht für einen Bautypus; vielmehr kann er als fundamentale Beschreibung jedes Kirchenraums gelesen werden. Im folgenden Kapitel »Die Gestalt der Versammlung – Raum der Begegnung« werden Motive des vorangehenden Kapitels aufgenommen und vertieft. In dichter Form wird hier »Liturgie als vermittelte Christusbegegnung« ausgelegt. Die daraus erwachsenden Anforderungen an die Gestaltung des Kirchenraums werden ausführlich erwogen, in kontinuierlicher Bezugnahme und Auseinandersetzung mit Gestaltungen von Rudolf Schwarz und mit der Liturgiekonstitution des Konzils. Entsprechend gestaltete Kirchenräume sind geprägt durch das spannungsvolle Miteinander des »Tisch[es] des Wortes« und des »Tisch[es] des Brotes« sowie durch das spannungsvolle Gegenüber von »besonderem Priestertum« und von »allgemeinem Priestertum«. Wie sehr die Liturgie bzw. die Theologie des Gottesdienstes die Raumdisposition prägen kann und in welchem Maße die Disposition des Raumes die Theologie des Gottesdienstes auszudrücken vermag, das wird in diesem sehr dichten und instruktiven Kapitel vor Augen gestellt, wobei G. auch ausdrücklich auf ungelöste Fragen aufmerksam macht.
Der zweite Teil, der virtuelle Rundgang durch die Kirche, ist in seiner Struktur stärker einem Kirchenführer angepasst, reicht aber in Anspruch und Gehalt weit darüber hinaus. Nach den äußeren Gegebenheiten (Türme und Glocken; Kirchweg und Kirchplatz) behandelt G. ausführlich den »Schwellenbereich« (Eingang; Stufen; Pforte). Sodann wird der Kirchenraum in den Blick gerückt, indem zunächst die Plätze der Teilnehmenden am Gottesdienst, dann Taufort und Ort des Bußsakraments und schließlich »Ort(e) der Wortverkündigung« ausführlich beschrieben werden. Dabei werden alle diese einzelnen Bereiche nicht nur in ihrer historischen Entwicklung und Ausgestaltung in knapper Form geschildert, sondern konsequent in ihrer Bezogenheit auf liturgische Vollzüge bzw. auf kirchliche Dokumente vorgestellt. Besonders eindrücklich wird das in dem folgenden Teil über den Altar, gehört dieser doch traditionell zur Identität des katholischen Kirchenraums dazu: Der irdische Altar wird im Vollzug der Eucharistie zum Symbol des himmlischen Hochzeitsmahls und ist doch auf der Ebene der Raumdisposition Mitte der Gemeinde. G. sieht die zur Lösung anstehende Aufgabe bei der Raumgestaltung darin, »eine Mitte zu finden zwischen dem Anliegen, reale Gemeinschaft ( communio) durch eine konzentrische Versammlungsgestalt um den Altar erfahrbar zu machen, und dem Anliegen, die Öffnung der Gemeinde auf die noch ausstehende, vollkommene Gemeinschaft bei Gott zum Ausdruck zu bringen« (140 f.). Interessante Erwägungen zu der diakonischen Dimension von Kirchengebäude und Kirchenraum beschließen den Band.
Der Band enthält mehr als 60 Abbildungen, deren Auswahlkriterien, Platzierung und Funktion sich allerdings zu selten erschließen. Bezüge zu einem evangelischen Verständnis und einer entsprechenden Prägung des Kirchenraums finden sich nur ganz vereinzelt. Die Lektüre des anspruchsvollen Buches führt zu einem vertieften Verständnis des – allerdings ausschließlich katholischen – Kirchenraums. So wird eine Grundlage dafür bereitgestellt, Konvergierendes und Divergierendes in den konfessionell geprägten Kirchenräumen reflektiert wahrzunehmen.