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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

80–84

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Polkinghorne, John [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Trinity and an Entangled World. Relationality in Physical Science and Theology.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2010. XI, 215 S. 24,5 x 16,7 cm. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6512-0.

Rezensent:

Markus Mühling

Dieser aus einem von der Templetonfoundation veranstalteten Kongress hervorgegangene Aufsatzband beschäftigt sich mit einem wichtigen Thema nicht nur des gegenwärtigen Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaft, sondern auch einer fundamentalen Fragestellung gegenwärtiger theologischer Be­griffs- und Paradigmenbildung.
Sarah Coakleys Studie »Relational Ontology, Trinity and Sci­-ence« (184–199) gibt als Schlusswort des Buches darüber selbst Auskunft und versucht, die Beiträge des Buches selbst im Rahmen einer Geschichte relationaler Ontologie seit dem 20. Jh. zu verorten. Ihre Klassifikation wird allerdings nicht unwidersprochen übernommen werden können. Eine erste Welle der trinitarischen Renaissance geht zwar von Lossky, Barth und Rahner aus, dürfte aber weniger eine generelle antiaufklärerische Frontstellung besitzen, sondern kann eher als Entdeckung der eigenen, perspektivischen und dennoch mit universalen Ansprüchen ausgestatteten Vernunft der Theologie verstanden werden. Die darauf folgende zweite Welle der trinitarischen Renaissance manifestiert sich zwar wesentlich seit Mitte der 1980er Jahre um die Theologie von John Zizioulas und ist als eine Betonung relationaler Kategorien vor substanzhaften und atomistischen Kategorien zu charakterisieren. Allerdings bilden Zi­ziou­las und der von Coakley auch genannte Moltmann nicht den einzigen Bezugspunkt, sondern mindestens hätten die trinitarischen Theologien von Pannenberg, Jüngel und Jenson hier auch genannt werden müssen. In diesem Falle hätte Coakley beobachten können, dass hier nicht einfach die Frontstel lungen des Relationalen gegenüber dem Individualistischen, des Östlichen gegen das Westlich-Augustinische vorherrscht, sondern Relationalität insgesamt schon als eine Kategorie verstanden wird, die gerade gleichursprünglich und nicht einfach vorgängig gegenüber hypostatischen und personalen Kategorien verstanden werden kann. Entsprechend wäre Coakleys Kennzeichen einer dritten Welle der trinitarischen Renaissance, die diese Gleichursprünglichkeit be­hauptet und die traditionelle scharfe Distinktion zwischen Ost und West als Typisierung durchschaut, nicht selbst als dritte Welle zu sehen, sondern gehört zu dieser zweiten Welle schon integrativ hinzu. Faktisch existiert aber gegenwärtig eine dritte Welle trinitarischer Renaissance, deren Kennzeichen darin besteht, auf Basis der als on­tologisch und epistemologisch grundlegend erkannten Relationalität nach weiteren Differenzierungen zu fragen: Relationalität allein ist ein Sammelbecken für alle möglichen Vorstellungen; daher kann eine relationale Ontologie nur leistungsfähig sein, wenn angegeben werden kann, was darunter sinnvoll verstanden werden soll. Dieser Hauptaufgabe der dritten Welle der trinita­rischen Renaissance sind die Diskussionen dieses Bandes als Ganzes gewidmet, mit der Be­sonderheit, dass konsequent im Dialog mit Relationa­litätsverständnissen der Naturwissenschaften ge­fragt wird. Trotz der Partizipation von Autoren aus dem kontinentaleuropäischen und deutschsprachigen Bereich zeigt das Buch aber bedauer­licherweise eine deutliche Separation des englischsprachigen vom deutschsprachigen theologischen Diskurs. Letzterer erscheint nämlich kaum, und zwar auch dann nicht, wenn er durchaus er­hellende Einsichten hätte bieten können.
John Polkinghornes Beitrag »The Demise of Democritus« (1–14) liefert einen Überblick all jener Bereiche der Physik, in dem relationale und holistische Kategorien unverzichtbar erscheinen und nicht einfach als gegenüber atomaren Konzepten derivativ verstanden werden können (Feldtheorien, Raumzeit, Nichtlokalität, die Suche nach GUT’s, verwandte Kausalitätskonzepte, Emergenz u.a.). Polkinghorne kommt dabei zu dem Schluss, dass es sich jeweils weder um ein einheitliches Relationalitätskonzept handeln kann noch um verschiedene Spezies eines Genus, was schon aufgrund der offensichtlich nicht kompatiblen Relationalitätsverständnisse von klassischen Feldtheorien und der Nichtloka­-li­tät der Quantenmechanik ausgeschlossen ist, sondern dass es sich eher mit Wittgenstein um Familienähnlichkeiten der Konzepte handelt. Mit der Theologie ergeben sich nach Polkinghorne fruchtbare Diskussionsmöglichkeiten, da er hier die Relationalität in der Trinität grundgelegt sieht, so dass für »the Christian« gilt, »the true ›Theory of Everything‹ is Trinitarian theology« (12). Polkinghorne sieht dabei keine einfache Ableitung zwischen der perichoretischen Relationalität Gottes und der physikalisch eruierbaren Relationalität der Welt, sondern in beiden Bereichen parallele Entdeckungen, die ihn dazu kommen lassen, die Relationalität der Welt als ein »faint but distinct echo of the triune character of the creator« (13) zu betrachten, das dazu führt, dass beide, Theologie und Naturwissenschaft, jeweils in ihren Feldern nach der ähnlichen Grundfrage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit zu fragen haben.
Die beiden Artikel von Jeffrey Bub »The Entangled World: How Can It Be Like That?« (15–31) und von Anton Zeilinger »Quantum Physics: Ontology or Epistemology?« (32–40) beschäftigen sich mit dem Konzept der Verschränkung im Bereich der Quantentheorie. Bub entwickelt dabei eine informationstheoretische Interpretation der Quantentheorie, die aufgrund der Verschränktheit zum »no cloning« Prinzip kommt: »it is impossible to copy the information in an unknown quantum state« (26). Dieses Nichtreproduzierbarkeitsprinzip hat die gleiche grundlegende physikalische Bedeutung wie etwa die Nichtüberschreitbarkeit der Lichtgeschwindigkeit. Zeilinger liefert gleichsam die Begründung für diese Annahme. Er kommt ausgehend von einem strikt experimentellen Zu­gang zur Quantenmechanik und seinen eigenen bekannten Experimenten zur sog. Quantenteleportation zur These, dass »it is impossible to build an ontology of the individuals, but it is possible to build an ontology of relations« (36), so dass im Rahmen der Quantentheorie alle EPR-artigen Experimente als Ganze als individuiert verstan-den werden müssen. Zeilinger kommt schließlich zu dem Schluss, dass die Unterscheidung von Ontologie und Epistemologie, von Realität und Information, von Sein und Wissen aufgegeben werden muss. Vielmehr seien beide ähnlich Berkeleys »esse est percipi« zwei Seiten einer Medaille.
Michael Heller plädiert in »A Self Contained Universe?« (41–54) für eine neue kosmologische Sicht auf der Basis nichtkommutativer Geometrie, in der die Raumzeit als Ausdruck einer fundamentaleren physikalischen Realität er­scheint. Die Idee, dass sich die Welt damit gewissermaßen selbst enthält, wird schließlich einer theologisch panentheistischen Deutung unterzogen, indem er meint, »the mathematical structure of the world is but an aspect of the »mind of God« and as such it should be self-contained in the ontological sense.« (53 f.).
In seiner philosophischen Argumentation versucht Wesley J. Wildman in »An Introduction to Relational Ontology« (55–73) verschiedene Formen von Relationalität zu klassifizieren und kommt zu dem Schluss, dass Relationalität in allen Formen als Kausalität verstanden werden könne, so dass »both, entities and relations co-emerge […] out of an ontologically fundamental flux of causes« (71), der allerdings selbst werthafte Kategorien beinhaltet. Wildman versucht daher, anders als Polkinghorne, alle Formen von Relationalität in Form einer klassischen fundamentalistischen Theorie zu begründen – ein kühner Versuch, der zu Recht von Seiten Coakleys innerhalb des Buches bestritten wird.
Panos Ligomenides plädiert in »Scientific Knowledge as a Bridge to the mind of God« (74–92) für ein pantheistisch-spinozistisches Wirklichkeitsverständnis und eine Reduktion von Religionen auf ihre vermeintliche Essenz der Spiritualität.
In »Relational Nature« (93–106) schlägt nun Argyris Nicolaidis ein einheitliches Verständnis unterschiedlicher relationaler Phänomene der Wirklichkeit vor, die er aber nicht einfach pantheis­tisch oder panentheistisch zu deuten versucht, sondern mit Hilfe des Peirce’schen Paradigmas und in Konkordanz zur Theologie zu verstehen sucht. Ausgehend von Peirces Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit sowie von Peirces Grundeinsicht, dass ein Gegenstand durch nichts anderes als die Summe der Relationen definiert ist, in der er steht, unterscheidet Nicolaidis die welthafte Entwicklung sowohl auf anankastischer (notwendiger), tychas­-tischer (zufälliger) und letztlich auf agapastischer Evolution beruhend, so dass die nicht reduzierbaren dreistelligen Relationen der Welt im Peirce’schen Sinne als ein Ikon des dreieinigen Gottes verstanden werden können: »Agape then is something more than an emotional state or sentimental experi­ence, it is the very principle of existence« (106).
Mit »The Holy Trinity: Model for Personhood in Relation« (107–129) startet Kallistos Ware die Serie aktueller theologischer Debatten hinsichtlich des Relationalitätsbegriffs. Ware zeigt, dass die ty­pologische Entgegensetzung des relational denkenden Ostens und des individualistisch denkenden Westens historisch so nicht aufrechterhalten werden kann, da sich zur Modellierung der Trinität auch bei den Kappadoziern nicht nur relationale und soziale, sondern auch individualistische Bilder finden, die der augustinischen Trinitätslehre nahe stehen. Wenn auch Wares Notizen für An­zeichen umgekehrter Tendenzen bei Augustin in Form eines interpersonalen Paradigmas wechselseitiger Liebe (119) weniger überzeugend sind, ist sein Verweis auf Richard von St. Victor und dessen Einfluss auf die russische Orthodoxie doch nicht anzuzweifeln (121–123). Kallistos endet, indem er auf die relationale Konstitution des Menschen als Bild der Trinität verweist, »Precisely be­cause God is Trinity, I need you in order to be myself« (127), und Sartees »L’enfer, c’est les autres« mit T. S. Eliots »What is hell? Hell is oneself/Hell is alone, the other figures/Merely projections« zu­rück­weist.
Lewis Ayres diagnostiziert in »(Mis)adventures in Trinitarian Ontology« (130–145) das Problem des Kurzschlusses, von einer trinitarisch-relationalen Gotteslehre unvermittelt auf eine relatio­nale Ontologie der Welt zu schließen. Um das Verhältnis der ge­schöpflichen Gemeinschaft und der göttlichen Gemeinschaft besser in den Blick bekommen zu können, schlägt er keine strikte kategoriale Konstruktion einer relationalen Ontologie vor, sondern eine anagogische Bewegung, die des Menschen gegenwärtigen Stand auf dem Weg berücksichtigt, christologische und ekklesiologische Aspekte genauso wie den exegetischen Befund mit einbezieht und von einer »ongoing sanctification« (145) getragen ist.
John D. Zizioulas gibt in »Relational Ontology: Insights from Patristic Thought« (146–156) eine kurze Zusammenfassung seiner Theologie, die die zweite Welle der trinitarischen Renaissance mitgeprägt hatte. Zizioulas schließt, indem er die ethische und alltägliche Relevanz relationalen Denkens betont, das nicht auf die Gotteslehre und physikalische Ontologien beschränkt bleiben dürfe, weil relationales Denken zu Recht die Grenze zwischen Ontologie und Ethik einreißt, so dass »an existence of communion in otherness, is not a matter of our bene esse but of the very esse of ourselves and of the world in which we live (156)«.
David Martin setzt in »A Relational Ontology Reviewed in Sociological Perspective« (168–183) die Entwicklung einer trinitarischen Ontologie und Anthropologie in ein Verhältnis zu verschiedenen sozialen Phänomenen und ihren soziologischen Deutungen, die nicht nur die »shared imago dei«, sondern auch deren Entfremdung widerspiegeln (178), so dass eine relationale Ontologie nicht ohne eine Eschatologie zu denken ist.
Soweit wie referiert, veranschaulicht das Buch den gegenwärtigen Stand der dritten Welle der trinitarischen Renaissance bzw. des relationalen Denkens: Man ist sich über die fundamentale Rolle der Relationalität bewusst, und sucht nach Möglichkeiten, fruchtbringende Distinktionen in den Relationalitätsbegriff einzuführen, um nicht vor einer differenzlosen All-Relationalität enden zu müssen. Einige der Beiträge versuchen dies durch Rückführung auf determinierende Theorien, andere gehen strikt theologisch vor, andere sprechen, mehr sympathisch, von Familienähnlichkeiten unterschiedlicher Relationalitätsbegriffe. Inspirierende Ansätze zu einer differenzierten Betrachtung von Relationalität finden sich viele.
Allerdings würde dieses Buch nicht viel mehr als ein Ausdruck dieser gegenwärtigen Lage der dritten Welle relationalen Denkens darstellen, gäbe es nicht zwei kleine Ausnahmen, die für die Zu­kunft relationalen Denkens in wichtige Richtungen weisen: Einerseits weist Sarah Coakley auf die Wichtigkeit sowohl der Rezeption relationslogischer Kategorien als auch auf eine Aufnahme der philosophischen Debatte um interne und externe Relationen hin (195 f.), ohne diese freilich selbst fruchtbar zu machen. Andererseits hält Michael Welker in seinem kurzen Artikel »Relation: Divine and Human« (157–167) Einsichten fest, hinter die eine relationale Denkweise nicht zurückgehen können wird: erstens: Nicht Relationalität und die Beziehungspunkte (Sein, Hy­postasis, Ich, Du, Subjekt, Objekt, Entität etc.) bilden die Grunddistinktion. Vielmehr ist die Unterscheidung von Relation und Relat eine relative: Was auf der einen Ebene als Relat erscheint, ist auf der anderen Ebene selbst als Relation zu verstehen. Diese Einsicht ist wichtig, weil sie einerseits an der wichtigen Entde­ckung der Gleichursprünglichkeit von Relation und Relat festhält, diese aber nicht dahingehend missversteht, als handele es sich um die gleiche Basalität zweier komplementärer Begriffe, Beziehung und Beziehungspunkt. Diese Einsicht findet sich schon bei Richard von St. Victor und wird von Welker hier unter Rückgriff auf Whitehead und ge­genwärtige em­pirische Forschung an frühkindlicher Entwicklung wieder aktualisiert. Zweitens schlägt Welker vor, im Bereich der Relationalität zwischen Beziehungen und Verbindungen zu un­terscheiden. Verbindungen sind lose, ungeordnet, ihnen fehlt das Element der Identität. Welker beschreibt eindrücklich an Beispielen die innere Komplexität schon der deiktischen Relation und kommt so zu dem Schluss, dass eine Beziehung erst dann gegeben ist, wenn eine »in­trinsic continuity, clarity, and definiteness« (160) bzw. eine »certainty of identity and continuity« (161) gegeben ist. Als Paradigma einer solchen Relation wird im geschöpflichen Bereich zu Recht die elterliche Liebe gesehen und letztlich die ökonomische Liebesbeziehung Gottes zum Menschen durch Christus und den Geist.