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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

72–74

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Plettscher, Stephan

Titel/Untertitel:

Die Selbstevidenz des Christusereignisses in der Geschichte. Die offenbarungstheologische Dimension der trinitarischen Aussagen bei Hans Urs von Balthasar.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. 449 S. 23,3 x 15,3 cm = Bonner Dogmatische Studien, 45. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-03136-7.

Rezensent:

Matthias Haudel

In Auseinandersetzung mit den offenbarungs- und trinitätstheologischen sowie anthropologischen Ansätzen des umfangreichen Werks Hans Urs von Balthasars versucht Stephan Plettscher, angesichts menschlicher Erkenntnisbedingungen die prinzipielle Erkennbarkeit des Christusereignisses herauszuarbeiten. Bevor die kritische Würdigung dieses Versuchs erfolgt, ist auf die grammatikalischen und stilistischen Defizite der von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommenen Dissertationsschrift (Wintersemester 2008/2009) hinzuweisen, die in defizitärer Form in den »Bonner Dogmatischen Studien« erschienen ist. Dadurch wird die Beschäftigung mit dem durchaus beachtenswerten Inhalt nicht gefördert.
Inhaltlich geht es P. um »die Frage nach der Vernehmbarkeit der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus durch den heutigen Menschen« (13). Deshalb befragt er Balthasars Entwurf nach den anthropologischen Voraussetzungen von Wahrheits- und Gotteserkenntnis, nach der universalen Offenbarungsqualität des Chris­tusereignisses, nach der Vergegenwärtigung dieses Ereignisses durch den Heiligen Geist und nach den ekklesiologischen Konsequenzen. Als Ausgangspunkt wählt P. Balthasars Konzept der Theo­dramatik, das Gott und Mensch in ihrer freiheitlichen Grundstruktur als Akteure des heilsgeschichtlichen gott-menschlichen Dramas abbildet (I. Kapitel): Weil der Mensch seine Freiheit als endliche Freiheit erfährt, die auf ein Ziel ausgerichtet ist, über das der Mensch aber nicht selbst verfügen kann, erfährt sich der Mensch als transzendent. So wird für den Menschen als interpersonal konstituiertes Geistsubjekt »das Angerufensein durch das Absolute ein wesentliches Konstitutivum« (63). Daher ist Wahrheit für Balthasar laut P.s Analyse immer an Geschichte und interpersonale Zusam­menhänge gebunden und verlangt deshalb die Bereitschaft des Menschen, sich für das Angerufensein zu öffnen – und zwar in der rezeptiven Haltung der Liebe. Aufgrund der Selbstverschließung des Menschen gegenüber dem Zuspruch Gottes bedürfe es der Befreiung des Menschen aus dieser Selbstbezogenheit, die Gott durch Inkarnation und Selbsthingabe als Mensch für die Menschen im Drama der Heilsgeschichte vollziehe. »Im Ernstnehmen dieser Grundpfeiler kann die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus nur dramatisch sein, weil es sich um eine Geschichte Gottes im Einsatz für seine Welt, letztendlich um ein Ringen zwischen unendlicher und endlicher Freiheit, zwischen Gott und seinem Geschöpf handelt.« (21) In seinem heilsgeschichtlichen Handeln erweise sich Gott weder als ferner und an der Welt unbeteiligter Gott noch als ein in den weltlichen Zusammenhängen aufgehender Gott, sondern als persönliches Gegenüber des Menschen. Das entspreche der intersubjektiven Konstitution des Menschen als Geistsubjekt. Für Balthasar lasse sich Gott deshalb einerseits – in Anlehnung an Karl Barth – nicht aus der weltlichen Erfahrung ableiten, aber andererseits bedürfe es auch der weltlichen Anknüpfungspunkte für die Gotteserkenntnis.
Vor diesem Hintergrund lässt P. die Selbstevidenz des Christus­ereignisses transparent werden (I. bis III. Kapitel), indem er den bei Balthasar aufgewiesenen Zusammenhang zwischen dem heilsgeschichtlichen Handeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist und deren innertrinitarischem Wesen in der Relevanz für das Heil des Menschen darlegt: Die heilsgeschichtliche liebende Hingabe des dreieinigen Gottes für die Menschen erwächst aus der gegensei­tigen kenotischen und sich verschenkenden innertrinitarischen Hingabe der trinitarischen Personen. Wie Gott in sich selbst die vollkommene Gemeinschaft hingebungsvoller Liebe ist, wendet er sich in solcher Liebe auch seinen Geschöpfen zu. Das erörtert P. sowohl im Blick auf die jeweiligen trinitarischen Personen als auch hinsichtlich des Kreuzesgeschehens, das nur in diesem Kontext angemessen zu verstehen sei. In Bezug auf den Sohn bedeutet das: Er vollzieht den Liebeswillen des Vaters in der Heilsgeschichte so, wie er innertrinitarisch die Liebesbewegung des Vaters in der Liebe des Heiligen Geistes beantwortet – und zwar in liebender Hingabe. »Auf diese Weise kann die paradoxe Struktur des irdischen Jesus, derzufolge [sic] in der Demutsgestalt des Knechtes (Phil 2,6–11) die Herrlichkeit Gottes offenbart wird, durch die innertrinitarische Hingabe einen Sinn erhalten« (67). Indem der Mensch gewordene Sohn Gottes so das wahre Wesen Gottes offenbart, kann er zugleich die wahre Bestimmung des Menschen zeigen, der sich aus der Selbstverschließung löst und sich Gott – und damit auch den Mitmenschen – in empfangender sowie hingebender Liebe öffnet. Das Kreuzesgeschehen offenbart diese Zusammenhänge in ihrer ganzen Tiefe. Am Kreuz erleiden Vater und Sohn im Tod die tiefste innertrinitarische Trennung, die im Heiligen Geist zugunsten des Lebens überwunden wird. Das geschieht für den Menschen, der dadurch aus der tödlichen Selbstverschließung wieder in die Gemeinschaft des Lebens mit Gott zu gelangen vermag. Angesichts der aktuellen Diskussion um das Verständnis des Sühnetodes Jesu bleibt anzumerken, dass in diesem trinitarischen Kontext deutlich wird: Es geht nicht um die Sühne für die Ehre des Vaters, sondern um die hingebungsvolle Liebe Gottes für die Menschen, der selbst deren Selbstverschließung sühnt.
Hinsichtlich des Verhältnisses von heilsgeschichtlich erkennbarer bzw. ökonomischer Trinität und immanenter Wesenstrinität verweist P. auf Balthasars Feststellung, in Jesus Christus sei »der einmalige Fall einer Identität von Zeugnisschaft und Sein der Wahrheit gegeben« (268). In diesem Zusammenhang benennt P. die Kritik Balthasars an Jürgen Moltmann, bei dem die immanente Trinität im Sog der Prozesstheologie in den Weltprozess verstrickt werde, was die Freiheit Gottes gegenüber der Welt in Frage stelle. Gleiches betone Balthasar im Blick auf Karl Rahner, der ökono­mische und immanente Trinität in einer Weise identifiziere, die die immanente Trinität zu einem formalen Selbstvermittlungsprozess werden lasse. Bei aller Zusammenschau von ökonomischer und immanenter Trinität sei auch an ihrer Unterscheidung festzuhalten, da nur so garantiert werde, dass sich Gott frei in seiner vollkommenen Liebe für die Menschen hingegeben habe.
So berechtigt P. diese Kritik Balthasars herausstellt, so schießt er doch über das Ziel hinaus, wenn er daraus schlussfolgert: »Es kann immer nur in analoger Weise von der immanenten Trinität gesprochen werden.« (77) Denn der Begriff der Analogie, den auch Karl Barth diesbezüglich zuweilen benutzte, beinhaltet die Gefahr der revelatorischen und soteriologischen Relativierung, weil er den wesensgemäßen Zusammenhang von heilsgeschichtlicher Gegenwart des dreieinigen Gottes und innertrinitarischem Wesen gefährdet. Nicht zuletzt hätte P. auch Balthasar kritisch befragen können, ob bei ihm nicht selbst die Gefahr einer unangemessenen Zuordnung von ökonomischer und immanenter Trinität besteht. Denn Balthasar zeigt die Tendenz, das Drama der sündigen Weltgeschichte als vorweggenommenes »Ur-Drama« zugleich in die immanente Trinität zu verlegen, was auch eine unangemessene Vermischung von immanenter Trinität und Weltgeschichte nach sich zieht, insofern als die kontingente menschliche Sündengeschichte und die freie Zuwendung Gottes auf diese Weise ebenfalls nicht angemessen zur Geltung kommen.
Die Wahrheit Gottes kann laut P. für Balthasar »immer nur eine trinitarische Wahrheit sein« (271), weil die Wahrheit des Vaters durch den Sohn ausgelegt wird, was wiederum der Auslegung des Heiligen Geistes bedarf (IV. Kapitel): Der Heilige Geist ist »der Deuter des Deuters des Vaters« (278), er führt vertieft in die von Christus bezeugte Wahrheit ein. »Wenn der Geist des Vaters und des Sohnes die Wahrheit des Vaters kennt, die der Sohn bezeugt, dann kann er nach von Balthasar im johanneischen Sinne auch der Geist der Wahrheit genannt werden.« (296) P. analysiert, wie Balthasar die unterschiedlichen passiven und aktiven Rollen von Sohn und Geist in den jeweiligen heilsgeschichtlichen Abschnitten darstellt, etwa die aktive Rolle des Geistes bei der Inkarnation des Sohnes oder die Sendung des Geistes durch den Sohn nach der Auferstehung.
Trotz vielfältiger Einblicke in das gegenseitige trinitarische Ge­füge des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes bleiben die Ergebnisse oft zu undifferenziert. Das liegt nicht zuletzt an der mangeln­den Wahrnehmung aktueller ökumenischer Studien und Ergebnisse zur Trinitätstheologie und ihren Im­plikationen. So kann P. schlicht feststellen, dass sich für Balthasar trinitätstheologisch allein das »Filioque« anbiete, ohne diese Aussage weiter zu problematisieren, was sich dann in der Analyse widerspiegelt. Der Geist tritt in seiner Funktion als trinitarische Person des Gebers nicht mehr hervor, sondern wird allein als Gabe von Vater und Sohn bezeichnet. Entsprechend werden beide als ein einziges Hauchprinzip des Geistes qualifiziert, der so lediglich als Frucht der Liebe von Vater und Sohn gilt. Deshalb kann P. auch davon sprechen, die Heilsgeschichte sei im Sohn objektiv vollendet. Die aktive Rolle des Geistes im Dritten Artikel als Vollender der Heilsgeschichte kommt so nicht angemessen zum Tragen. Diese extreme und den Geist faktisch subordinierende westkirchliche Filioque-Tradition ist mit ihren trinitätstheologischen und ekklesiologischen Konsequenzen ökumenisch längst überwunden. Um der Ergebnisse der Analyse willen hätte das hier nicht übergangen werden dürfen.
Das spiegelt sich auch im letzten Teil von P.s Analyse wider, der sich – von der Eucharistie ausgehend – den ekklesiologischen Konsequenzen der trinitätstheologischen Einsichten widmet (V. Kapitel). Zwar wird zu Recht dargelegt, dass der Geist in der Eucharistie das staurologische Heilsdrama Christi vergegenwärtigt, damit die Glaubenden das Heil Christi als Geistträger in der Welt verkünden, weshalb die Kirche kein Selbstzweck sei – zumal sie immer das Heil Christi als ihre eigene Grundlage durchscheinen lassen müsse. Aber aus der vornehmlich als Gabe qualifizierten Anbindung des Geistes an Christus resultiert eine Zusammenschau von Christus, Kirche und Amt, die den einzelnen Glaubenden zu sehr in den Hintergrund treten lässt, weil der Geist als Geber der Charismen aller Glaubenden vernachlässigt wird. Hinsichtlich des eucharistischen Opfers bleibt es in diesem Kontext bei der Zuordnung von Opfer Christi und Opfer der Kirche nach wie vor problematisch, denn der allein als Gabe verstandene Geist kann der Kirche leicht inhärent werden und verliert so seine Funktion als gebendes Gegenüber, was die empfangende Rolle der Kirche in der Eucharistie verdunkelt.
Insgesamt ist es P. gelungen, die offenbarungs- und trinitätstheo­logischen sowie anthropologischen Aussagen Balthasars für die Frage nach der prinzipiellen Wahrnehmbarkeit des Christusereignisses in der Geschichte – und damit auch heute – fruchtbar zu machen, zum Teil auch im Blick auf die Konsequenzen dieser Wahrnehmung. Die notwendige Berücksichtigung der vielfältigen ökumenischen Untersuchungen und Ergebnisse zu diesem Thema und eine angemessene formale Qualität hätten der Studie allerdings sehr gut getan.