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Ausgabe: | Januar/2013 |
Spalte: | 61–63 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Andresen, Carl, Mühlenberg, Ekkehard, Ritter, Adolf Martin, Schmidt, Martin Anton, u. Klaus Wessel |
Titel/Untertitel: | Die christlichen Lehrentwicklungen bis zum Ende des Spätmittelalters. Bearb. v. A. M. Ritter. Neuausgabe (1. durchges. Wiederaufl. v. Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität [1982; 2. Aufl. 1999]). |
Verlag: | Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. XXXVIII, 794 S. 24,0 x 17,0 cm. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-55026-7. |
Rezensent: | Anders-Christian Jacobsen |
Das Buch ist eine durchgesehene Wiederauflage der zweiten Ausgabe von dem Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1999. Diese Zweitausgabe war eine revidierte Ausgabe der Erstausgabe von 1982. Die Revision von 1999 bestand, was einige Kapitel angeht, in einer leichten Umschreibung (z. B. des ersten Teils des Buches), während andere Kapitel nur oberflächlich redigiert wurden, z. B. mit einer Revision der Bibliographie. Der Hauptredakteur der revidierten Ausgabe von 1999, Adolf Martin Ritter, legt die Gründe für die Revision in dem Vorwort der zweiten revidierten Ausgabe von 1999 dar, die wiederum in dieser Ausgabe des Buches (s. XIII–XV) unverändert wieder abgedruckt wurde. Das Buch ist daher in seiner Grundsubstanz identisch mit der ersten Ausgabe von 1982. Dieser Umstand lässt natürlich die Frage entstehen, ob es zweckmäßig ist, ein 30 Jahre altes Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte wieder neu herauszugeben. Ich werde versuchen, im Folgenden eine Antwort darauf zu geben.
Das Buch wird mit einem längeren Vorwort eingeleitet, das von Ritter für die zweite revidierte Ausgabe von 1999 geschrieben wurde. In diesem langen Vorwort legt Ritter dar, was der ursprüngliche Redakteur, Carl Andresen, unter Dogmengeschichte verstand; er präsentiert sein eigenes Verständnis davon; er legt die Kritik an der ersten Ausgabe dar; und er diskutiert eine Reihe genereller Fragen darüber, was Dogmengeschichte ist. Am interessantesten ist die Argumentation für Andresens Grundthese, dass Dogmen- und Theologiegeschichte im Zusammenhang erfasst und beschrieben werden müssen, um zu umgehen, dass sich die Dogmengeschichte zu spekulativ entwickelt, ohne Rücksicht auf die Entwicklung der generellen theologiehistorischen Entwicklung. Ritter weitet diese Argumentation dahingehend aus, dass dies auch das Verhältnis zwischen Dogmen- und Kirchengeschichte betrifft. Die Kirchengeschichte, die den generellen historischen Kontext mit einbezieht, ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für die Dogmengeschichte, da die Kirchengeschichte die Dogmengeschichte an der historischen Wirklichkeit festhält. Es hätte interessant sein können, wenn diese Diskussion auf den neuesten Stand gebracht worden wäre, z. B. indem man die Frage diskutiert hätte, inwieweit die Dogmenbildung lokal oder global sei. Wie eindeutig und universell sind z. B. die christologischen Dogmen der Urkirche in ihrer Entstehung und Interpretation?
Das Spannungsfeld zwischen dem globalen Anspruch des frühen Christentums und dessen vielartigen lokalen Ausformungen hat die Forschung der letzten Jahrzehnte im Bereich des frühen Christentums geprägt, wird aber in diesem Buch nicht prinzipiell reflektiert. Das Buch setzt ganz traditionell und ohne Diskussion eine uniforme dogmengeschichtliche Entwicklung bis zum Konzil von Chalcedon 451 und danach eine getrennte Entwicklung in der Ost- und Westkirche voraus. Die neuere Forschung zu den Anfängen des Christentums in den ersten Jahrhunderten deutet darauf hin, dass das Bild der dogmatischen und geschichtlichen Entwicklung des Christentums wesentlich komplexer ist: Die Entwicklung ist teils geprägt von einer viel größeren lokalen Vielfältigkeit, als es die Struktur dieses Buch zum Ausdruck bringt, und teils ist sie geprägt vom einem Netzwerk von ›globalen‹ Zusammenhängen, das oft die traditionellen Grenzen zwischen der Ost- und Westkirche überschreitet.
Andresens und Ritters Haltung, dass Dogmen- und Theologiegeschichte im Zusammenhang erfasst und beschrieben werden müssen, prägt den konkreten Inhalt des Buches in hohem Maße. Erstens wird der Dogmenbegriff sehr weit aufgefasst – Dogmen umfassen gemäß der Auffassung der Autoren nicht nur die zentralen urkirchlichen Dogmen über die Christologie und die Dreieinigkeitslehre, sondern auch andere entscheidende urkirchliche dogmatische Definitionen des neutestamentlichen Kanons und des kirchlichen Amtes. Zweitens sind diese dogmatischen Definitionen und eigentlichen Dogmenbildungen stets in ihrem theologiegeschichtlichen und zum Teil kirchengeschichtlichen Kontext beschrieben. Die Beschreibung der dogmengeschichtlichen Entwicklung umfasst somit sowohl generelle Beschreibungen des theologiegeschichtlichen Kontexts als auch Beschreibungen von Beiträgen einzelner bedeutungsvoller Theologen oder Gruppen von Theologen zur dogmengeschichtlichen Entwicklung. Die Dogmengeschichte unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten ist nach Meinung des Rezensenten das einzig Richtige, da Dog-men immer aus einem bestimmten theologie- und kirchengeschichtlichen Kontext entspringen und aus diesem heraus formuliert werden.
Das Buch besteht aus vier Hauptteilen: Der erste Teil (1–97) »Die Anfänge christlicher Lehrentwicklung« ist von Andresen geschrieben und von Ritter gründlich revidiert worden. Der zweite Teil (99–288) »Dogma und Lehre in der Alten Kirche« ist von Ritter geschrieben und 1999 revidiert worden. Der dritte Teil (289–410) »Dogma und Lehre in der Orthodoxen Kirche von Byzanz« wurde von Klaus Wessel geschrieben. Dieser Teil ist im Großen und Ganzen mit der Erstausgabe von 1982 identisch. Der vierte Teil (411–759) »Dogma und Lehre im Abendland« wurde von E. Mühlenberg geschrieben. In diesem Teil des Buches wurden im Vergleich zur Ausgabe von 1982 auch nur in sehr begrenztem Ausmaß Änderungen vorgenommen. Das Buch ist außerdem mit einem Namen- und Begriffsregister sowie mit einem Abkürzungsverzeichnis versehen. Es ist nicht möglich, den Inhalt des Buches hier wiederzugeben. Es ist aber der generelle Eindruck des Rezensenten, dass alle Autoren des Buches ihre jeweiligen Perioden und Themen gut und einsichtsvoll durchgehen. Es gibt jedoch auch Abschnitte, die deutlich zeigen, dass die jüngste Forschung nicht mit einbezogen wurde. Obwohl der Abschnitt über Gnostizismus (59–64) in der zweiten Ausgabe von 1999 revidiert und auf den neuesten Stand gebracht wurde, basiert er teilweise immer noch auf der älteren Gnosisforschung (Bianchi und Jonas u. a.). Die neuere deutsche Gnosisforschung aus den 1990er Jahren (Löhr, Markschies und Klauck) wird jedoch mit einbezogen. Dagegen wird die neuere und jüngste nordamerikanische Forschung überhaupt nicht erwähnt. Selbst die am meisten überarbeiteten Abschnitte des Buches beziehen demnach die Forschung der letzten 15 Jahre nicht mit ein.
Die größte Schwäche des Buches ist es, wie bereits erwähnt, dass es sich im Großen und Ganzen nicht zur Forschung der letzten 30 Jahre innerhalb seines Gebietes verhält. Das fällt vor allem an den Bibliographien des Buches auf. Der weitaus größte Teil der Forschungsliteratur und der Ausgaben der Quellentexte, auf den hingewiesen wird, stammt aus den 1950er und 1960er, einiges aus den 1970er Jahren – also aus dem Jahrzehnt vor der Erstausgabe des Buches. Die Autoren haben also in der ursprünglichen Ausgabe versucht, sich zur neuesten Literatur auf dem Gebiet zu verhalten. In Verbindung mit der zweiten Ausgabe des Buches von 1999 sind die Bibliographien in begrenztem Umfang überarbeitet worden, während bei der Neuausgabe von 2011 überhaupt keine Überarbeitung der Bibliographien stattgefunden hat. Dies verringert den Wert des Buches als Nachschlagewerk ganz beträchtlich, da es keine Möglichkeit bietet, Zugang zur neueren und jüngsten Forschungsliteratur zu bekommen. Denn ist der Band auch 30 Jahre nach der ersten Ausgabe immer noch lesenswert, da seine Autoren Anfang der 1980er Jahre zu den besten Dogmenhistorikern der Zeit gehörten, wäre es jedoch sehr viel besser gewesen, wenn eine jüngere Generation von Forschern die Herausforderung angenommen und eine Dogmen- und Theologiegeschichte geschrieben hätte, die auf der Höhe der neuesten Forschung gewesen wäre.