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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

53–55

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Köpf, Ulrich, u. Dieter R. Bauer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kulturkontakte und Rezeptionsvorgänge in der Theologie des 12. und 13. Jahrhunderts.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2011. VIII, 396 S. 24,0 x 16,8 cm = Archa Verbi. Subsidia, 8. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-10222-0.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Der Band veröffentlicht die überarbeiteten Beiträge einer hochkarätig besetzten, aus erfahrenen Wissenschaftlern und jüngeren Nachwuchsforschern zusammengesetzten, interdisziplinären und internationalen Tagung, die im Frühjahr 2005 (!) in Weingarten stattfand. Aufgabe war es, Rezeptionsprozesse in der mittelalterlichen Theologiegeschichte unter dem Aspekt ihres Zustandekommens durch Kulturkontakte zu untersuchen. Die Tagung stand unter der kooperativen Leitung dreier angesehener Wissenschaftler, nämlich Ulrich Köpf (Tübingen), Dieter R. Bauer (Rottenburg-Stuttgart) und Reiner Berndt (Frankfurt). Die kurze Einleitung (VII–VIII) lässt knapp die schwierige und unglückliche Publikationsgeschichte des Tagungsbandes Revue passieren, die das auffällig späte Erscheinen der Beiträge erklärt: Umso erfreulicher ist es, dass es den Herausgebern am Ende gelungen ist, die Texte nun doch noch zu publizieren und so die Ergebnisse der Tagung einer über den Kreis der Teilnehmer hinausgehenden interessierten Leserschaft zu­gänglich zu machen.
Es war von vornherein klar, dass das Projekt exemplarisch würde arbeiten müssen, denn es kann nicht Ziel einer Tagung sein, die komplizierten Rezeptionsvorgänge des 12. und 13. Jh.s in ihrer Ge­samtheit zu erfassen. Umso erfreulicher ist es, dass die notwendige Auswahl nicht willkürlich getroffen wurde, sondern sich gezielt auf vier Überlieferungsstränge konzentriert hat, nämlich (a) auf die christianisierende Platonrezeption im Werk des Pseudodionys und die Rezeption des pseudodionysianischen Werkes, (b) auf die Re­zeption der Werke des Aristoteles sowie auf die Rezeption (c) jü­-discher und (d) islamischer Traditionen. Dabei machen die Beiträge selbst deutlich, dass diese Unterscheidung nur Schneisen ins Material zu schlagen und eine gewisse Ordnung herzustellen ge­eignet ist, denn die verschiedenen Stränge sind, wie Ulrich Köpf in seinem methodisch umsichtigen Aufsatz zum Rezeptionsbe-griff (1–16) mit Recht vermerkt, natürlich nicht voneinander zu trennen (13).
Aus den Beiträgen zu Themenbereich (a) ist der von Reiner Berndt herauszuheben, der bei den Viktorinern exemplarisch drei unterschiedliche Zugänge zu »Dionys« namhaft macht: die Betonung der Unnahbarkeit des Lichtes als Rezeption der Lichttheologie Dionys’ bei Hugo, die Aufnahme der Theorie der Schauungen aus der Himmlischen Hierarchie im Apokalypsekommentar Richards und schließlich die markante Erkenntnislehre des Thomas Gallus, die, das dionysische Denken durchaus erweiternd, einen schrifttheologisch orientierten Zugang zur Erkenntnis des absolut Verborgenen vertritt, der auf Passagen aus der Himm­-lischen Hierarchie rekurriert (17–44). Schlaglichtartig werden so theologiegeschichtlich relevante Folgen einer Rezeption des Dionys erkennbar. Der umfängliche Aufsatz von Hanns Peter Neuheuser (45–101) weist in einer kleinteiligen liturgiegeschichtlichen Analyse nach, dass die einschlägigen westlichen Autoren das Corpus Dionysiacum selektiv rezipierten und sich dabei vor allem auf As­pekte spiritueller Deutung konzentrierten, weniger auf Gebets-, Lesungs- oder Gesangstexte (88). Henryk Anzulewicz zeigt auf, wie die Illuminationslehre Augustins im Zuge der Rezeption des Pseudodionys, aber auch des Aristoteles und der Peripatetiker bei Albertus Magnus eine signifikante Neuinterpretation erfährt (103–126).
Zu Themenbereich (b) untersucht Pia A. Antolic das in Aristoteles’ »Lehre« von den vier Ursachen gründende Konzept von Kausalität und Schöpfung im pseudo-aristotelischen Liber de causis bzw. dessen Kommentierung bei Roger Bacon (127–155). Charles H. Lohr weist für das 12. und 13. Jh. Bedeutungsverschiebungen zwischen dem »arts«(ars)-Paradigma und dem »science«(scientia)-Paradigma unter dem Einfluss des Aristoteles nach (157–171), während Mikołaj Olszewski die Verarbeitung aristotelischer Erkenntnistheorie in den scholastischen Metatheologien des 13.Jh.s untersucht (173–191). Eher klassisch philosophie- und theologiegeschichtlich ausgerichtet sind die wichtigen Aufsätze von Rolf Darge zur Aristotelesrezeption bei Bonaventura und Thomas von Aquin (193–209) sowie von Mecht­hild Dreyer zur Aristotelesrezpetion von Albertus Magnus (211–226); beide Untersuchungen fügen diesen durchaus viel bearbeiteten Themen neue Aspekte hinzu und müssen bei der zukünftigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk dieser großen mittelalterlichen Autoren unbedingt berücksichtigt werden.
In Zeiten intensiver Debatten über kulturelle Vielfalt und Multireligiosität im Allgemeinen und im Speziellen können Aufsätze über die Rezeption jüdischer (c) und islamischer (d) Traditionen besonderes Interesse voraussetzen. Es ist den Autoren gelungen, hierzu an ausgewählten Beispielen aus dem Mittelalter historisch hochwertige Beiträge zu liefern. Rivka Basch arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der jüdischen und christlichen Exegese im mittelalterlichen Paris heraus (227–245), Ralf M. W. Stammberger die rabbinischen Auslegungstraditionen in der Exegese des Hugo von Sankt Viktor (247–261). Georg Steer untersucht die tiefgreifende Beziehung zwischen Meister Eckhart und Moses Mai­-monides und die inhaltliche Übereinstimmung beider Denker, was die Zusammengehörigkeit von Vernunft und Glauben angeht (263–278). Für den Themenbereich (d) weist der Beitrag von Lutz Richter-Bernburg für die islamischen Wurzeln lateinischen Denkens in eine ganz ähnliche Richtung (279–327). Transformationsprozesse im abendländischen Islambild des Hochmittelalters un­tersucht Matthias M. Tischler in einer groß angelegten Projekt­skizze, die vor allem auf sprachliche Übersetzungsleistungen als Faktor kultureller Transferprozesse rekurriert (329–379); im jüngst erschienenen, gemeinsam mit Michael Borgolte herausgegebenen Band »Transkulturelle Verflechtungen« (Darmstadt 2012) kann man nun bereits eine wesentlich weitergehende (und anders ak­zentuierte) Frucht dieser Arbeit bestaunen. Der abschließende Aufsatz von Gotthard Strohmaier über die islamische Antikenrezeption im Spiegel neuzeitlicher Ideologien (381–392) fällt zeitlich aus der in dem Sammelband behandelten Epoche in doppelter Weise heraus, bietet aber wichtige kritische Hinweise zur problematischen Wahrnehmung islamischer Traditionen in der Neuzeit und trägt so zur Reflexion der Theorie von Rezeptionsprozessen bei.
Das angehängte historische Personenregister hilft, zusätzliche Querverbindungen zwischen den einzelnen Aufsätzen aufzuspüren. Was man vermisst, ist ein Index der an dem Band beteiligten Verfasser mit Kurzinformationen über deren wissenschaftlichen Werdegang und wichtigsten Publikationen. Dies muss man sich nun recht mühsam selbst heraussuchen.
Insgesamt handelt es sich um einen beachtenswerten Band, der teils durch überblicksartige Darstellungen, teils durch Analyse größerer Ausschnitte von Rezeptionsprozessen und teils durch detaillierte Einzeluntersuchungen trotz seines naturgemäß exempla­rischen Vorgehens ein insgesamt vielfältiges und zugleich stimmiges Bild zeichnet, das uns die komplexen Rezeptionsvorgänge in der Theologiegeschichte des Hochmittelalters besser verstehen lehrt. Vor allem wird die unauflösliche Interdependenz zwischen Kulturbegegnung einerseits und »geistesgeschichtlicher« An- und Übernahme von Gedankengut andererseits deutlich, ein Phänomen, das im Grunde alle Rezeptionsvorgänge kennzeichnet, aber in der spannenden Umbruchzeit des 12. und 13. Jh.s besonders virulent war.