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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

45–47

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Sörries, Reiner

Titel/Untertitel:

Christliche Archäologie compact. Ein topographischer Überblick. Europa – Asien – Afrika.

Verlag:

Wiesbaden: Reichert 2011. 501 S. m. Abb. 24,0 x 17,0 cm. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-89500-792-7.

Rezensent:

Armin Bergmeier

Reiner Sörries legt mit »Christliche Archäologie compact« ein Werk vor, dessen Untersuchungsspektrum seinesgleichen sucht. Einer der ersten Einträge in dieser enzyklopädischen Publikation be­spricht das Bodenmosaik von Hinton St. Mary in Südengland, das durch die Präsentation im Londoner British Museum auch Forschern und Interessierten bekannt ist, die vor allem mit den Kernregionen der Christlichen Archäologie (Italien, östlicher Mittelmeerraum) vertraut sind. Der letzte Eintrag des Buches hingegen widmet sich einem Monument, das ungleich weniger bekannt sein dürfte: der frühmittelalterlichen Kirche von Debra Domo, einer der ältesten Kirchen Äthiopiens. In dieser großen Spann-breite, die selbst Indien umfasst, liegt eines der Verdienste die-ses Buchs. Der Blick auf die kulturelle Produktion christlicher Werke in Spätan­tike und Frühmittelalter wird erweitert und objektiviert.
S. erschließt dem Leser nicht nur die Peripherieräume der Spätantikeforschung (die seit wenigen Jahrzehnten in den Fokus ge­rückt sind), sondern sogar Räume jenseits dieser Peripherie. Um die Übersicht in der Fülle des Materials nicht zu verlieren, gliedert S. die in kurzen Paragraphen überblicksartig besprochenen Werke gemäß ihrer topographischen Verortung von Nord nach Süd und von Ost nach West (entlang der politischen Grenzen heutiger Staaten). Diese Aufteilung erleichtert den Vergleich zwischen räumlich nahen Bauten und Objekten und auf diese Weise hat der Leser die Freiheit, selbst Abhängigkeiten und Beeinflussungen zu erkennen. In der Einleitung formuliert S., er habe diese Form der unverbundenen Nebeneinanderschau der Monumente gewählt, um gerade keine interpretatorische Linie vorzugeben, wie es ältere Überblicks­werke häufig tun (vgl. Kitzinger, Ernst, Byzantine Art in the Mak­ ing. Main Lines of Stylistic Development in Mediterranean Art, 1977, oder Deichmann, Friedrich-Wilhelm, Einführung in die Christliche Archäologie, 1983). S. versucht mit dem Buch nicht zuletzt die Frage zu beantworten: Wie ordnen wir unser Wissen? – in einem Fach, dessen Spektrum sich in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches erweitert hat und das durch immer neue Funde stetig bereichert wird.
Allgemeingültige Urteile über die frühchristliche Kunst sind nur noch begrenzt möglich und werden häufig durch Einzelbefunde konterkariert. Als Ausweg aus dieser Problematik bietet sich an, den Untersuchungsraum stetig zu verkleinern und Einzelfälle zu betrachten oder – wie es S. tut – das Untersuchungsfeld größtmöglich auszudehnen, sich jedoch mit interpretierenden und strukturierenden theoretischen Konzepten zurückzuhalten. Ganz auf sich allein gestellt ist der Leser jedoch trotz allem nicht. Vor die Einzelbeschreibungen des jeweiligen topographischen Raums stellt S. einen einführenden Text, der hilfreich bei der Einordnung der historischen Situation ist. Zu einigen Abschnitten (z. B. Kleinasien) gibt er sogar Einblicke in die Wissenschaftsgeschichte, die bei der Beurteilung des Materials äußerst hilfreich sein können, jedoch im Hinblick auf den Umfang der Publikation meist zurück­ stehen müssen. In Kürze wird das Personenlexikon zur Christlichen Ar­chäologie von Stefan Heid und Martin Dennert (im Druck) diesem Desiderat Abhilfe schaffen und eine willkommene Ergänzung zur vorliegenden Publikation bilden.
Neben dem bereits Genannten ist ein weiteres Verdienst von »Christliche Archäologie compact« die starke Hervorhebung von transkulturellen Räumen, in denen Einflüsse mehrerer Kernregionen des frühen christlichen Kulturschaffens ineinander fließen. So teilt sich das Buch in vier große Abschnitte: Zunächst wird der Okzident untersucht (inklusive des Alpenraums und der heutigen Benelux-Staaten), gefolgt vom Orient, der Griechenland, die heutige Türkei, Zypern, den Nahen Osten und Ägypten umfasst. So­weit entspricht die Gliederung gängigen Aufteilungen der spätantiken Welt. Es folgt eine weitere Sektion zu »Transkulturellen Räumen«, in dem der Balkan und Nordafrika besprochen werden. Auch die stark von regionalen Einflüssen bestimmte Kunstproduktion der Iberischen Halbinsel wird an dieser Stelle behandelt. Der letzte Hauptteil des Buchs wird mit »Jenseits des Orients« überschrieben und widmet sich transkulturellen Räumen, die teilweise erst in der jüngsten Vergangenheit von der spätantiken Archäologie und Kunstgeschichte erschlossen wurden. Hierzu zählen noch hinreichend bekannte Regionen wie Armenien und Georgien, aber auch Mesopotamien, die Arabische Halbinsel und sogar China und Indien. Die Überlieferungslage und Beurteilung christlicher Artefakte in diesen Regionen aus dem 1. Jt. ist jedoch spärlich bzw. schwierig, da christliche Einflüsse sicher vermutet, jedoch nicht endgültig bewiesen werden können. Zahlreiche Kontakte mit der christlichen Kultur sind allerdings historisch belegt, nicht zuletzt durch das Werk des Cosmas Indicopleustes, des Indienfahrers.
In Anbetracht der topographischen Breite des Buchs ist das Fehlen jeglicher Karten äußerst schmerzlich. Auch dürfte man in einem Buch, das die Christliche Archäologie vor allem anhand von Bauten vorstellt, Grundrisse erwarten. Diese fehlen völlig, jedoch sind eine Reihe der Monumente durch Photographien illustriert. Neben Großarchitekturen liegt ein weiteres Augenmerk von S., Professor apl. für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte in Erlangen und Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, auf sepulkralen Räumen und Objekten. Dies erlaubt einen hervorragenden Vergleich der Begräbniskultur in den untersuchten Regionen. Darüber hinaus finden sich auch Einträge zu Orten mit einer ideellen Bedeutung für die Christliche Archäologie. So wird Jaffa (die Altstadt von Tel Aviv) als möglicher Ursprungsort der Jonas-Ikonographie genannt oder das Turiner Leichentuch exemplarisch für den Reliquienkult besprochen, der ja häufig seine Ursprünge in den ersten christlichen Jahrhunderten postuliert. Die lexikalisch geordneten Einträge erlauben eine schnelle Suche und Orientierung im Buch.
Der pauschalisierende Eindruck vieler einführender Texte und einzelner Einträge ist dabei dem Umfang des Materials und der notwendigen Kürze der Texte geschuldet. Einige Werke werden jedoch durchaus detailreich beschrieben, während sich der Leser bei einigen wichtigen Werken, wie etwa dem Kloster auf dem Sinai mit seiner erstaunlich gut erhaltenen Architektur, Mosaikausstattung und der Ikonen-Sammlung, eine ausführlichere Besprechung wünschen würde. Schließlich stellt sich die Frage nach der Zielgruppe dieses anspruchsvollen Projekts. Kurze Exkurse beleuchten schlaglichtartig zentrale Fragestellungen der Spätantikeforschung und dienen dem Interessierten zur Orientierung. Eine darüber hinausgehende Beschäftigung mit dem Material wird leider da­durch erschwert, dass weiterführende Literatur nur sparsam angegeben ist. Die vorliegende Publikation stellt einen wichtigen Markstein auf dem Weg zur Beantwortung der Frage dar, wie wir in dem sich stetig erweiternden Feld der Christlichen Archäologie unser Wissen ordnen wollen. S.’ objektiver topographischer Ansatz, von ihm als »Versuch« bezeichnet, ist in weiten Teilen zielführend, allerdings muss überlegt werden, ob nicht doch zukünftig mehr subjektive, interpretatorische Ansätze notwendig sind, um die Ordnung unseres Wissens zu gewährleisten. Solchen Versuchen bietet »Christliche Archäologie compact« eine denkbar profunde Grundlage.