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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1396–1398

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Oettler, Dietrich

Titel/Untertitel:

Sauerteig der Einheit. Der Beitrag der Theodramatik Hans Urs von Balthasars für die evangelisch-katho­lische Ökumene nach der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre.

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. XLVIII, 290 S. 23,0 x 16,5 cm = Erfurter Theologische Studien, 102. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-03373-6.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Wer die in Erfurt unter Leitung von Josef Freitag erstellte Dissertation von Dietrich Oettler aufschlägt, muss sich nach dem Inhaltsverzeichnis durch das Literaturverzeichnis blättern, bis nach fast 50 Seiten mit der »Problemanzeige« die Untersuchung selbst beginnt. So werden von Anfang an die zwei Textcorpora sichtbar, mit denen der Vf. sich beschäftigt und die er zueinander in Beziehung setzt: 1. offizielle kirchliche und zwischenkirchliche Dokumente zur Einheit der Kirche, beschränkt auf den katholisch-evangelischen Dialog; 2. die Werke Hans Urs von Balthasars zur Theodramatik, insofern sie nach Überzeugung des Vf.s der theologischen »Lockerung« (71) in der kontroversen Suche um die kirchliche Einheit dienen.
Die Dissertation ist äußerst sorgfältig strukturiert und formuliert. Die Notwendigkeit zur verantwortungsvollen Rechenschaft mag nicht zuletzt aus der kontextuellen Motivation hervorgehen, die der Vf., derzeit Kaplan in Bautzen, ausdrücklich nennt: Die Ar­beit entstand in einer »doppelten Diaspora« (J. Pilvousek; zit. 8) angesichts von 80 % Konfessionslosen und einer Minderheit von ca. 5 % Katholiken neben ca. 15 % protestantischen Christen.
Auf formaler Ebene lässt sich die Arbeit als Förderung des Re­zeptionsprozesses kirchlicher Dokumente bezeichnen. Auf inhaltlicher Ebene stehen eine Beobachtung und zwei Grundthesen im Zentrum:
1. Die Beobachtung: Das Ziel der vollen, sichtbaren Einheit der Kirche, zu dem sich 1961 in Neu Delhi der Weltkirchenrat bekennt, wird zunehmend unterschiedlich ausgelegt, ja von protestan­tischer Seite implizit oder explizit infrage gestellt. Den entscheidenden Perspektivenwechsel sieht der Vf. im Umkreis der 1973 verabschiedeten Leuenberger Konkordie, die zwei Argumentationsformen der Confessio Augustana VII (CA; 1530) miteinander verknüpft und auf dieselbe Ebene stellt: »genügend« (satis est) zur Kirchengemeinschaft sind die Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente, als »nicht notwendig« (nec necesse est) werden »menschliche Traditionen sowie Riten oder Zeremonien« genannt. In der Leuenberger Rezeption weitet sich das nec necesse est auf die sichtbare kirchliche Gestalt insgesamt aus, bei W. Lohff auch »auf die Übereinstimmung im Bekenntnisstand und in der Lehre« (19). Die ursprüngliche Frage nach der einen Kirche Jesu Christi wird zur Suche nach der innerreformatorischen Gemeinschaft transformiert, die im nächsten Schritt als »Einheitsmodell für die weltweite Ökumene unter allen christlichen Kirchen« auftritt (43).
2. Die theologische Schlüsselfrage sieht der Vf. im Verhältnis zwischen Grund und Gestalt der Kirche: In katholischer Sicht wird auf dem Hintergrund des II. Vatikanischen Konzils der Grund der Kirche in dem lebendigen Wort Gottes, der Person Jesus Christus gesehen, die durch das Wirken des Heiligen Geistes die Gestalt der Kirche in der geschichtlichen Kontinuität der Tradition trägt und bestimmt. Die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt geht einher mit deren sakramentaler Verbindung. Dem stellt der Vf. die protestantische Tendenz gegenüber, die Unterscheidung zur Trennung werden zu lassen, zum »Graben zwischen dem Grund der Kirche, Jesus Christus, und ihrer sichtbaren Gestalt« (32), die »allem Anschein nach, allein von Menschen, d. h. in menschlichem Zeugnis und menschlichem Dienst gestaltet« wird (33). Die Folgen für die Einheit der Kirche sind paradox: Einerseits wird die Schwelle für die Kirchengemeinschaft erheblich gesenkt, andererseits entstehen neue, auch innerprotestantische Exklusionen, da kein Element der kirchlichen Gestalt konstitutive Bedeutung haben darf. Folgerichtig wird in dem Dokument der EKD zur »Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis« (2001) die römisch-katholische Zielvorstellung der vollen sichtbaren Einheit der Kirchen als »nicht kompatibel« mit der reformatorischen Sicht deklariert (vgl. 54). Ebenso entsteht das Missverständnis, dass ein »differenzierter Konsens« wie die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« nach reformatorischer Sicht zugleich hinreichend zur Kirchengemeinschaft ist, während er in katholischer Sicht eine Methode des Dialogs, jedoch kein Modell für die Einheit der Kirche darstellt (vgl. 64).
3. Deskriptiv und normativ ist die These des Vf.s, wonach die Öffnung der Kirche für den größeren Horizont kirchlichen Lebens ad extra ihr Selbstverständnis ad intra beeinflusst und verändert und in neuer Intensität die Verantwortung für die innerkirchliche Gestalt der Einheit weckt. Zu der Bereitschaft, sich selbst im Dialog verändern zu lassen, gehört auch das Plädoyer des Vf.s für ein »kritisches Ringen« um das eigene Kirchenverständnis (vgl. 86), wobei die »notwendige Kritik« (100) eingeschlossen ist. Die Bereitschaft zum »langen Atem […] jenseits von Revolte und Resignation« (V) ist sein persönliches Bekenntnis zum ökumenischen Engagement und führt zur Suche nach einer Denkform, die »die absolute Heilsinitiative Gottes – das reformatorische Anliegen – und die freie Antwort des Menschen, wie sie sich im Raum der Kirche als Nachfolge zeigt, – das katholische Anliegen – in ihrer gegenseitigen Durchdringung und Verwiesenheit deutlich zu machen« vermag (113).
Den Mittelteil der Arbeit widmet der Vf. der Theodramatik Hans Urs von Balthasars – in der Annahme, hier die gesuchte Denkform für eine konsensfähige Vermittlung von Grund und Gestalt der Kirche zu finden. Trotz seines Umfangs (113–218) behält dieser Abschnitt den Charakter eines Exkurses, der mindestens ebenso viele Fragen aufwirft wie Antworten bereithält. Der Vorschlag des Vf.s, die Frage nach dem Verhältnis zwischen Jesus Christus und der Kirche in die Frage nach dem Verhältnis zwischen Jesus Chris­tus und den Christen zu verwandeln, kommt dem Ansatz Balthasars entgegen, bevorzugt Einzelgestalten in ihrer endlichen, doch real in Christus eröffneten Freiheit in den Blick zu nehmen, wie der Vf. archetypisch an Maria, Petrus, Johannes und Paulus aufweist.
Anstatt Perspektiven zu liefern, verdoppelt das Kapitel letztlich die Frage: Ein Gewinn für die Arbeit würde sich einstellen, wenn Balthasars Denkform den Übergang von der individuellen Beziehung der Christen zu Christus zur wechselseitigen Beziehung in der Gemeinschaft der Kirche aufweisen könnte. Gerade an dieser Schwelle benennt der Vf. jedoch behutsam, vielleicht allzu behutsam, seine Bedenken: Die Apostel werden als »exemplarisch Gesendete«, d. h. als Einzelne betrachtet, kaum jedoch in ihrer »Bedeutung als Zwölferkollegium und damit als Fundamente der Kirche« (176). Das gilt sogar für »Petrus als Oberhaupt des Zwölferkreises« (194), so dass eine Ekklesiologie des Bischofskollegiums oder der Kollegialität der Bischöfe bei Balthasar fehlt. Letztlich vermag »die Theodramatik keinen konkreten Weg zur Kircheneinheit zu zeigen« (201), da sie zwar die souveräne Freiheit des göttlichen Autors und Regisseurs in Bewusstseinskategorien durchdenkt, die geschichtlichen Vermittlungsgestalten jedoch in einer stellenweise quasi-protestantischen Weise relativiert. Was bleibt, ist »das Vertrauen auf die mutige Auseinandersetzung ad intra – ad extra in Form von Dialog und Begegnung« (290), eine Art Flucht in die Praxis, die sich theologisch nicht mehr artikulieren kann. »Damit gerät diese Studie an eine immanente Grenze, die sie nicht überspringen kann« (290). Es ist nicht das geringste Verdienst dieser Dissertation, die entscheidenden Fragen und Aporien herausgearbeitet zu haben. Doch vielleicht gibt es bessere Gesprächspartner als Hans Urs von Balthasar, um mit diesen Fragen den Weg auch theologisch konstruktiv weiterzugehen?