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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1370–1371

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Sasse, Hermann

Titel/Untertitel:

In statu confessionis III. Texte zu Union, Bekenntnis, Kirchenkampf und Ökumene. Hrsg. v. W. Klän u. R. Ziegler.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2011. 310 S. m. 1 Abb. 22,5 x 15,5 cm = Oberurseler Hefte. Ergänzungsbd. 10. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-7675-7144-0.

Rezensent:

Wilhelm Hüffmeier

Der 1895 in der Niederlausitz geborene, seit 1933 als Professor für Kirchen-, Dogmengeschichte und Konfessionskunde in Erlangen lehrende Hermann Sasse gehört zu den umstrittenen Gestalten der neueren Kirchengeschichte. Die Urteile reichen von »Ultrakonfessionalist« über »tragische Figur« bis hin zum »Bewahrer« des echten Luthertums. S.s Andenken wird besonders in der Selbständigen Lutherischen Kirche in Deutschland und in der Missouri-Synode in den USA gepflegt. Aus Protest gegen den Beitritt seiner bayrischen Landeskirche zur EKD war S. 1948 in die Vorgängerin der SELK, die Evangelisch-(alt)lutherische Kirche, eingetreten. Aus den gleichen Gewissensgründen wechselte er 1949 an das Luther-Seminary in Adelaide, Australien, wo er 1976 verstarb.
Jedoch auch in der Erforschung der Kirche vor und im Nationalsozialismus, zumal der Barmer Bekenntnissynode mit ihren Folgen hat S. einen festen Platz. Früher und klarer als andere seiner theologischen Zeitgenossen sah er die Entrechtung und die Kata­strophe, die der Nationalsozialismus über Deutschland brachte, und aufgrund seines theologischen Formats wurde er von seiner bayrischen Landeskirche in den theologischen Vorbereitungsausschuss für die Barmer Synode geschickt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass Werner Klän und Roland Ziegler nach den von Friedrich Wilhelm Hopf zusammengestellten Sammelbänden »In statu con­-fessionis I« und »II« (1966 und 1975) nun weitere Aufsätze, Artikel und Rundschreiben von S., versehen mit einer Historisch-biogra- phischen Einleitung (7–18), veröffentlicht haben. S. trägt Argumente gegen die Unionen, die Bekennende Kirche und das real existierende Luthertum vor, die jeder zur Kenntnis nehmen sollte, der für Unionen, das Erbe der Bekennenden Kirche und das heu­tige Lu­thertum eintritt.
»In statu confessionis III« umfasst Artikel zu I. Union und Be­kenntnis (19–89), II. Kirchenkampf (90–158), III. Ökumene (159–230) sowie IV. hektographierte Gutachten und Stellungnahmen (231–300) aus den Jahren 1929 bis 1944. Man mag fragen, ob der Terminus Kirchenkampf für die Zeit der Kirchen im Nationalsozialismus sachgemäß ist. Doch der Kämpfernatur S. entspricht er.
S. war alles Kampf um das rechte lutherische Bekenntnis und die Ermöglichung einer weltweiten lutherischen Kirche. Lutherisches Bekenntnis hieß für ihn Konkordienbuch, das ein für alle Mal gültig ist, weil es mit der Bibel übereinstimmt (Das Bekenntnis der Kirche, 43 ff.; Quatenus oder Quia, 123 ff.). Deshalb sieht er in den Unionen des 19. Jh.s den großen Sündenfall des Protestantismus. Auch seiner Heimatkirche, der preußischen Union, gilt diese Kritik, allerdings insofern ein wenig abgeschwächt, als in Preußen die konfessionelle Gliederung mit der deutlichen Mehrheit luthe­-rischer Gemeinden ja weitgehend erhalten geblieben war. Umso schärfer trifft sein lutherischer Bannstrahl die Entwicklung in der evangelischen Kirche mit der Verfassung der Deutschen Evange­lischen Kirche von 1933 (Kirche oder Kirchenbund?, 83 ff.), der Be­kenntnissynode von Barmen 1934 und den Folgen dieser Synode in der Bekennenden Kirche der altpreußischen Union, zumal in deren Hallenser Synode von 1937 (Wohin geht die altpreußische Kirche?, 153 ff.). Dabei versteigt er sich zum Urteil, dass durch die Rezeption der Hallenser Beschlüsse zu Barmen und zur Abendmahlsfrage diese Kirche zur »Sekte« (154) würde. Man muss S. zugutehalten, dass er, von Hause aus Neutestamentler, in dem Beitrag von 1938 »Warum müssen wir an der lutherischen Abendmahlslehre festhalten?« (105–122) einen beachtlichen Versuch un­ternommen hat, in Auseinandersetzung mit Ernst Käsemann in die exegetische Dis­kussion um das Mahl des Herrn einzugreifen. Die in Halle eingeleitete und von vielen lutherischen Theologen gutgeheißene Deutung der Realpräsenz Christi im Abendmahl als Personalpräsenz hat er jedoch nicht aufhalten können.
Scharf und unnachsichtig kritisiert S. die kirchliche Entwick-lung in Deutschland nach 1933, nicht nur in den Unionskirchen, sondern auch in lutherisch verfassten Landeskirchen, wo er das Luthertum »in einem Zustand der Auflösung« (Thüringen sogar »als Verwesungsprozess«, 266), oder als nur noch »historische Erinnerung« (Württemberg, 267) sieht. Doch freundlich und voller Empathie ist sein Blick in die mit der Missionskonferenz von 1910 einsetzende ökumenische Bewegung gerichtet. Die berühmten in dem Aufsatz Una Sancta zitierten Sätze aus der Apologie zu CA 7, dass es die Kirche mit den »äußerliche(n) Zeichen: das Predigtamt oder Evangelium und die Sakramente« (206) überall auf Erden in den christlichen Konfessionen gibt, begründen sein lernwilliges Interesse an anderen Kirchen in Europa, Asien und Nordamerika, zumal der Kirche von England (226 ff.). Deren Kirchenordnung spricht ihn ebenso an, wie er ihre Vernachlässigung der Lehre bemängelt. Vor allem aber sind es der missionarische Auftrag der Kirchen und die »Missionskirchen«, die die »Not« und den »theologischen Ernst der Einigungsfrage« (185) einschärfen.
Die Grundlage solcher Einigung kann aber nach S. wiederum nur das Bekenntnis der Kirche sein, bestehend aus den altkirchlichen Bekenntnissen und denen des Luthertums, vornehmlich der CA. Aufgabe der Bekenntnisse sei es gewesen, die wahre von der falschen Kirche zu scheiden (s. 40 u. ö.). Ist das wirklich das vorherrschende Interesse der Bekenntnisse? Wollen sie nicht auch einladen, gewinnen, Einverständnis herstellen? War das nicht gerade Ziel der CA? Ist nicht gerade die neutestamentliche Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade jenes Bekenntnis, das die Einheit von Juden- und Heidenchristen ermöglichte? Und ermöglicht nicht gerade das lutherische Bekenntnis, wahre Kirche auch in der falschen zu finden? Aus S.s Bekenntnisbegriff entsteht eine ökumenische Aporie, die dieser überaus gescheite Theologe nicht zu klären vermag: Das lutherische Bekenntnis öffnet ihm die Augen für die Kirche in den Kirchen und setzt zugleich unübersteigbare Hürden für die zu er­strebende Einigung, für den consensus doctrinae.
Barmen war ein solcher Konsens, nicht in allen Lehrfragen und deshalb auch kein Unionsbekenntnis, jedoch mit Negationen, die auch S. bejahte (134). Nicht nur Calvin, auch Luther und Melanchthon hätten daran ihre Freude gehabt. Die hochgemute Meinung S.s, die Reformierten und die Lutheraner hätten es von ihren Be­kenntnissen her »kraftvoller, unmissverständlicher und überzeugender« (ebd.) getan als die gemischtkonfessionelle Barmer Synode, ignoriert total die von ihm selbst als desolat beschriebene Situation des Luthertums damals. Und wer den verklausulierten und spröden Gegenentwurf von Asmussen und S. (Mai 1934) zur sog. »Frankfurter Konkordie« (C. Nicolaisen, Der Weg nach Barmen, 162 ff.) liest, der kann Gott nur danken, dass er in den Akten verschwand.