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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1211–1212

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wendebourg, Dorothea [Ed./Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sister Reformations – Schwesterreformationen. The Reformation in Germany and in England – Die Reformation in Deutschland und in England. Symposium on the Occasion of the 450th Anniversary of the Elizabethan Settlement September 23rd–26th, 2009. Symposion aus Anlaß des Elizabethan Settlement 23.–26. September 2009.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIII, 355 S. 24,9 x 16,8 cm. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-150596-6.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Der Band stellt das Ergebnis eines international besetzten Symposiums in Berlin dar. Das Themenspektrum der überwiegend englisch verfassten Beiträge (drei von zwölf sind deutsch und zugleich ins Englische übertragen) erstreckt sich in anregenden Einzeluntersuchungen über ausgewählte Spezifika der Reformation in England sowie ihr Verhältnis zu Reformationen im Alten Reich. Auf eine thematische Untergliederung wurde zwar verzichtet, doch Zusammenhänge ergeben sich zwanglos; zudem trägt ein Personenregister zur Erschließung bei. – Die Beschreibung des Verhältnisses zwischen der Reformation im Alten Reich (vor allem Wittenberger Prägung) und der Reformation in England als »Schwesterreformationen« soll, so die Herausgeberin, den »doppelten Befund von Zusammengehörigkeit und Eigenständigkeit der Vorgänge hier und dort« (VII) herausstellen. Auch wenn Einflüsse der Reformation im Alten Reich auf die englische kaum zu vernachlässigen seien, habe man »der Eigendynamik der Ereignisse in England« (VII) gerecht werden wollen. Dieser Ausrichtung folgen die Beiträge in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: teils unter Betonung der Eigenständigkeit, teils unter Fokussierung auf die Zusammenhänge.
Diarmaid MacCulloch (Oxford) eröffnete mit seinem Vortrag »Sixteenth-century English Protestantism and the Continent« das Symposium. Angeregt durch seine Arbeit an Thomas Cranmer, plädiert er dafür, die englische Reformation als Mitspielerin einer »European-wide revolution« (3) zu betrachten. Der Vf. zeigt, wie sich die englische von den kontinentalen Reformationen in zentralen Themen unterschied und auch in der Aufnahme kontinentaler Impulse schon spezifisch vorgeprägt war. Zur Verhältnisbestimmung, so viel wird deutlich, ist sowohl Tiefenschärfe im Vergleich wie auch die Berücksichtigung von Vorprägungen zu beachten.
Carl R. Trueman (Philadelphia) will in »Early English Evangelicals: Three examples« anhand von William Tyndale, John Frith und Robert Barnes die weitgehende Unabhängigkeit der frühen Reformation in England zeigen. Er versucht, diese Eigenständigkeit am eigenständigen Umgang mit erasmisch-humanistischen Prägungen und den Kirchenvätern sowie einem eklektisch-transformierenden Gebrauch der Werke Luthers festzumachen.
Rory McEntegart (Dublin) unterzieht in »Henry VIII and the German Lutherans: a reassessment« deren Verhältnis jenseits stereotyper Beurteilung einer neuen Untersuchung. Er stellt heraus, dass diese Beziehung in charakteristisch unterschiedenen Epochen verlief: vom persönlichen Schlagabtausch mit Luther – an dem Heinrich theologisch großen persönlichen Anteil nahm – bis zur Verhandlung mit dem Schmalkaldischen Bund.
Dorothea Wendebourg (Berlin) bietet mit »Die deutschen Reformatoren und England« eine deutsche Perspektive zum vorhergehenden Referat. Sie zeichnet die Entwicklung und Rahmenbedingungen der Auseinandersetzung zwischen Luther und Heinrich. Besonders interessant ist dabei die Darstellung der »Selbsterniedrigung« [64] Luthers in einem Entschuldigungsbrief 1525 an Heinrich. In Gestalt von Robert Barnes gab es dann eine Zeit lang eine per­-sonhafte Brücke von Wittenberg nach England. Grundlegende Unterschiede der Reformationstypen lassen sich schließlich aus den Verhandlungen des Schmalkaldischen Bundes herausarbeiten: Während auf dem Kontinent der Bruch mit Rom Konsequenz neuer Einsichten war, geschah er in England initiativ und zog die Klärung theologisch-praktischer Konsequenzen erst nach sich; Lehrfragen spielten vorerst eine untergeordnete Rolle.
Dass Heinrich VIII. ein problematisches Verhältnis zur Ehe hatte, ist hinlänglich bekannt. Ashley Null (Berlin) bietet in »Princely Marital Problems and the Reformers’ Solutions« detailliert Einblick u. a. in die konkreten theologischen Argumentationen der Stellung nehmenden Reformatoren und des Königs zur Frage der Gültigkeit seiner Ehe mit Katharina von Aragon.
Auch religiöse Flüchtlinge trugen zum Austausch bei, wie N. Scott Amos (Lynchburg) in seiner Untersuchung »Protestant Exiles in England. Martin Bucer, the Measured Approach to Reform, and the Elizabethan Settlement – ›Eine gute, leidliche Reformation‹« zeigt. Bucer und Cranmer verband das Konzept einer gemäßigten Reformation, besonders Bucers Engagement in Köln hatte das Interesse geweckt. Bucers Einfluss in England an zentraler Stelle (die Revisionen des Common Prayer Book) blieb jedoch letztlich begrenzt.
Obgleich es eine organisierte lutherische Bewegung in England nie gegeben hat, finden sich in Liturgien auffällige lutherische Einflüsse, wie Bryan D. Spinks (New Haven) in »German Influence on Edwardian Liturgies« vorführt. Cranmer benutzte nämlich für seine liturgischen Entwürfe aufgrund persönlicher Verbindungen vor allem die lutherischen der reformatorischen Quellen, deren Lehrinhalte übernahm er jedoch nicht. So blieb auch nach seiner Hinwendung zu reformierten Positionen der lutherische Einschlag bestehen.
Martin Davie (London) legt in »The Augsburg Confession and the Thirty Nine Articles« darauf Wert, diese reformatorischen Grunddokumente als Geschwister zu verstehen, die in Grundlagen übereinstimmen, aufgrund eines unterschiedlichen Umfelds und Verwendungszwecks aber differieren. Eine Priorität der CA lehnt er – nicht immer überzeugend – ab.
Luther spielte, wie Alec Ryrie (Durham) in »The Afterlife of Lutheran England« vorführt, im nach-reformatorischen England mehr als tugendhaftes Vorbild denn als Theologe eine Rolle. Auch seine Kreuzestheologie diente eklektisch rezipiert vor allem der Bewältigung in der Verfolgung: Gott wirkt unter dem Gegensatz, nur die verfolgte Kirche ist die wahre Kirche.
Martin Ohst (Wuppertal) nähert sich in »Das Martyrium in der deutschen und in der englischen Reformation« beispielhaft der un­terschiedlichen reformatorischen Würdigung und theologischen Interpretation des Martyriums. Während Luther vor allem Wert auf den (rechtfertigungstheologisch begründeten) Ausschluss jeglichen Verdienstdenkens legt, versteht John Foxe die – in England wesentlich zahlreicheren – Märtyrer in einer apologetischen Ge­schichtstheologie im Book of Martyrs als Zeugen für die Wahrheit des Evangeliums in der englischen Kirche.
Dem in der Reformationszeit zentralen Thema des Verhältnisses der Verwaltung von Kirche und Staat nähert sich David J. Crankshaw (London) in »Ecclesiastical Statesmanship in England in the Age of the Reformation«. Dabei widmet er sich vor allem der Rolle des Privy Council. Die Anbahnung gerät allerdings bei allen interessanten Einzelinformationen recht umfangreich.
Thomas Kaufmann (Göttingen) beschließt den Band mit der Untersuchung: »Elizabethan Settlement und Augsburger Religionsfriede. Strukturgeschichtliche Beobachtungen zur englischen und zur deutschen Reformation«. Er weitet darin den Blick auf die »langfristigen Folgen und die konzeptionellen Leitlinien beider religionspolitischen und -rechtlichen Systeme« (305). Denn anders als der Augsburger Religionsfriede, der in doktrinären Klärungen konfessioneller Pluralität Frieden und Einheit im Reich sichern wollte, versuchte das Elizabethan Settlement eine »transkonfessionelle Christentumsvariante der bedingungslosen Staatsräson« (321) zu konzipieren.
Insgesamt sollten diese hier nur ansatzweise vorgestellten Un­tersuchungen auch als Beitrag zur Frage nach Pluralität und Zusammenhängen in »der Reformation« gelesen werden. Nicht nur das Bild der englischen Reformation dürfte dadurch differenzierter werden, auch zentrale Inhalte kontinentaler Reformationen könnten neu betrachtet werden. Vielleicht werden so weitere Verwandtschaftsverhältnisse zu klären sein.