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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1042–1044

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Guggenheimer, Heinrich W.

Titel/Untertitel:

The Jerusalem Talmud. Fourth Order: Neziqin. Tractates Bava Qamma, Bava Meṣi‘a, and Bava Batra. Edition, Translation, and Commentary.

Verlag:

Berlin/ New York: de Gruyter 2008. XVI, 763 S. 23,0 x 15,5 cm = Studia Judaica, 45. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-11-020943-3. Tractates Sanhedrin, Makkot and Horaiot. Edition, Translation, and Commentary. Berlin/New York: de Gruyter 2010. XI, 623 S. 23,0 x 15,5 cm = Studia Judaica, 51. Lw. EUR 189,95. ISBN 978-3-11-021960-9. TractatesŠevuot andAvodah Zarah. Edition, Translation, and Commentary. Berlin/New York: de Gruyter 2011. XI, 491 S. 23,0 x 15,5 cm = Studia Judaica, 61. Lw. EUR 139,95. ISBN 978-3-11-025805-9.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Die Übersetzung des Talmud Yerushalmi von H. W. Guggenheimer (geboren 1924 in Nürnberg) schreitet rasch voran. Nachdem mittlerweile die Ordnungen Zeraim (Saaten) und Nasˇim (Frauen) vorliegen, hat G. nun in drei Bänden insgesamt acht Traktate aus der vierten Ordnung Neziqin (Schädigungen) bearbeitet. Wie bereits in früheren Rezensionen (ThLZ 127 [2002], 1172–1174; ThLZ 130 [2005], 249–252; ThLZ 134 [2009], 541–544) bemerkt, wird die Reihe nicht allen Anforderungen einer »kritischen« Ausgabe gerecht, bietet aber dennoch wichtige Hinweise und nützliche Erklärungen, die sich in anderen Ausgaben und Übersetzungen bislang nicht finden. Die Editionsprinzipien wurden mehrfach geändert, was den ge­legentlich hervorgehobenen Vorteil einer Ausgabe »aus einer Hand« (vgl. J. Maier, Jahrbuch für Antike und Christentum 45 [2002], 209–211) schmälert.
Auch in dieser Übersetzungsreihe sind Unterschiede und Ab­weichungen von den redaktionellen Prinzipien zu beobachten, die am Anfang erläutert wurden. In den neueren Bänden findet sich etwa zu dem besonders wichtigen Traktat ‘Avoda Zara und auch zu Makkot ein kritischer Apparat, in dem etwa durch Geniza-Fragmente (z.B. aus der New York Public Library) belegte Lesarten berücksichtigt werden. Dies wertet die Ausgabe für diese Traktate bis zum Erscheinen der angekündigten umfassenden Ausgabe aller Geniza-Fragmente des Talmud Yerushalmi von J. Sussman zwar in gewisser Weise auf, dennoch bleiben die Bedenken gegen die Wie­dergabe des Hebräisch-Aramäischen in Form einer angeblich diplomatischen Ausgabe auf der Basis der Edition der Handschrift Leiden (in der Transkription der Academy of the Hebrew Language, Jerusalem 2001) bestehen. Zahlreiche in den textkritischen Apparaten angegebene Lesarten berücksichtigen außerdem lediglich Pleneschreibweisen und orthographische Unterschiede, die sich ohne eine ausführlichere Beschreibung und Analyse des zugrunde liegenden Handschriftenfragmentes nicht angemessen beurteilen lassen. Hinzu kommt, dass ab dem Band der Traktate Sanhedrin, Makkot und Horaiot (2010) aufgrund technischer Probleme ein neueres Computerprogramm verwendet werden musste, was zur Folge hat, dass das Schriftbild des hebräisch-aramäischen Textes verändert wurde. Da das nun verwendete Programm die Wiedergabe von masoretischen Akzenten ermöglicht, werden Zitate biblischer Texte außer an den Stellen, an denen der vokalisierte Bibeltext vom masoretischen Text abweicht, samt Akzenten wiedergegeben (vgl. das Preface, ebd., V). Zwar ist somit die Erkennung von Bibelzitaten erleichtert, doch werden die im Yerushalmi belegten, vom masoretischen Bibeltext abweichenden Lesarten eingeebnet. Die Vokalisation und Akzentuierung stellt insofern einen Anachronismus dar, zumal in der Forschung davon ausgegangen wird, dass die Masora erst nach dem Abschluss der klassischen Werke der rabbinischen Literatur geschaffen wurde. Weitere Veränderungen in den Editionsprinzipien wiegen weniger schwer. Seit dem Band mit der Übersetzung des Traktates Makkot (470) ist nun am Ende des Traktates die Schlusseulogie nach Ms Leiden beigegeben.
Der Übersetzung der drei Bavot-Traktate, in denen im weitesten Sinne zivilrechtliche Fragen erörtert werden, ist eine kurze Einleitung beigegeben, die auch auf die wissenschaftliche Diskussion dieser hinsichtlich Terminologie und Inhalt besonderen Traktate eingeht. Lange beherrschte die Forschung zu diesen Traktaten die These, sie seien nicht in Galiläa, sondern vielmehr in Caesarea entstanden (S. Lieberman). Es überrascht nicht, dass in dieser knappen Erörterung jeder Hinweis auf die Monographien von G. A. Wewers (Probleme der Bavot-Traktate, Tübingen 1984, und C. Hezser, Form, Function, and Historical Significance of the Rabbinic Story in Yeru­shalmi Neziqin, Tübingen 1993) fehlt. Weitere bereits von vielen anderen Erforschern des Yerushalmi akzeptierte Einsichten, etwa hinsichtlich des Einflusses des griechisch-römischen Rechtes auf die Rabbinen, werden übersehen oder nicht berücksichtigt. Stattdessen findet sich die nicht belegte Behauptung, dass »the core« des rabbinischen Rechtes solide biblisch begründet sei; die bereits hinter einigen Mishnayot erkennbare Philosophie bleibt unbeachtet.
In einem Band zusammengefasst sind die Traktate Sanhedrin (Gerichtshof), Makkot (Schläge) über die verschiedenen Prügelstrafen (nach Dtn 25 und 19 sowie Num 35,9) sowie der Traktat Ho-raiot (Schädigungen), der die vierte Ordnung Neziqin beschließt. In ihm werden falsche Entscheidungen, die von den Gremien Ge­richtshaus, dem Hohepriester und dem Fürst getroffen werden, erörtert. Besonders wichtig sind die am Schluss des Traktates tradierten Rangordnungen von Ämtern und Lehrgebieten. Der neu­-este Band (2011) fasst die Traktate Shevu‘ot (Schwüre) und ‘Avoda Zara (Fremdkult) zusammen. Nicht nur dem Übersetzer allein, sondern auch den Herausgebern bzw. dem Lektorat scheint dabei nicht aufgefallen zu sein, dass auf dem Titelblatt statt »Shevu‘ot« der irreführende Titel »Shevi‘it« (für einen ganz anderen Traktat) gedruckt ist, und zwar nicht nur auf dem Titelblatt, sondern auch auf dem Buchdeckel. Dieser Lapsus setzt sich in allen Katalogeinträgen, die auf dem Katalogisat der Deutschen National-Bibliothek basieren, fort und sollte korrigiert werden. Für die Herausgabe des für das Verhältnis des Judentums zu anderen Religionen so wich­tigen Traktatesʽ‘Avoda Zara hätte man sich mehr Sorgfalt ge­wünscht.
Bezeichnend für die wissenschaftliche Bedeutung dieser Übersetzungsbände ist die knappe Würdigung in G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 9. Auflage 2011, 206. Neben G.s Bearbeitung wird in Zukunft noch die englische Schottenstein-Edition des Talmud Yerushalmi zu berücksichtigen sein. Diese traditio­nelle Edition (bislang 19 Bände) wird von mehreren Bearbeitern erstellt und enthält neben dem unkritisch rezipierten Text der Wilnaer Ausgabe des Yerushalmi (Wilna 1922 ff.) eine kommentierte eng­-lische Übersetzung und Kurzkommentierung.