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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

907–910

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Neuer, Werner

Titel/Untertitel:

Heil in allen Weltreligionen? Das Verständnis von Offenbarung und Heil in der pluralistischen Religionstheologie John Hicks.

Verlag:

Neuendettelsau: Freimund; Gießen: Brunnen 2009. 315 S. 21,0 x 14,0 cm. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-86540-074-1 (Freimund); 978-3-7655-1755-6 (Brunnen).

Rezensent:

Reinhard Slenczka

Die Ansicht, dass es nicht nur den einen Heilsweg in Jesus Christus (Apg 4,12) gibt, ist inzwischen nicht nur eine unter Christen weit verbreitete Einstellung, sondern in manchen kirchenamtlichen Entscheidungen herrschende Lehre. Man kann daher ohne Weiteres feststellen, dass der Anspruch, eine kopernikanische Wende ge­genüber dem seit den Anfängen des Christentums vor allem bestehenden Konsensus zu vollziehen, sich faktisch in protestantischen Kreisen durchgesetzt hat. Dazu gehört auch, dass in dem »Dialogdekalog« von Leonhard Swidler der Anspruch »allein die Wahrheit zu besitzen« und einen Dialog zu verweigern, als Häresie zu verurteilen ist. Damit ist zunächst einmal nur gezeigt, dass wir es mit einem höchst emotionalen Thema zu tun haben.
Werner Neuer, Dozent für Systematische Theologie am Theo­logischen Seminar der Pilgermission von St. Chrischona, Riehen/ Schweiz, Autor einer Reihe wichtiger Bücher, besonders zu Adolf Schlatter sowie zu ethischen Fragen, leistet mit seiner Untersuchung zweierlei: Zum einen bietet er am Beispiel des kürzlich verstorbenen (20.01.1922–09.02.2012) britischen Theologen und Religionsphilosophen John Hick, dem Begründer der pluralistischen Religionstheologie (PRTh), einen weit gefassten und sorgfältigen Überblick über dieses Programm. Zum andern untersucht er die dogmatischen Voraussetzungen und Konsequenzen dieses Programms. Wie im Titel bereits erkennbar, richtet sich die dogmatische Beurteilung auf zwei Sachverhalte: Bei der »Offenbarung« geht es nicht allein um die biblische Grundlage, sondern, damit verbunden und darin begründet, um die personale Relation von Gott und Mensch im Wort Gottes. Bei dem »Heil« geht es darum, dass es der Glaube an Jesus Christus nicht nur mit Erfahrungen und Ge­fühlen zu tun hat, sondern dass der Dreieinige Gott in Jesus Chris­tus und durch seinen Heiligen Geist personal erscheint und wirkt. In vorbildlicher Weise sind in dieser Untersuchung Darstellung und theologische Beurteilung verbunden, und daher hat dies Buch eine weit über das Spezialthema hinausgehende Bedeutung, denn es berührt Bereiche von weithin unreflektierten herrschenden Mei­nungen. Darauf soll im Folgenden hingewiesen werden:
1. Pluralismus begegnet uns heute als gesellschaftspolitische Aufgabe, bei der es darum geht, die Gesellschaft auf nationaler wie auch auf globaler Ebene in einer friedlichen Ordnung zusammenzuhalten. Die PRTh, die in Amerika sowie im britischen Commonwealth ihren Ursprung hat, ist eine der zahlreichen zweckorientierten »Theologien«, mit denen versucht wird, gesellschaftspolitische Probleme zu lösen. Dabei werden die dogmatischen Kriterien von wahr und falsch nach dem Maßstab von Schrift und Bekenntnis ersetzt durch gesellschaftspolitischen Nutzen, Erfolg oder auch Zustimmung der öffentlichen Meinung. Eine fortschreitende Verwirklichung von Menschenrechten ist dabei ein entscheidendes Motiv – die Suche nach dem verlorenen Paradies.
2. Wie die Erfahrung, also nicht die Offenbarung das theologische Konzept bestimmt, ist auch in dem Lebensweg von John Hick erkennbar (87ff.): Vom Anglikanismus über einen evangelikalen Fundamentalismus kommt er schließlich zu den Quäkern. Als Theologieprofessor an der Universität von Birmingham gerät er unmittelbar in die Realität des kulturellen und religiösen Pluralismus. Prägend für sein theologisches und philosophisches Denken ist die Begegnung mit dem Hinduismus und Buddhismus. Das betrifft nicht nur die jeweiligen Schriften, sondern vor allem auch die Erfahrung von Kultveranstaltungen. Ein knapper Exkurs zur Biographie von Hick macht deutlich, wie es in seinem Leben und Denken nicht um Textinterpretationen geht, sondern um eigene und fremde religiöse Erfahrung, in der sich eine Wirklichkeit manifestiert, eine »fundamentale Gleichheit gottesdienstlicher Erfahrung« (115). Wenn man das in der Fachsprache zu fassen versucht, handelt es sich dabei um das klassische Phänomen des consensus gentium, der sich darauf bezieht, dass bei allen Menschen und Völkern ein sog. religiöses Apriori als Erfahrung einer eternal reality zu finden ist. Das hat seine guten Gründe von Apg 17,22f. bis zu Schleiermachers »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit«, Pannenbergs »unendliche Angewiesenheit auf ein unbekanntes Ge­genüber« u. a. mehr. So neu ist das also keineswegs.
3. Die entscheidende Differenz und damit auch der radikale Bruch, der von Hick selbst als kopernikanische Wende und als Paradigmenwechsel bezeichnet wird, liegt in der Ablehnung von Person, Werk und Wort Jesu Christi: The Myth of God Incarnate (1977) sowie die These The Metaphor of God Incarnate (1994), um es mit zwei der zahlreichen Buchtitel anzudeuten. Denn genau daran wird deutlich, dass es bei dem Programm der PRTh weder um die Ablehnung einer Exklusivität oder Absolutheit des Christentums geht, noch um eine Inklusivität durch Aufhebung aller Unterschiede und Ge­gensätze. Entscheidend ist vielmehr, dass alle religiösen Aussagen und Lehren als Metaphern aufzufassen sind, indem sie also un-terschiedliche Zeichen für dieselbe Sache sind. Dass dies bei der Menschwerdung des göttlichen Logos zu unüberwindlichen Schwie­rigkeiten führt, hat die vor allem im englischen Sprachbereich geführte heftige Diskussion gezeigt.
4. Die dogmatische Beurteilung des Programms der PRTh ist schon deshalb ein höchst schwieriges Unternehmen, weil, worauf immer wieder hingewiesen wird, existentielle Erfahrungen und Bindungen im Spiel sind. Doch darin liegt genau die Realität des Dogmatischen als Bewusstseinsbindung und Urteilsmaßstab. Die Neigung, solchen Gegensätzen auszuweichen, ist menschlich verständlich. Im Ergebnis zieht man sich dann auf moralische Urteile zurück, nach denen Absolutheitsansprüche unhöflich sind, und auf politische Urteile, nach denen Konflikte im menschlichen Zu­sammenleben störend sind. In jedem Fall ist dann Anpassung das probate Mittel. Das hier entstehende Problem hat Jürgen Moltmann so beschrieben: Er sieht in der PRTh ein Beispiel für »die repressive Toleranz der westlichen Konsumgesellschaft. Sie ist tolerant, sofern sie alles als subjektive Möglichkeit zulässt, aber repressiv gegenüber der objektiven Wirklichkeit der Religion …« (EvTh 49, 1989, 535). Genau auf diesen Sachverhalt bezieht sich die dogmatische Beurteilung, also auf das, was nicht die menschliche Erfahrung, sondern was die göttliche Selbstoffenbarung ausmacht: die Person des Dreieinigen Gottes in seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus und das Heil als Rettung aus dem Gericht über Lebende und Tote durch den Glauben an Jesus Christus.
5. Es ist hier nicht möglich, die umsichtigen und kenntnisreichen Analysen und Urteile auch nur annähernd wiederzugeben. Der Entscheidungspunkt lässt sich jedoch in einem Begriff zusam­menfassen: »offenbarungstheologischer Agnostizismus« (253). Kurz: Die Realität des Christusglaubens wird im wörtlichen Sinne metaphorisch aufgehoben und übertragen in Nützlichkeiten menschlichen Zusammenlebens und Wohlbefindens. Der Ernst und die Strenge von Gericht und Gnade, die sich doch in allen Religionen findet und die auch aus dem menschlichen Zusammenleben trotz aller guten Absichten nicht beseitigt werden kann, mag man zwar verdrängen; doch wer könnte sie beseitigen?
Als Rezensent kann man die nachdenkende Frage stellen, ob nicht in dieser kritischen Untersuchung zur PRTh Probleme aufgedeckt werden, die weitgehend unsere heutige Theologie und Kirche betreffen: Inwieweit ist für uns der dreieinige Gott personales Gegenüber und nicht nur Bild, Begriff, Theologie? Inwieweit ist uns das Heil in Christus Rettung durch das Gericht und aus der vergehenden Welt oder Programm zur Humanisierung einer Wohlstandsgesellschaft? Aus gutem Grund erinnert der Vf. gleich am Anfang an die frühchristlichen Apologeten, die in der Situation einer verfolgten Minderheit in einer pluralistischen Gesellschaft, die durch den Kaiserkult als einigende Staatsreligion zusammengezwungen wird, mit aller Entschiedenheit das Heil in Christus und zugleich die verborgene Universalität des göttlichen Logos ( logos spermatikos) bezeugt haben (19ff.).
Bleibt noch zu bemerken, dass dieses Buch eines der seltenen Beispiele dogmatischer Analyse und Beurteilung ist, also nicht nur beschreibende Stoffsammlung, das höchste akademische Anerkennung verdient.