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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

112 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Trilling, Wolfgang

Titel/Untertitel:

"Trauer gemäß Gott". Leiden in und an der Kirche der DDR. Hrsg. von K. Richter.

Verlag:

Altenberge: Oros 1994. 167 S. 8° = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 33. Kart. DM 30,­. ISBN 3-89375-101-7.

Rezensent:

Ulrich Kühn

Wolfgang Trilling (1925-1993) gehört zu den markantesten Gestalten der katholischen Kirche in der ehemaligen DDR. Er war Mitglied und langjähriger Praepositus des Leipziger Oratoriums. Nach seiner Lehrtätigkeit am Philosophisch-theologischen Studium in Erfurt und seinem dazwischenliegenden Dienst als Studentenpfarrer und Akademieseelsorger in Leipzig hatte er seit 1971 eine ökumenische Gastdozentur für Neues Testament am Theologischen Seminar der lutherischen Kirchen der DDR, der späteren Kirchlichen Hochschule Leipzig, inne, wofür ihm nach der Wende 1990 der Professorentitel verliehen wurde. Für seine wissenschaftlich-exegetische Leistung und seinen Einsatz für die Kirche in der DDR erhilt er die theologische Ehrendoktorwürde in Münster (1974) und Graz (1986).

In dem vorliegenden Band, den Klemens Richter, Münster, herausgegebenen und für den Friedrich Rebbelmund, Leipzig (ein Freund und Mitarbeiter Trillings) ein Geleitwort geschrieben hat, sind Beiträge Trillings aus den Jahren 1967 bis 1990 zum Weg der katholischen Kirche und der katholischen Christen in der DDR zusammengestellt, die in dieser Form vor der Wende nicht veröffentlicht werden konnten. Sie sind ergänzt durch die Ansprache von Siegfried Hübner bei der Grablegung von Wolfgang Trilling am 5. August 1993 sowie durch den Abdruck des Synodaldekrets I der Meißner Bistumssynode von 1969, das auf Entwürfen Trillings fußt.

In eindrucksvoller und bewegender Weise wird dem Leser vor Augen geführt, wie sich der engagierte Katholik Trilling in den Jahren der DDR-Herrschaft für eine Erneuerung der katholischen Kirche in der DDR im Geiste des II. Vaticanums, für ihre innerkirchliche und gesellschaftsbezogene Dialogbereitschaft, für ihre ökumenische Offenheit und für hilfreiche Wegweisungen für die Christen im Alltag der DDR eingesetzt hat. Bereits der erste abgedruckte Vortrag von 1967 "Der Weg der katholischen Kirche in der DDR" zeigt dies alles in programmatischer Weise. Gleichzeitig und vor allem zeigt der Band aber, wie sich Wolfgang Trilling am offiziellen Weg seiner Kirche gerieben hat, der er Klerikalisierung, Ghettoisierung, Bestandserhaltungsmentalität und Dialogunfähigkeit vorwarf. "Kirche auf Distanz" heißt ein in dem Band abgedruckter Beitrag von 1987 aus der Festschrift für J. B. Metz, in dem Trilling zu dem Urteil kommt, daß die katholische Kirche in der DDR die Pastoralkonstitution des Konzils "Gaudium et spes" de facto nicht rezipiert habe (92). Die von ihm wesentlich inspirierte und von Bischof Otto Spülbeck (gest. 1970) voll mitgetragene Meißner Bistumssynode zeigt in ihrem Grundsatzdokument mit seinen insgesamt 28 Synodalbeschlüssen die Vision Trillings von einer brüderlichen Kirche. Es war ihm einer der größten Schmerzen, daß diese Synode mit ihren Beschlüssen nach dem Tod Spülbecks de facto annulliert wurde, ohne daß eine innerkirchliche Öffentlichkeit darüber informiert worden wäre oder gar darüber hätte diskutieren können. Das zeitlich letzte abgedruckte Dokument ist ein Brief vom 2. Januar 1990 an die Mitglieder der Berliner Bischofskonferenz, in dem sich Trilling kritisch gegen das von den Bischöfen Ende 1989 als Rückblick auf die Wende verfaßte Hirtenwort wendet, indem er ihm u. a. Mangel an kirchlicher Selbstkritik und ein Ausfallen der ökumenischen Dimension vorwirft.

Der Titel des Bandes "Trauer gemäß Gott" (nach 2Kor 7,9 f.) ist dem Beitrag "Leiden in und an der Kirche in der DDR" entnommen, der zuerst in dem von N. Sommer herausgegebenen Band "Zorn aus Liebe. Die zornigen alten Männer der Kirche" (Stuttgart 1983) erschienen war. Ihm steht allerdings zur Seite ein unmittelbar folgender Beitrag "Freude an der Kirche", in dem es heißt: "Und da sehe ich vor allem eine große Gemeinde von Menschen ­ nicht nur römisch-katholischer ­, die einen kostbaren Schatz trägt und davon zu leben sucht. Dieser Schatz ist das Evangelium, das begeistert, besonders immer wieder junge Leute, das zu Wagnissen ermutigt, auch zu ’alternativen Lebensformen’, das zur Einheit der Kirche hin, zum Einsatz für gerechtere und menschenwertere Verhältnisse und zu Reformen drängt." (76)

Es ist dies ein Gedenkband ganz eigener und einzigartiger Art, der Wolfgang Trilling in unverwechselbarer Weise zeigt. Er wird ­ auch dort, wo von ihm vielleicht überscharf geurteilt wurde ­ für das Nachdenken über den Weg speziell der katholischen Christenheit in der früheren DDR in besonderem Sinne unentbehrlich sein. Er ist das Dokument eines unermüdlichen, aus den Quellen der Botschaft Jesu und des ganzen Neuen Testaments lebenden Rufers und Trösters, dem auch die evangelische Kirche, die damaligen Kollegen und Studierenden des Theologischen Seminars und alle, denen Wolfgang Trilling begegnet ist, viel zu danken hat. Und es ist ein Zeugnis, das dem Weg der Christenheit in die Zukunft mutige Orientierung zu geben vermag.