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Ausgabe:

Juli/August/2012

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dassmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Die eine Kirche in vielen Bildern. Zur Ekklesiologie der Kirchenväter.

Verlag:

Stuttgart: Hiersemann 2010. XIV, 286 S. m. Abb. 21,0 x 14,5 cm = Standorte in Antike und Christentum, 1. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-7772-1024-7.

Rezensent:

Franz Xaver Risch

Zur Erhellung und Vergegenwärtigung des antiken Kirchenverständnisses, das vielfach als »mütterlich-weibliche« Ergänzung der »patriarchalisch bestimmten Gotteslehre« (XIII) zu verstehen ist, legt der bekannte Gelehrte Ernst Dassmann, durchaus auch mit »aktuell-pastoralem Interesse« (XIII), ein informativ reichhaltiges Buch vor, mit dem der Anton Hiersemann-Verlag die Reihe Standorte in Antike und Christentum eröffnet. Ein eigener Herausgeber wird nicht genannt, der Reihentitel nicht begründet. Dass der Verfasser des ersten Bandes langjähriger Herausgeber des Reallexikons für Antike und Christentum war, darf vielleicht als Andeutung einer inhaltlichen Ausrichtung der Reihe verstanden werden.
Der Titel Die eine Kirche in vielen Bildern, der vermutlich von Augustinus angeregt ist (192), enthält keinerlei Anspielung auf das Problem der Konfessionen und Nationalkirchen. Das Thema der wahren Kirche ist insofern dezent umgangen. Der Untertitel Zur Ekklesiologie der Kirchenväter verdeutlicht, dass die christlichen Autoren ohne bildliche Vorstellungen wohl nicht zu einer Theorie der christlichen Gesellschaft gefunden hätten.
D. ordnet die Kirchenbilder zu neun Themen: Leib, Braut und Gemahlin, Jungfrau und Mutter, Pflanzung, Mond, Schiff, Haus, Stadt und Volk, Verus Israel. Ergänzt werden diese sprachlichen Bildbereiche mit zwei weiteren Formen: historische oder literarische Personen als Vorbilder (Typen) und Bilder im ikonographischen Sinn. Nur die am meisten bekannten Motive werden erörtert. Zum Beispiel behandelt D. nicht die Bekleidungsmetaphorik, obwohl er sie natürlich kennt (Tunica Christi 153; Gürtel 173); die Herde (190–193) erscheint als Sonderfall von Volk.
Die häufige Verwendung der Bilder hat zu einer komplizierten Semantik geführt. Die bloße Sinnbildlichkeit wurde seit je als ungenügend empfunden, der Bildgehalt deshalb weit über das Symbolische hinaus auf moralische Belehrung und auf Darstellung ontologischer, fast unsagbarer Wirklichkeit ausgeweitet, die in mystischen Meditationen oder, vor allem bei Augustinus, in sakramental-theoretischen Reflexionen erfasst wird. Das verdeutlicht sich besonders am Motiv des Leibes und den eigentlich weiblichen Bildern. D. lässt sich vom Interesse an einem »dialektischen« (96) Verhältnis zwischen Kirche und Gläubigen leiten. Die Anregung dazu verdankt er dem exegetischen Schema ecclesia vel anima, das Ambrosius von Origenes gelernt hatte und das besagt, dass biblische Typen auf die Kirche oder auf den einzelnen Gläubigen übertragen werden können. D. macht es seinerseits zu einem hermeneutischen Prinzip und sieht beispielsweise in der ursprünglich nordafrikanischen Idee von der Kirche als Mutter ein »echtes Gegenüber« (64) zum Gläubigen.
Neben den Bildern des Leibes und weiblicher Identitäten ist auch die vegetative Metaphorik, nämlich Garten, Pflanzung, Paradies und Weinberg, noch dem Bereich des Lebendigen entnommen. Sie bietet sich von selbst zur Bewunderung von Blüte und Wachstum der Kirche an und ist schon wegen der Verankerung in biblischer Bildsprache ungefährlich. Riskant hingegen ist das Bild des Mondes, wie aus dem Lob Kyrills auf den »Tod der Kirche« (99) deutlich wird: Wenn der Mond Kirche untergehen soll, damit die Sonne Christus leuchtet, dann ist das nicht der Sinn der Kirche.
Mit Bildern erfassten die Kirchenväter »neben Wesen und Idee auch die gesellschaftliche Struktur und Organisation der Kirche« (139): So dienen Schiff und Besatzung der Beschreibung der Ämter und der Platzverteilung in der Kirche (115), die biblischen Vorbilder wie die Arche und das Schiff des Petrus auch Fragen der Kirchenzugehörigkeit. Auf ähnliche Weise wird das Bild Haus ohne Metaphorik verwendet, um mit der Ökonomie eines paganen Hauswesens die soziale Gliederung in der Kirche, insbesondere den Monepiskopat, zu begründen (161).
Bei der Orientierung in strukturellen Problemen bleibt die Analogie zwischen zwei verschiedenen Wirklichkeitsbereichen noch erhalten. Am Bild des Volkes lässt sich dagegen ein vollständiger Übergang vom Bild zu unmittelbarer Bezeichnung von Wirklichkeit beobachten. Das Bild Volk wird zur Sache (165), mag es auch, wie bei Cyprian und Optatus, ekklesiologisch reduziert die Laien bezeichnen (179 f.) oder, wie bei Ambrosius, die konkrete Gemeinde (182).
Bei Verus Israel stellt sich schließlich die Frage, ob überhaupt noch von einem Bild die Rede sein kann. Obwohl D. den Ausdruck durchgehend als Bildwort bezeichnet, muss er einen besonderen Charakter einräumen (195.219). Der Realgrund (von dem ein Bild ausgeht) wird nicht in eine andere Realität übersetzt. Es geht um heilsgeschichtliche Identifikation der Kirche in einem realen Prozess, nicht um spirituelles oder organisatorisches Selbstverständnis, zu dem durch Metaphorik und Analogie gefunden wird.
Entsprechend zum weiblichen Charakter der Kirche sind auch die personalen Chiffren meist Frauen, allen voran Maria, aber auch Hiob kann als Vorbild dienen. Wie kunstvoll die Exegeten durch Typologisierung unmoralisches Verhalten umwerten konnten, zeigt der Abschnitt über die keusche Hure. Hier versteht es der nüchterne Autor, hinter den »exegetischen Absonderlichkeiten« (233) die theologische Absicht wertzuschätzen.
Den Zugang zum ikonographischen Material eröffnet die Frage, inwieweit das sprachliche Bild zu einem ästhetischen führt; die Symbolik eines Kirchengebäudes ist nur von sekundärem Interesse. Aus der naturgemäß spärlich entwickelten frühchristlichen Ikonographie behandelt D. die Motive Mutter und Schiff und sieht sich mit einem hermeneutischen Problem konfrontiert: Die Unsicherheit in der Dechiffrierung und Deutung des Bildzeichens auf die Kirche lässt nur wenige klar entzifferbare Bildwerke zu.
Was das Buch so lesenswert macht, ist nicht nur der Informationsgehalt und die unparteiische Beurteilung kirchenväterlicher Intelligenz, sondern auch eine gewisse Vorbereitung für philosophische Diskussionen. Die Probleme der religiösen Metapher stehen zwar nicht im Vordergrund, können aber auch nicht verborgen bleiben. Was mit der Bildsprache intendiert wird, lässt sich kaum in abstrakte Begriffe überführen. Genauigkeit ist zwangsläufig nicht erreichbar. Das verleitet andererseits die Autoren der Kirchen­beschreibung zu einem willkürlichen und paradoxen Um­gang mit dem Bild. Wer durch die Metaphorik lernen will, was Kirche ist, kann verwirrt werden und wendet sich spöttisch ab. Der Historiker D. hat nur die Aufgabe, die Tatsachen festzustellen. Er weiß natürlich, dass Begriffe genauer sind als Bilder (46.78), und distanziert sich vornehm von der Begeisterung so mancher Prediger, die sich von der Metapher an den Rand schwärmerischen Unsinns treiben ließen (88 f.). Vielleicht aber unterliegt er selbst ein wenig der Gefahr bildlich bedingter Irritation, wenn er vom Übergang der »hellenistischen Mondmystik« zur »ekklesiologischen Mondtheologie« spricht (93) und den christlich unstatthaften Begriff im Folgenden beibehält. Oder: Ist es wirklich »feinsinnig«, wenn Isaak von Stella die Gemeinde als Gott versteht (24)?
Die Kapitel sind in etwa gleich aufgebaut. Auf Hinweise zu paganen und biblischen Vorbereitungen eines Bildes folgen Ausführungen über Adaption und Exegese durch die Kirchenväter, wobei sich mancher Leser vielleicht an die Unterscheidung zwischen »Früh-« und »Großpatristik« gewöhnen muss. Die Darstellung ist profund und gut verständlich und wirkt in ihrer Wiedergabe der besonderen Merkmale und Positionen zuverlässig und präzise. Trotz Einbeziehung theologischer »Hintergründe und Querverbindungen« (XI) bevorzugt D. die überblicksartige Aufreihung von Positionen und arbeitet viel mit längeren Zitaten, leider ohne originalsprachlichen Beleg. Dankbar werden ihm die Leser für die disziplinierte Verwaltung der Anmerkungen sein. Das Buch ist, sieht man über einige drucktechnische Mängel hinweg, einem breiten Leserkreis zu empfehlen.