Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

719–720

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Weiß, Bardo

Titel/Untertitel:

Der dreieine Schöpfer und die frühen deutschen Mystikerinnen.

Verlag:

Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh 2006. 846 S. 23,6 x 16,6 cm. Geb. EUR 108,00. ISBN 978-3-506-75735-7.

Rezensent:

Ruth Albrecht

Bardo Weiß, von 1971 bis 1999 Professor für Dogmatik an der Universität Mainz, hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt, dem auch diese Veröffentlichung dient. Die Theologie der frühen deutschen Mystikerinnen soll sowohl in den Traditionsstrom als auch in das zeitgenössische mittelalterliche Denken eingeordnet werden. 2004 erschien bereits ein dreibändiges Werk unter dem Titel »Die deutschen Mystikerinnen und ihr Gottesbild. Das Gottesbild der deutschen Mystikerinnen auf dem Hintergrund der Mönchstheologie« (alle Bände sowie auch die weiteren bei Schöningh). Die hier zu besprechende Studie knüpft an diese Grundlegung an. In zweiter Auflage liegt als weiteres Element dieses umfangreichen Vorhabens »Ekstase und Liebe. Die unio mystica bei den deutschen Mystikerinnen des 12. und 13. Jahrhunderts« (1. Aufl. 2000, 2. Aufl. 2006) vor. Inzwischen hat W. dieses Projekt mit der Veröffentlichung von zwei weiteren Werken fortgesetzt: »Jesus Christus bei den frühen deutschen Mystikerinnen. Teil 1: Die Namen; Teil 2: Das Wirken«, 2009 und 2010.
Seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn gilt das besondere Interesse von W. dem mystischen Denken. Seine 1965 gedruck-te Dissertation trägt den Titel: »Die Heilsgeschichte bei Meister Eckhart« (Matthias-Grünewald-Verlag Mainz). Hier zeigt sich be­reits ein Vorgehen, das in analoger Weise in den Bänden über die Mystikerinnen Anwendung findet. Er bearbeitet seine Fragestellung, indem er die »einzelnen Fakten« der Heilsgeschichte wie »Erbsünde, Menschwerdung, Leiden und Verherrlichung Christi, Maria, Kirche, Sakramente und letzte Dinge« in den Blick nimmt und untersucht, wie diese »in der Mystik unseres Meisters lebendig geblieben sind« (10). Die große Kenntnis der mittelalterlichen Mystik, die dieser katholische Theologe im Laufe seiner Tätigkeit erworben hat, prägt sein Denken.
Der vorliegende Band muss im Rahmen des gesamten Projektes der Erschließung der Mystikerinnen gesehen werden, denn nur in diesem Kontext erhellt sich seine Bedeutung. Die Einleitung weist auf den Zusammenhang mit der umfangreichen Forschungs- und Publikationsinitiative hin. Hier wiederholt W. die seine voraus­liegenden Bände bestimmende Entscheidung, Sekundärliteratur zur Frauenmystik nur »sporadisch« zu berücksichtigen (15). Auch wenn W. diesen Schritt begründet, so ist der Verzicht dennoch zu bedauern.
In zwei Hauptteilen widmet sich W. seinem Untersuchungsgegenstand: der dreieinige Gott (31–455) und Gott, der Schöpfer (459–832). Im ersten Teil werden etwa die »Eigenschaften der Dreifaltigkeit« in folgende Unterabschnitte aufgeteilt: Ewigkeit, Ma­-jes­tät, Licht, Süße, Seligkeit, Freude, Gerechtigkeit, Schönheit und Reinheit der Dreifaltigkeit. Der Versuch, möglichst allen Nuancierungen des Denkens der Mystikerinnen nachzugehen, erfolgt um den Preis einer gewissen Unübersichtlichkeit. Das Profil der einzelnen mystischen Denkerinnen verliert sich in der Fülle der angeführten Belege. Nur gelegentlich geht W. über die Vorstellung der gesammelten Textbelege hinaus. So betont er im Blick auf Mecht­hild von Magdeburg, dass sie besonders oft »die Liebe Gottes im Kontext seines Schaffens« betont (655). »Originell ist die Meinung Mechthilds, Gott habe nicht nur aus einer gleichbleibenden Liebe alles geschaffen; vielmehr war auch seine Liebe geordnet.« (655) Die Auffächerung der Aspekte sieht in Teil 2 im Kapitel »Die Erschaffung des Menschen« z. B. so aus, dass den weitaus größten Platz die Darlegung der »Überlegenheit der Engel und Menschen« einnimmt. In einem weiteren Gedankengang geht es dann um die »Beschaffenheit des Menschen«. In Teil 1 begegnen teilweise ganz ähnliche Überlegungen in den Ausführungen über die Erkennbarkeit der Dreifaltigkeit am Menschen. In seinen Schlussüberlegungen zu Teil 1 formuliert W.: »Die drei göttlichen Personen genügen sich in ihrer gegenseitigen Liebe selbst und brauchen nichts Zu­sätzliches zu ihrer gegenseitigen Beseligung. Und doch stellen sie keinen ge­schlossenen Kreis dar. Schon in der Schöpfung hat sich die Liebe der Dreifaltigkeit nach außen geöffnet. Erst recht ge­schieht dies in der Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung des Sohnes Gottes. Das heißt umgekehrt, der Mensch ist geschaffen und erlöst, um in die Liebe der Dreifaltigkeit hineingenommen zu werden. Wenn es einen eigenständigen Beitrag der Frauen zur Trinitätslehre gibt, dann besteht er in der Betonung dieses Aspektes.« (453)
In der Regel geht W. so vor, dass er zunächst die für den entsprechenden Topos wichtigsten Zeugen und Zeuginnen mit ihren Gedanken vorstellt. Gelegentlich weicht er von der chronolo­gischen Darstellungsform ab und wählt eine systematische Be­trachtung. Die Frauenmystik wird eingebettet in das Denken der Mönchstheologie ihrer Zeit. Hildegard von Bingen, Mechthild von Hackeborn, Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Gertrud die Große, Elisabeth von Schönau, Beatrijs von Nazareth, Margareta von Magdeburg, Christina von Stommeln, Christina von Hane, Agnes Blannbekin und Maria von Oignies sind die bei ihm meistgenannten Frauen, dazu kommen weitere Texte, die nur wenig Material zu der untersuchten Fragestellung hergeben. Zu den häufig von ihm herangezogenen Theologen gehören u. a.: Bernhard von Clairvaux, Jean von Fécamp, Aelred von Rievaulx, Hugo von St. Viktor, Richard von St. Viktor, David von Augsburg, Wilhelm von Saint-Thierry, Isaak von Stella, Balduin von Canterbury. Daneben berücksichtigt W. auch anonyme Texte wie die Wiener Genesis, den Liber amoris, den Traktat Speculum virginis oder das St.Trudperter Hohelied. Ferner zieht er an etlichen Stellen zum Vergleich Aussagen nichtmystisch geprägter mittelhochdeutscher Literatur heran. Zu den Kennzeichen der Arbeitsweise von W. ge­hört, dass er grundsätzlich jedes Zitat übersetzt, das gilt nicht nur für die lateinischen, sondern auch für die mittelhochdeutschen und weiteren volkssprachlichen Quellen. Auf der einen Seite kann dieses Verfahren als leserfreundlich eingestuft werden, auf der anderen Seite wird der Lesefluss dadurch gehemmt.
Gerade die umfassenden Kenntnisse, über die W. nachweislich verfügt, erschweren insgesamt die Lektüre dieses Werkes. Überschneidungen und Wiederholungen, auf die er selbst gelegentlich hinweist, lassen sich bei seiner Art der Analyse nur schwerlich vermeiden. In der vorliegenden Form sind die zusammengetragenen Ergebnisse nicht leicht zu erschließen. Es gibt keine Register, die helfen würden, die umfangreichen Ausführungen auffinden zu können. Teilweise wäre es hilfreicher, wenn das Buch insgesamt die Gestalt eines Lexikons angenommen hätte. Für diese Veröffentlichung erscheint eine digitale Version ausgesprochen wünschenswert, denn dann wäre es möglich, die vielen hilfreichen Hinweise besser nachzuverfolgen und für die Weiterarbeit zu nutzen. So wichtig es ist, die Texte der mittelalterlichen Mystikerinnen in das theologische Denken ihrer Zeit einzuordnen, so schwierig erweist sich die hier gewählte Methode. Um einen Gewinn aus der Lektüre des Werkes von W. zu ziehen, ist ein erhebliches Vorwissen über die Mystikerinnen, ihr Denken und die wissenschaftliche Debatte hierzu erforderlich. Wer sich einen Einblick in die mittelalterliche Frauenmystik verschaffen möchte, sollte sich zunächst ihren eigenen Werken zuwenden. Erst auf dieser Grundlage können spezi­fische Fragen durch die Heranziehung der Veröffentlichungen von W. beantwortet und neue gestellt werden.