Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

716–718

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Travassos Valdez, Maria Ana

Titel/Untertitel:

Historical Interpretations of the »Fifth Empire«. The Dynamics of Periodization from Da­niel to António Vieira, S. J.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2010. XXIII, 344 S. m. Abb. 24,6 x 16,8 cm = Studies in the History of Christian Traditions, 149. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-90-04-19192-1.

Rezensent:

Kristin Skottki

Die Studie der portugiesischen Historikerin Maria Ana Travassos Valdez wurde 2008 an der Universität von Lissabon als Dissertation im Fachbereich Alte Geschichte eingereicht. Dieser Umstand er­staunt, liegt doch das Hauptaugenmerk der Untersuchung eigentlich auf den Werken des Jesuiten António Vieira (1608–1697), dennoch erhellt sich dadurch der Aufbau der Arbeit. An die 49-seitige Einleitung schließt sich ein erster Hauptteil zu den biblischen Quellen der Vorstellung vom »Fünften Reich« an (53–124), wobei dem Daniel-Buch besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, da der in ihm geschilderte Traum Nebukadnezars von der aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten Statue (Dan 2) die Grundlage für alle späteren Spekulationen und Theorien zur sog. Vier-Reiche-Lehre (und damit auch für ein Fünftes Reich) bildet. Im zweiten Hauptteil (131–219) stellt die Vfn. einige bekannte Vertreter der exegetischen Tradition der eschatologischen Periodisierungsversuche vor (Josephus, Hippolyt, Hieronymus, Augustin, Joachim von Fiore). Erst im dritten Teil (223–314) geht es dann um António Vieira und seine Interpretation.
Der Vfn. geht es nach eigener Aussage (14) darum zu überprüfen, ob und wie sich die Theorie Vieiras vom Fünften Reich (und der Weltreiche-Lehre allgemein) zur entsprechenden Theorie im Daniel-Buch verhalte. Dabei erscheint es fraglich, welchen Gewinn es für eine historische Untersuchung bringen soll, einen Text aus dem 2. Jh. vor Christus mit prophetischen Schriften eines Jesuiten aus dem 17. Jh. zu vergleichen. Ihr Ergebnis, dass Vieiras Werke zwar keinen Bruch mit den Interpretationen aus Daniel und der Offenbarung des Johannes darstellen, sie aber auf dem Hintergrund der eigenen politischen Gegenwart Vieiras eine deutliche Akzentverschiebung erfahren (321), erscheint recht banal angesichts der Tatsache, dass die Aktualisierung und Anpassung an neue Gegebenheiten gerade das Kernelement jedweder Form prophetisch-apokalyptischer Literatur bildet. Diese Banalität des Ergebnisses ergibt sich wiederum aus der insgesamt konzeptionell schiefen Anlage der Untersuchung.
Offenbar ist es dem angestrebten Doktorgrad in der Alten Ge­schichte geschuldet, dass 193 Seiten von den insgesamt 321 Seiten den biblischen und patristischen Traditionen der Welt- und Endzeitperiodisierungen gewidmet sind. Doch leider speisen sich die Informationen in diesem Teil zumeist aus allgemeingeschichtlichen Überblicksdarstellungen. Die Vfn. bringt – verständlicherweise – nicht das notwendige theologisch-exegetische Rüstzeug mit, um hier insbesondere dem theologisch geschulten Leser Wissenswertes zu bieten, das er nicht an anderer Stelle schon besser gelesen hätte.
Darüber hinaus erscheint es problematisch, dass die Vfn. entscheidende Traditionen, die die Interpretation von Vieira zweifellos ebenso stark prägten wie die biblischen und patristischen Traditionen, außen vor gelassen hat. Denn die entscheidenden Akzentverschiebungen, die sie bei Vieira diagnostiziert, sind vornehmlich mittelalterliche Modifizierungen der biblischen Endzeitszenarien: zum einen die Idee der »translatio imperii«, also die Übertragung der danielischen Vier-Reiche-Lehre auf die mittelalterlichen, mit­teleuropäischen Kaiser- und Königreiche; zum anderen die Vorstellungen vom Endzeitkaiser und Engelspapst, die natürlich erst Teil der Tradition werden konnten, als Kaisertum und Papsttum als Institutionen in Europa etabliert waren. Zudem erscheint fraglich, warum sie nur den klassischen Kanon betrachtet, jedoch nirgends Ausführungen zu den apokalyptischen Traditionen auf der iberischen Halbinsel macht, die etwa in den sog. Beatus-Apokalypsen aus dem Hochmittelalter greifbar wären.
Ein weiterer handwerklicher Mangel der Arbeit ist, dass auch die Untersuchung der Schriften Vieiras zu stark auf Sekundärquellen und Sekundärliteratur fußt und zu wenig auf den Originalquellen. Zwar erwähnt die Vfn. die überaus diffizile Überlieferungslage der Hauptwerke Vieiras, doch nutzt sie dies nicht als Chance, daraus eine fraglos spannende Rezeptionsgeschichte zu schreiben. Stattdessen beschreibt sie beispielsweise den Inhalt von Vieiras »Clavis prophetarum« nach der Darstellung von João Lúcio de Azevedo (von 1931), der wiederum nur aus dem Inquisitionsbericht von Carlo Casnedi (1643–1725) zitiert. Bei einer solch doppelten Vorauswahl und damit auch Verzerrung ist es sicherlich schwierig tatsächlich bis zu Vieiras eigener Interpretation vorzudringen.
Schließlich ist auch das Verhältnis von Redundanz und mangelnden Hintergrundinformationen zu beklagen. Allgemeines und Altbekanntes wird ständig in leicht modifizierter Form wiederholt (man vergleiche nur S. 317, wo allein drei Mal beschrieben wird, dass das »eschatologische Phänomen« kultur- und zeitübergreifend sei). Dagegen werden schon in der Einleitung mehrmals der portugiesische Prophet António Gonçalves de Bandarra und sephardische Rabbis in den Niederlanden erwähnt, doch nirgends wird klar dargelegt, wer diese Personen genau waren und welche Bedeutung sie für Vieiras Arbeit tatsächlich hatten. Zwar erwähnt die Vfn. eingangs, dass ihre Arbeit auch dazu gedacht sein soll, António Vieira und sein Werk über die Grenzen der portugiesischsprachigen Welt hinaus bekannt zu machen, doch gerade dafür wäre eine wesentlich reichhaltigere Kontextualisierung not wendig gewesen, eben weil bisher kaum englischsprachige oder in anderen gängigen Wissenschaftssprachen abgefasste Untersuchungen zu Vieira vorliegen.
So bleibt letztlich auch recht undeutlich, was denn nun das Besondere und vielleicht auch das Neuartige an Vieiras Interpretation des »Fünften Reiches« ist. Dass es sowohl ein innerweltlich-zeitliches und zugleich ein spirituell-unendliches Reich sei (vgl. 260), in dem Vieira selbst lebe, ist im Anschluss an Joachim von Fiore nicht sonderlich neu. Dass aber Vieira davon überzeugt war, dass der portugiesische König Johann IV. wieder auferstehen würde, um dann gemeinsam mit dem Engelspapst das Fünfte Reich zu regieren, ist sicherlich etwas Neues und Einzigartiges. Auch die Vorstellung einer doppelten Evangelisation der Welt – zuerst im Gefolge der Apostel die Bekehrung aller bekannten Völker und am Ende der Zeit schließlich aller »Heiden« (gemeint sind hier Muslime) und Juden – ist eine Besonderheit, gerade weil Vieira Portugal und Spanien als den »Entdeckern« von Völkern, die Gott bis dahin nicht gekannt hätten, eine heilsgeschichtliche Rolle zuweist. Besondere Aufmerksamkeit verdiente auch Vieiras Vorstellung, dass erst am Ende des Fünften Reiches die Muslime und Juden bekehrt würden .– Die Ablehnung der Zwangsbekehrung der sephardischen Juden dürfte, wie die Vfn. zu Recht erwähnt, sicherlich ein Hauptgrund für die Verfolgung Vieiras durch die portugiesische Inquisition gewesen sein. Doch leider werden diese Punkte nicht mit der nötigen Sorgfalt und Ausführlichkeit dargelegt.
Hätte die Vfn. Vieiras Schriften auf dem Hintergrund dieses vielschichtigen Geflechts – Rolle der Inquisition, des Jesuitenordens, des portugiesischen Königshauses, des Handels, der Juden, Brasiliens und Vieiras Verhältnis zu der dortigen indigenen Bevölkerung – zu interpretieren versucht, so hätte der des Portugiesischen nicht mächtige Leser nicht nur mehr über den sog. »Apostel der Indianer Brasiliens« erfahren, sondern auch über apokalyp­-tische Geschichtsdeutungen im 17. Jh. und die interkulturelle Missions- und Kirchengeschichte Portugals.
So bleibt das Werk aber ein halbherziger Versuch einer Art Ideengeschichte über einen Zeitraum von beinahe 1900 Jahren, die dem theologisch interessierten Leser nicht viel Neues zu bieten hat, aber den historisch interessierten Leser vielleicht immerhin dazu ermutigt, nach anderen Werken über António Vieira Ausschau zu halten.