Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

684–686

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnauß, Markus

Titel/Untertitel:

Die Jesus-Geschichte als Repräsentation des Erhöhten. Der Erhöhungsgedanke als innere Orientierung des Lukasevangeliums – eine bibeltheologische Studie.

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. XXXII, 215 S. u. Abb. im Anhang. 23,0 x 16,5 cm = Erfurter Theologische Studien, 100. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-03369-9.

Rezensent:

Hans Klein

Diese schöne, in sich geschlossene Studie von Markus Schnauß ist eine synchronische Lektüre des Lukasevangeliums unter dem Ge­sichtspunkt der Erhöhung Jesu. Es wird davon ausgegangen, dass Jesus durch die Himmelfahrt erhöht wurde und als Erhöhter die Seinen begleitet. Sein Evangelium ist also nicht nur eine Be­schreibung dessen, was gewesen ist, sondern eine Darstellung unter der Perspektive, dass der Jesus von einst den Seinen in seinem Geist gegenwärtig bleibt (16.18). Für diese Aussage kann S. sich auf Lk 24, 49 berufen, wonach Jesus den Geist, die Verheißung des Vaters, senden wird (183.193). Damit soll die einseitige Sicht von Lukas als Historiker, aber auch die, wonach er eine theolgia gloriae geschrieben habe, neu beleuchtet werden.
Nach einer kurzen Einführung, in der er die wichtigsten Konzeptionen über die Theologie des Lukas kurz streift und auf das Ende des Lukasevangeliums, die Himmelfahrt, als dessen Ziel und Mitte des Gesamtwerkes hinweist (1–5), hebt S. die Bedeutung des Erhöhungsgedankens im Evangelium als »Lesehorizont« hervor und beschreibt das Ziel seiner Arbeit (6–27). Er ist fest davon überzeugt, dass für Lukas das Bekenntnis zum Erhöhten bestimmend für seine Darstellung ist. Man ist dazu angehalten, ohne dass S. dies ausspricht, vorauszusetzen, dass für Lukas etwa folgendes Glaubensbekenntnis tragend war: »Ich glaube an Jesus, den Gottessohn, Christus und Herrn, den Retter und Menschensohn, geboren von der Jungfrau Maria, der Kranke heilte, Sündern Vergebung brachte und Dämonen austrieb, unter Pilatus gekreuzigt wurde und starb, auferweckt und zur Rechten Gottes in den Himmel erhöht wurde.«
Da Lukas an keiner Stelle von einem Bekenntnis und schon gar nicht von einem Bekenntnis zum Erhöhten spricht, handelt es sich hier um eine Auslegung im wahrsten Sinne des Wortes, in der der Ausleger mehr weiß und wissen darf als der Schreiber des jeweiligen Textes. Damit dringt S. stimulierend in die Forschung ein, die bisher nicht herausgestellt hat, welche Funktion der zur Rechten Gottes sitzende Menschensohn in der Zeit zwischen Auferstehung und Parusie hat. Paulus hat zum Kyrios eine persönliche Beziehung gehabt, Matthäus spricht davon, dass der Auferstandene bei seinen Jüngern ist (Mt 18,20; 28,20). Eine entsprechende Aussage fehlt bei Lukas. S. hört die Texte unter der Voraussetzung neu, dass auch Lukas vom Gedanken getragen war, dass der Auferstandene weiterhin wirkt. Er macht das an den Aussagen der Apg fest, wonach die Apostel im »Namen Jesu« Wunder wirken, wie Apg 3,6; 4,10 u. ö. festhalten, und betont, dass der Kyrios von Lk 6,46 der Herr ist, zu dem sich die Gemeinde nach Apg 2,36; 8,16 u. ö. bekennt (87). Das Trostwort Jesu vor Paulus in Apg 18,9 zieht er in diesem Zusam­menhang nicht heran, leider auch nicht die Aussage in Apg 17,30, wonach der Wiederkommende »den Erdkreis in Gerechtigkeit richten (wird)«, was voraussetzt, dass er das Geschehen auf der Erde begleitet.
S. ist ausschließlich an einer Lektüre des Lukasevangeliums in­teressiert, die die fortschreitenden Gedanken nachzeichnet, um am Ziel mit der Himmelfahrt zu enden. Jeder Seitenblick auf Quellen fehlt. Im Exkurs zum Reisebericht (121–123) geht er auf Probleme der Forschung, in jenem zur Himmelfahrt (188–192) auf religionsgeschichtliche Parallelen ein. Hingegen sind Verweise auf ähnliche Aussagen innerhalb des Evangeliums häufig. Das ist die Stärke dieses Buches.
Seiner Tendenz entsprechend, das Evangelium in seiner Ge­samtheit in den Blick zu bekommen, ist S. an der Gliederung des Evangeliums viel gelegen. Er unterscheidet vier große Teile, die er auch gesondert eingehend betrachtet: Das Kommen des Offenbarers (1,5–2,52: 31–62); die Offenbarung des Offenbarers (3,1–9,50: 63–117); die Entscheidung für oder wider den Offenbarer (9,51–19,27: 119–159) und die Erhöhung des Offenbarers (19,28–24,53: 161–206), wobei der Himmelfahrtsgeschichte besonders sorgfältig nach­gegangen wird (185–202). Das Ergebnis wird auf den Seiten 207–215 zu­sam­mengefasst.
Damit wird die streng christologische Ausrichtung der Studie deutlich. Dass man auch anders gliedern kann, ist S. wohl bewusst. Innerhalb dieser Teile geht er auf Einzeltexte gesondert ein. Der Durchgang ist auf die Christologie fokussiert. Das zeigt die Einführung des für Lukas untypischen Begriffs des Offenbarers, wie er selbst (14, Anm.51) festhält. Es geht S. aber nicht um eine umfassende Christologie, sondern um deren Konzentration auf die Er­-höhung. Darum fehlt eine Betrachtung von Lk 5,1–11 oder von Lk 15, 1–3, Texten, die man gerne zumindest kurz besprochen gesehen hätte. Auch die Aussage Lk 23,43, wonach Jesus mit dem Schächer im Pa­radies sein wird, ist nur beiläufig erwähnt (212).
S. spricht richtig von zwei Ebenen, der Leserebene und der Handlungsebene (13.14, mit Anm. 50.208 f.212), einer historischen, die die einstigen Abläufe festhält, und einer »geistlichen«, die die Aktualität der Texte im Auge hat. Wörtlich stellt er fest: »Sein [des Lk] Bemühen, die vorösterliche ›Biographie‹ Jesu und das nachösterliche Bekenntnis der Kirche miteinander zu verknüpfen, ist auch eine konsequente Umsetzung der eigenen geschichtlichen Situation.« (13)
S. hat eine Reihe von wertvollen Beobachtungen zum dritten Evangelium in seiner Gesamtheit und an vielen Einzeltexten ge­macht, an denen die Forschung nicht achtlos vorübergehen kann. Auch wenn die beiden für S. so wichtigen Worte »Bekenntnis« und »Erhöhung« in dieser Weise bei Lk nicht begegnen, ist der Ansatz fruchtbar und fordert zu einer neuen Sicht dieses erzählenden Evangeliums heraus, das als Erzählung nie auf einen einzigen Nenner gebracht werden kann.