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Ausgabe:

Juni/2012

Spalte:

649–651

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Otto, Bernd-Christian

Titel/Untertitel:

Magie. Rezeptions- und diskursgeschichtliche Analysen von der Antike bis zur Neuzeit.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2011. XII, 699 S. 23,0 x 15,3 cm = Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, 57. Geb. EUR 159,95. ISBN 978-3-11-025420-4.

Rezensent:

Peter Busch

Es mag angesichts der sehr vielfältigen einschlägigen Veröffentlichungen nicht allzu vermessen sein, das Themenfeld »Magie« als »liebs­tes Kind« des Religionswissenschaftlers anzusprechen. Doch gleichzeitig scheint zu gelten, dass dieses »liebste Kind« ein »Problemkind« ist. Keine zeitnahe Studie zum Thema kann es sich leis­ten, den Magiebegriff nicht zu problematisieren, auf die Vielzahl konkurrierender Definitionen aus unterschiedlichsten Fachdisziplinen nicht hinzuweisen und den offenkundigen Forschungsdissenz nicht zu konstatieren. Die Zeiten, in denen etwa W. J. Goode mit dem Vorschlag bipolarer Kategorien zur substantiellen Verhältnisbestimmung von »Magie« gegenüber »Religion« ernsthafte Debatten auslösen konnte, sind längst vorbei. Der »Zerfall der Kategorie«, den H. Kippenberg bezüglich der Magie schon in den 70er Jahren des letzten Jh.s glaubte feststellen zu können, hat sich spätestens im Licht postmoderner Kommunikationstheorie deutlich bewahrheitet – die schon vor gut 20 Jahren formulierte Einsicht H. Versnels (Numen 38, 1991), es gebe eigentlich weder Magie noch Religion, sondern es gebe lediglich nur unsere Definitionen dafür, mag für diese Tendenz programmatisch stehen.
Wer aus den 700 Seiten dieses Buches – es handelt sich um eine Überarbeitung einer 2009 in Heidelberg eingereichten religionswissenschaftlichen Dissertation (Gutachter Gregor Ahn und Michael Stausberg) – nun eine neue und endgültige Definition des Begriffs »Magie« herauslesen möchte, wird dementsprechend enttäuscht sein. Die Frage nach einem derartigen »substanziellen Magiebegriff« wird an mehreren programmatisch gefassten Stellen dieses Buches heftig abgelehnt – und zwar nicht nur als Gegenstand der Studie, sondern sogar darüber hinaus als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung überhaupt. Bernd-Christian Otto möchte etwas ganz anderes: Er beschreibt variationsreich und vielschichtig die sprachliche Auseinandersetzung mit »Magie« in unterschiedlichen geschichtlichen Gemeinschaften; es geht ihm letztendlich nicht um »Magie«, sondern um den Magiediskurs in verschiedenen historischen Milieus und in seiner Entwicklung. Die methodische Grundlage hierzu wird auf den ersten 36 Seiten mit dem üblichen Repertoire pragmatischer Modellbildung entfaltet, die Ausführungen zur Rezeptionsästhetik (eher in deutscher Prägung nach Gunter Grimm), zur Diskursanalyse (auf der Grundlage vor allem von Michel Foucault) und zur Konstruktivität bzw. Dekonstruktion des Gesprächsgegenstandes (vor allem nach Jacques Derrida) geben die grundsätzliche Richtung an: Magie ist das, was in bestimmten Milieus als Gattungsbegriff für ein bestimmtes Quellensegment sprachlich ausgehandelt, also kommuniziert wurde; diesen Kommunikationsakt oder Diskurs gilt es nachzuvollziehen – besonders dann, wenn er eine breite Wirkungsgeschichte entfaltet.
In einem größeren ersten Teil (39–132) wird der »akademische Magiediskurs« beschrieben, den O. mit James Frazer und Émile Durkheim beginnen lässt. Die Exponierung gerade dieser Autoren aus der Patrologie der Religionswissenschaft als Diskursgründer mag der religionswissenschaftlichen Perspektive O.s zugerechnet werden, andere Magieforscher aus den Nachbardisziplinen (wie etwa der Altertumswissenschaft) mit entsprechender Wirkungsgeschichte wären sicherlich genauso als »akademisch« anzusprechen. O. arbeitet sich hier an Kippenbergs eingangs erwähnter Formel vom »Zerfall einer Kategorie« ab und beschreibt differenziert, wie in seiner Zunft das Problembewusstsein gegenüber dem Begriff der »Magie« gereift und bis zum aktuellen Stadium der Unübersichtlichkeit breit entfaltet wurde. Ein gewisser Zug von Leidenschaftlichkeit blitzt bei O. an denjenigen Stellen auf, an denen er ein­zelnen Diskursteilnehmern trotz deren explizitem Problembewusstsein bezüglich eines eindeutigen Magiebegriffes eine latente »sub­stanzielle Magiedefinition« nachweisen kann – wie etwa bei einer neueren Studie zur alttestamentlichen Magie (130–132). »Ge­gen implizite, unbewusst wirkende Vorverständnisse scheint in der akademischen Magiedebatte kein Kraut gewachsen«, so stellt O. ergeben fest (131). Dies ist gerade nicht das, was er möchte, sondern er hängt am wissenschaftlichen Ideal einer rein deskriptiven, wertfreien und bezüglich der Ausgangspositionen expliziten Darlegung dessen, was unter »Magie« verstanden wird – und vor diesem Hintergrund kann seine Gesamteinschätzung nur ernüchternd ausfallen: Der Magiebegriff, so bringt er es auf den Punkt, er­weist sich als ungeeignet, einen »trennscharfen, wertneutralen und potenziell erkenntnisgenerierenden Gegenstandsbereich ab­zubilden« (135). Wie soll die Kultur- und Religionswissenschaft also künftig verfahren, wenn es um »Magie« geht? Wie O. in seinen ab­schließenden »Synthesen« (615–656) genauer ausführt, wäre ein sub­ stantiell nach dem oben beschriebenen wissenschaftlichen Ideal O.s gefasster Religionsbegriff besser geeignet, die einschlägigen Phänomene zu beschreiben.
Dieser Vorbehalt gegen einen abgrenzbaren Gegenstandsbereich namens »Magie« ist nun keineswegs neu, gewinnt aber hier nicht nur durch die Darstellung der Forschungsgeschichte, sondern insbesondere durch die Ausführungen im eigentlichen um­fangreichen Hauptteil (135–614) eine neue Plausibilität. In diesem Hauptteil werden aus dem dichten Gewebe abendländischer Magievorstellung der letzten 2500 Jahre sechs unterschiedliche Ma­giedis­kurse herausgeflochten und in tendenziell zeitlicher Anordnung als Fallbeispiele präsentiert. Den ersten drei beschriebenen Traditionslinien aus der Antike ist die polemische Verwendung des Magiebegriffs gemein (»das da ist Magie, und es ist verwerflich!«): zunächst die Übernahme der persischen »magus«-Bezeichnung als stigmatisierendes Etikett im klassischen Griechenland, dann der juristische Aspekt im römischen Umfeld anhand des quellenmäßig recht gut dokumentierten Magieprozesses gegen den platonischen Philosophen Apuleius und schließlich der durch Magievorwürfe gekennzeichnete christliche Diskurs bis Augustinus.
Die weiteren drei Traditionslinien rezipieren Magie positiv (»wir machen Magie, und das ist gut!«) – »identifikatorischer Aufwertungsdiskurs«, wie er von O. genannt wird. Dabei kommen zuerst die Zauberpapyri und Defixionen der Spätantike zu Wort, zweitens dann die positive Rezeption von »Magie« in der Renaissance (insbesondere bei Marsilio Ficino und Pico della Mirandola) und schließlich moderne Hinwendung zur Magie nach der Aufklärung (Eliphas Lévi Zahed, Helena Blavatsky, Aleister Crowley).
Dieser Querschnitt durch zweieinhalb Jahrtausende Religionsgeschichte ist freilich mutig, zumal in jedem Zeit- und Themensegment die unterschiedlichen Einzeldisziplinen anhaltend für sachlichen Tiefgang sorgen, der in dieser Arbeit aufgrund deren Disposition unmöglich zur Gänze ausgelotet werden kann. Dennoch ist die Rekonstruktion dieser sechs Diskurse mit großer Belesenheit und beträchtlicher Materialfülle in zahlreichen Fußnoten wissenschaftlich abgesichert – beachtliche 5 % der 700-seitigen Ar­beit machen am Ende das engbedruckte Literaturverzeichnis aus. Insofern ist die Lektüre der rekonstruierten Diskurse nicht zuletzt aufgrund des zeit- und fachübergreifenden Charakters – obwohl Vertreter der unzähligen einzelnen Fachdisziplinen, die O. streift, zu Spezialfragen sicherlich kritische Einwände vorbringen werden – ein Bildungserlebnis.
Mit der vorliegenden Studie hat O. ein Buch auf den Markt gebracht, das schon durch die Prägnanz seines Titels Anspruch auf den Platz des neuen »Standardwerkes« zum Thema anmeldet. Der künftige Diskurs wird über diesen Platz zu entscheiden haben – in methodischer und in sachlicher Hinsicht wäre es jedenfalls ein grober Fehler, die vorliegende Studie bei der weiteren Magiediskussion zu ignorieren.