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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

541–543

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Böcher, Otto

Titel/Untertitel:

Johannes-Offenbarung und Kirchenbau. Das Gotteshaus als Himmelsstadt.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie; Ostfildern: Patmos 2010. 228 S. m. zahlr. Abb. 22,0 x 14,5 cm. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-7887-2455-9 (Neukirchener Theologie); 978-3-491-72574-4 (Patmos).

Rezensent:

Michael Bachmann

Das vorzustellende Buch ersetzt wohl einen einst geplanten Ergänzungsband der EKK-Auslegung zur Offenbarung des Johannes. Dass Otto Böcher nun eine selbständige Veröffentlichung vorlegt, ist m. E. ein Gewinn. Sie erreicht so – schon angesichts des mäßigen Preises – einen größeren Adressantenkreis, ist auch in der Tat für Neutestamentler, Theologen allgemein, speziell für Kirchenpädagogen, Kunstgeschichtler und kulturell Interessierte überhaupt von erheblicher Relevanz. B. ist als promovierter Kunstgeschichtler und Neutestamentler, der zur Johannesoffenbarung eine Reihe wichtiger Veröffentlichungen vorgelegt hat, für ein solches Unternehmen bestens gerüstet, und er weiß um die in diesem fächerübergreifenden Bereich bestehende Lücke (9). Mit dem 2004 publizierten Kommentar (»Revelation«) von J. Kovacs und Ch. Rowland gibt es immerhin ein (von B. [141 f.] nicht erwähntes) englischsprachiges Pendant (vgl. überdies G. Quispel [1979]); es betrifft indes Exegese und Rezeptionsgeschichte generell und berücksichtigt dabei kaum den Kirchenbau. Und in den betreffenden umfangreicheren Veröffentlichungen von F. van der Meer (1978) und G. Schiller (1990/91) kommt die Bibelauslegung selbst zu kurz. B. nun verbindet den exegetischen und den – hier durch den Aspekt »Kirchenbau« akzentuierten – rezeptionsgeschichtlichen Zugang, und er bringt dabei eine Fülle von sonst nicht gebotenem Material zur Sprache, ferner bemerkenswerte Deutungsmöglichkeiten.
Gemäß der in der »Einleitung« (11–13) angesprochenen Disposition folgen zunächst einige Auslegungshinweise (14–17), darunter ein Gliederungsvorschlag (15 f.), sodann, bei besonderer Betonung auf Apk 21,1–22,5 (vgl. Gal 2,9; Eph 2,17/18–22; 1Petr 2,4–6; Apk 3,12), grundlegende Hinweise zum dort begegnenden Konnex von Es­chatologie und Ekklesiologie, der Anlass zu einer betreffenden Kirchenarchitektur und -theorie gegeben hat (18–27); dabei wird insbesondere – unter Verweis auf Ch. Markschies (1995) und mit einem längeren Zitat aus Abt Sugers (12. Jh.) De consecratione – zu Recht die nicht zuletzt durch E. Panofsky etablierte kunstgeschichtliche Auffassung zurückgewiesen, der gotische Kirchenbau sei primär mit »Spuren der neuplatonischen Lichtmetaphysik« (22) zu erklären. Es gilt nach B. vielmehr (was man wohl ein wenig vorsichtiger formulieren sollte): »nicht nur die gotische Kathedrale, sondern jedes irdische Gotteshaus spiegelt Apk 21 f. und ist da­durch eine Abschattung des künftigen Heils« (27). Das wird im Zentrum des Buchs (29–124) näher ausgeführt, in dem abschnittsweise eine Übersetzung des griechischen Texts des letzten Bibelbuches, eine »Kurzexegese« und wirkungsgeschichtliche Ausführungen aufeinander folgen, welche nicht selten auf den »Bildteil« (151–228) verweisen (vgl. 143 f.) – auf den sich auch der zweiteilige »Anhang« bezieht, dem es um »Moderne Kirchenbauten unter dem Einfluss der Johannes-Apokalypse« (125–133) und um »Illustrationen der Johannes-Apokalypse« (133–140) zu tun ist. (Die Erschließung des Buches wird im Übrigen durch ein »Sachregister« [145–147], in dem auch Künstler Berücksichtigung finden, und durch ein »Ortsre­gister [147–149] erleichtert, während ein Stellenregister fehlt.)
Die knappen exegetischen Bemerkungen verbinden traditionsgeschichtliche und synchrone Beobachtungen, gehen zudem nicht deutlich, nicht explizit auf wissenschaftliche Kontroversen ein. Umgekehrt spielen hier natürlich von B. früher gewonnene Auffassungen eine erhebliche Rolle, so bei der These vom erheblichen Einfluss astrologischer Konzepte (z. B. 19–21), bei der Auffassung, das »Lamm« (Apk 5,6 u. ö.) sei gerade auch als »Widder« zu begreifen (43 f.), bei der Annahme zahlreicher vaticinia ex eventu (nur 18), bei der (zumal auf Apk 12 f. [vgl. 16,13; 20,10] bezogenen) Redeweise von einer »teuflischen Trinität« (69) und bei der Einschätzung des ersten apokalyptischen Reiters (von Apk 6,1 f.) als »Dämon des Völkerkriegs« (88; vgl. 47) – dem die ebenfalls auf einem Schimmel daherkommende Gestalt von Apk 19,11–13 »nur durch einen traditionsgeschichtlichen Zufall« (88) ähnele. Das sind teils richtige Ak­zentuierungen. Aber etwa bei Apk 6,1 f. kann man – das habe ich verschiedentlich ausgeführt (etwa NTOA 91, 405–426) – aus diachronen und synchronen Gründen (Theophanie [s. nur Ez 9,2–4; 2Thess 1,5–7]; »weiß« [Apk 1,14 u. ö.]) sehr wohl anders urteilen (vgl. immerhin: 51.54.70). Traditionsgeschichtlich ist überdies im Blick auf Apk 12,1 das Fehlen eines Hinweises auf das Motiv »Isis auf der Mondkugel« zu bedauern, exegetisch ferner die Vernachlässigung des Verses Apk 11,1 (59 f.), zumal das Nebeneinander von 11,1 und 11,2 möglicherweise für das Verhältnis von himmlischem Tempel und irdischen Baulichkeiten in­teressant ist (vgl. dazu etwa NTOA 91, 397–404). Auch mag man fragen, ob die Formulierungen, die »die Kirche« als »das neue, wahre Israel« betreffen (21; vgl. zumal 49.64), nicht etwas zu salopp gewählt sind, wenn zugleich Apk 11,13 als »Weissagung einer endzeitlichen Bekehrung der Juden zu Jesus« (60) begriffen und das Miteinander von zwölf Stämmen und zwölf Aposteln in Apk 21,12–14 hervorgehoben wird (z. B. 21.98 f.). Solche Anfragen än­dern indes nichts daran, dass B. beachtliche exege­tische Hinweise gibt, etwa auch hinsichtlich der Geschichte der korporativen Frauengestalten von Apk 12; 17 f. und 21 f. (vgl. 19,7–9) (z. B. 64.81), ferner zum Gegenüber der positiv gezeichneten Fi­gur(en) und der »großen Hure« (Apk 17,1; 19,2), dem »großen Babylon« (z. B. Apk 18,2; bes. 81 f.), das B. übrigens mit guten Gründen auf Rom bezieht (ebd.).
Unter wirkungsgeschichtlichen Aspekten ist B.s Buch ohnehin eine Fundgrube an Einsichten und (oft aus Südwestdeutschland stammenden) Daten. Wenige Hinweise müssen reichen. Man kann natürlich angesichts der enormen Ausstrahlung der in Luthers Septembertestament von 1522 kennzeichnenderweise al­lein durchgehend illustrierten (133–135) Johannesapokalypse auf die Historie des Abendlandes – man denke, abgesehen vom Kirchenbau, nur an Chiliasmus und politische Utopien (bes. 94 f.) – eine komplette Auflistung von Dokumenten und Interpretationsvarianten nicht er­warten, und ich finde es insbesondere schade, dass die über viele Jahrhunderte hin nahezu einhellig positive Re­zeption von Apk 6,1 f. (s. dazu nur NTOA 91, 449–477.452–464), die sich z. B. auf dem betreffenden Blatt der Beatus-Handschrift von Burgo de Osma (ebd., 474, Abb. 2) im Kreuzesnimbus des ersten apokalyptischen Reiters niederschlägt (ferner auch in dem auf Apk 6,1–8 zu beziehenden Relief am Südwestportal der Kathedrale zu Reims; ebd., 436 f.), bei B. keinerlei Rolle spielt (vgl. immerhin 134 f.), ob­wohl sie doch gut zu der auch von ihm vertretenen Einschätzung der Johannesoffenbarung als »Trostbuch« (s. 17) passt. Indes, auch ohne Bemerkungen da­zu zu finden, wird man durch B.s Ausführungen reich be­schenkt. Das gilt für Aussagen zu einer mit Chris­tus verknüpften Lichtsymbolik und zur Ostung von Kirchengebäuden (z. B. 32 f.), zur Verbindung gotischer Wasserspeier mit Apk 12,15, entsprechend auch für die Deutung von Kirchen umgebenden Friedhöfen im Sinne der nach 12,16 das teuflische Wasser bewältigenden Erde (67).
Erhellend ist auch, was zu den Fabelwesen an solchen Wasserspeiern und auch an anderen Stellen mittelalterlicher sakraler Bauten gesagt wird (55): »zumeist als spielerische Erzeugnisse der künstlerischen Phantasie gedeutet«, sind sie doch nicht zuletzt durch Apk 9,17–19 bedingt. Überdies und vor allem wird das Kirchengebäude gerade auch aufgrund von Apk 21,1 ff. (samt rück­wärtigem Kontext) als vorweggenommenes himmlisches Jerusalem gedeutet (bes. 100), und das betrifft eine Fülle von Bedeutungsmomenten, nämlich z. B.: die Trennung von außen (Apk 22,15) und innen, nicht zuletzt mittels apotropäischer Tierfiguren (bes. 119) zum Ausdruck gebracht, auch etwa mittels der figürlichen Darstellung einer »teuflischen Trinität« (z. B. 64 f.); die ebenfalls einer Scheidung zweier Bereiche dienende Gestaltung von Gerichtstympana und entsprechend auch von Lettnern (95 f.); die durch Apk 6,9–11 mitbedingte Verbindung von Altar, Reliquien und Krypta (48); die (von Jesuiten des 17. Jh.s kritisierte!) Interpretation der Frau von Apk 12 als Maria, z. B. durch den Typus der »Strahlenden Muttergottes« (65 [f.]); die vor allem durch Apk 21,19 f. veranlasste (bau­-liche) Verwendung von hochwertigen Materialien und Edelsteinen (s. bes. 104–112). Auch der Einfluss von christlichen Bauten in Jeru salem (u. a.: Grabeskirche) auf die abendländische Architektur (Zentralbauten; »Grab Christi«; Kreuzweg) gehört in diesen Zusam­menhang (s. bes. 60–62). Zwei Lesefrüchte seien noch erwähnt: zum einen die attraktive Hypothese B.s, das des Öfteren als Tetramorph begegnende Reittier der ecclesia (s. 159, Abb. 7) verdanke sich nicht allein den Bemerkungen zumal von Apk 4,6–8 zu den vier »Wesen« an Gottes Thron, sondern auch dem Gegenüber zu »der auf dem vielköpfigen Ungeheuer reitenden Frau« von Apk 17,1–6 (83; vgl. 41), der »großen Hure« also, und zum anderen die von H. Möhring (2004) übernommene These, der »Bamberger Reiter« (173, Abb. 24) meine nicht etwa einen weltlichen Herrscher, vielmehr den Mes­-sias-Reiter von Apk 19,11–16 (90: ohne Waffen; einst weiß und mit einem teils rotgefärbten Gewand).
Zusammengefasst: Das vorgestellte Buch ist natürlich nicht einfach perfekt. Die intensive Lektüre ist aber sehr zu empfehlen, schon weil sie wichtige Sachverhalte der abendländischen Kunstgeschichte und vor allem des Kirchenbaus (u. a. auch: Auswahl eines oft hochgelegenen Baugrundes; nicht selten burgartiger Cha­rakter; zwölfteilige Radleuchter; Apostelpfeiler) in die Johannesoffenbarung (und noch weiter) zurückzuverfolgen erlaubt.