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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

325–327

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lange, Dietz

Titel/Untertitel:

Nathan Söderblom und seine Zeit.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 480 S. 23,2 x 15,5 cm. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-525-57012-8.

Rezensent:

Heinrich Holze

Das Buch lenkt den Blick auf »eine der faszinierendsten Gestalten in der Kirchen- und Theologiegeschichte« (7) des frühen 20. Jh.s. Nathan Söderblom (1866–1931) galt zu seiner Zeit als bedeutender Religionswissenschaftler, Religionsphilosoph und Theologe, der sich mit seiner universalen Gelehrsamkeit in die Diskurse der Fachdisziplinen einbrachte. Darüber hinaus prägte er als schwedischer Erzbischof nicht nur das Leben seiner lutherischen Heimatkirche, sondern setzte sich für eine Verständigung der Konfessionen und für den Frieden in der Völkerwelt ein. Weil ihm dafür der Friedensnobelpreis verliehen wurde, genießt Söderblom in den nordischen Ländern bis heute höchste Wertschätzung, was sich in der großen Zahl wissenschaftlicher und allgemeinverständlicher Publikationen, die über ihn erschienen sind, zeigt. In Deutschland hingegen, wo Söderblom sogar mehrere Jahre als Gastprofessor verbrachte, ist über ihn nur wenig bekannt. Dietz Lange, em. Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Göttingen, füllt mit seiner großen Biographie diese Lücke. Bereits vor wenigen Jahren gab er mit der Edition einer Auswahl aus Söderbloms brieflicher Korrespondenz (Göttingen 2006) einen Anstoß zur Wiederentdeckung des bedeutenden Theologen und Kirchenmannes. Mit dem anzuzeigenden Band hat er nun die Früchte seiner langjährigen Beschäftigung mit Söderblom vorgelegt.
L. hat für seine Darstellung den biographisch-chronologischen Aufbau gewählt. In acht Kapiteln, die von der Kindheit bis zu den letzten Lebenstagen reichen, werden die biographischen Abschnitte des Lebens und Wirkens Nathan Söderbloms beschrieben. Um diese historisch zu verorten, ist eine »Einleitung« (13–54) voran­gestellt, die die Verhältnisse an der Wende vom 19. zum 20. Jh. und damit die Verstehensvoraussetzungen dieser Biographie be­schreibt: die wirtschaftliche Rückständigkeit des schwedischen Königreichs, das spannungsvolle Verhältnis zu den benachbarten Ländern im Norden, die kulturellen Verbindungen mit Frankreich und Deutschland, das politische Streben nach Neutralität, den Einfluss des romantischen Idealismus im Bürgertum, die positivistisch-nihilistischen Tendenzen in der Arbeiterbewegung, schließ lich die von einer konservativen Grundhaltung geprägte luthe­-rische Staatskirche, in der jedoch hochkirchliche und von der Erweckungsbewegung beeinflusste Strömungen gegeneinander standen. In diesem Spannungsfeld verbrachte Söderblom seine »Jugend- und Lehrjahre« (57–100). Aus einem nordschwedischen Pfarrhaus stammend wuchs er im Geist der Erweckung auf und begann erst während der Studienjahre in Uppsala, sich mit den Anfragen liberaler historischer Theologie auseinanderzusetzen. Kurze Zeit nach der Ordination wurde er »Pfarrer in Paris« (101–132). Als Leiter der schwedischen Auslandsgemeinde eröffneten sich ihm nicht nur neue gesellschaftliche Perspektiven, sondern er konnte an der Sorbonne auch seine religionsgeschichtlichen Studien vertiefen. Dass er sie mit der Promotion abschloss, ebnete ihm den Weg in die Wissenschaft. Zurückgekehrt nach Schweden übernahm Söderblom die Professur für Religionsgeschichte in Uppsala (133–217). An der überwiegend konservativ geprägten Fakultät entwickelte er ein neues Verständnis von Religionswissenschaft, dessen Spezifikum die Einordnung des Christentums in den Zusam­menhang der Religionsgeschichte war. In den beiden Jahren der Leipziger Gastprofessur vertiefte Söderblom seine Überlegungen (218–273). Er gab eine neue Interpretation der schriftlosen, sog. primitiven Religionen und untersuchte das Verhältnis von natürlicher Theologie und Religionsgeschichte. Vor allem setzte er sich in verschiedenen Schriften dafür ein, das Heilige als religionswissenschaftlichen Schlüsselbegriff zu etablieren und auf alle Religionen zu beziehen, was Rudolf Otto wenig später aufnehmen sollte.
Der Beginn der letzten und umfangreichsten Lebensphase Sö­derbloms – sein Wirken als Erzbischof von Uppsala – fällt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zusammen. Unmittelbar nach seiner Amtseinführung veröffentlichte Söderblom einen Friedensappell an die Kirchenführer Europas. Zwar verhallte dieser weitgehend ungehört, doch ließ er in seinem Bemühen nicht nach. Söderblom blieb, wie L. das ausführlichste Kapitel seines Buches überschreibt, ein »Kämpfer für Versöhnung« (310–414). Als Bürger eines Landes, das sich während der Kriegsjahre von den kontinentalen Blockbildungen ferngehalten hatte, setzte er sich für die Arbeit des Völkerbundes und die Aussöhnung Europas ein. Die Verleihung des Friedens-nobelpreises 1930 bildete den Höhepunkt dieser Lebensphase, die in ihrem Kern von einem geistlichen Anliegen getragen war, der Überwindung der konfessionell-religiösen Gegensätze. Aus der Tradition des lutherischen Bekenntnisses kommend verstand Söderblom die Schwedische Kirche als eine Brückenbauerin zwischen den Konfessionen und prägte dafür den Begriff der ›evangelischen Katholizität‹. Seine Theorie der Ökumene richtete den Blick auf die Einheit in Mannigfaltigkeit und die praktische Zusammenarbeit gleichberechtigter, in Lehre und Organisation selbständiger Kirchen. Söderblom beließ es nicht bei Worten, sondern gab ihnen auf der ökumenischen Konferenz von Stockholm 1925 eine konkrete Gestalt. Mit dieser Konferenz, auf der sich Repräsentanten überwiegend protes­tantischer Kirchen zur Diskussion eines »praktischen Christentums« versammelten, leitete er ein neues Zeitalter im Verhältnis der Kirchen zueinander ein. Sie gilt bis heute als Gründungdatum der mo­dernen Ökumene. Söderbloms Autorität als Ökumeniker beruhte nicht zuletzt auf seinem Amt als Erzbischof von Uppsala. Insoweit es sich bei seinem erzbischöflichen Wirken um Fragen der schwe­-dischen Kirche handelte, widmet L. dieser Seite der Biographie nur ein vergleichsweise kurzes Kapitel (274–309). Er beschreibt die »Würde und Volkstümlichkeit« (281) Söderbloms, schildert dessen Wirken als »Seelsorger« (286) und »Prediger« (292) und gibt Beispiele, wie dieser durch sein kirchenleitendes Handeln die schwedische Kirche formte. Aufschlussreich ist Söderbloms Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten über die staatskirchenrechtliche Stellung der lutherischen Kirche in Schweden, die in ihren Problemstellungen weit vorausblicken lässt. In einem weiteren Kapitel behandelt L. die auch in der erzbischöflichen Zeit weitergehende literarische Produktivität Söderbloms (415–459). Jetzt waren es aber nicht mehr die religionsgeschichtlichen Fragen, die ihn beschäftigten, sondern Themen der Theologie Luthers, der Christusinterpretation in der ökumenischen Bewegung, der Deutung Gottes in einer sich verändernden Gesellschaft sowie die Aufgabe der Mission in der weltweiten Völkerwelt. L. beschließt seine Biographie mit den »letzten Stunden« Söderbloms und einem kurzen Ausblick auf die Rezeption dieses bedeutenden Theologen (460–474).
L. hat für sein großes Buch die umfangreiche literarische Hinterlassenschaft Söderbloms ausgewertet. Dazu gehören nicht nur die wissenschaftlichen Monographien, Vorlesungen und Aufsätze, sondern auch die erbaulichen Schriften, Predigten und kirchlichen Ansprachen sowie die briefliche Korrespondenz und die privaten Tagebuchaufzeichnungen. Das Buch liest sich flüssig, weil sich in allen Abschnitten narrative Abschnitte und thematische Längsschnitte mit Analysen einzelner Texte abwechseln. Indem L. die einzelnen Lebensphasen in die sozialen, politischen und kirchlichen Verhältnisse des frühen 20. Jh.s einzeichnet, vermittelt er nicht nur einen lebendigen Eindruck von Söderbloms Leben, sondern bietet auch ein facettenreiches Bild der Epoche, in der dieser große Repräsentant der schwedischen Kirche gelebt hat. Besonders verdienstvoll ist es, dass durch diese Biographie das literarische Werk Söderbloms, das überwiegend nur auf Schwedisch zugänglich und deshalb in Deutschland unbekannt ist, ins Bewusstsein gehoben wird. Am Ende seines Vorwortes äußert L. den Wunsch, »dass die vorliegende Arbeit Jüngere dazu anregen möge, die Forschung an diesem Punkt energisch weiter voranzutreiben und damit auch die gegenwärtigen Debatten zu befruchten« (11). Diesem Wunsch schließt sich der Rezensent, der sich der schwedischen Kirche ebenfalls verbunden weiß, gerne an.