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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

279–280

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mittmann, Thomas

Titel/Untertitel:

Kirchliche Akademien in der Bundesrepublik. Gesellschaftliche, politische und religiöse Selbstverortungen.

Verlag:

Göttingen: Wallstein 2011. 264 S. 8° = Geschichte der Religion in der Neuzeit, 4. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8353-0864-0.

Rezensent:

Udo Hahn

Manchmal kommt das Lob von einer Seite, von der es eigentlich nicht zu erwarten war, dafür aber umso glaubwürdiger ausfällt. »Die Akademien sind das Beste, was die Kirchen nach 1945 gemacht haben«, wird Rudolf Augstein in dem von Claus-Jürgen Roepke herausgegebenen Band »Schloss und Akademie Tutzing« (1986) zitiert. Augstein ist unverdächtig, die Leistung der Kirchen in dieser Gesellschaft zu überschätzen. Die Aussage des Spiegel-Gründers enthält im Prinzip alles, was man über die kirchliche Akademielandschaft evangelischer und katholischer Prägung wissen muss. Dem wissenschaftlichen Anspruch genügt sie freilich nicht. Diesem ist Thomas Mittmann in einer lesenswerten Darstellung jetzt gerecht geworden. Der große Vorzug seiner Arbeit besteht darin, dass er evangelische und katholische Akademien in eine Gesamtschau einbezieht. Seine Publikation ist Teil eines Forschungsprojekts unter dem Titel »Kirche als Text. Zur Semantik kirchlicher Selbstdarstellungen in der BRD 1945–1990«. Dieses wiederum steht im größeren Zusammenhang des DFG-Forschungsprojekt s»Trans­formation der Religion in der Moderne«.
M.s Ausführungen setzen kirchliche Akademien in den Kontext von »Öffentlichkeit«. Die Gründung dieser Akademien nach dem Zweiten Weltkrieg »war weniger das Ergebnis kirchlicher Experimentierfreude als vielmehr Resultat eines unabweisbaren Bedürfnisses, ja geradezu einer Notwendigkeit« (13). Angesichts der Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus sind sie als »›moderne‹ Formen kirchlicher Präsenz in der Öffentlichkeit« (13) eingerichtet worden. Sie sind allesamt nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und explizit als Antwort auf den Nationalsozialismus zu verstehen. Dieser konnte die Gesellschaft gleichschalten, weil ihr Orte für den freien Diskurs fehlten. Gleichwohl sind die Akademien keine »Nullpunkt«-Gründungen (14), wie M. schreibt, sondern reichen in ihren Wurzeln in das erste Drittel des 20. Jh.s zurück. Befruchtet wurde das Entstehen evangelischer Akademien durch ein Memorandum von Helmut Thielicke aus dem Jahre 1942, in dem er anregt, nach dem Ende der NS-Zeit ein interfakultatives Gespräch evangelischer Akademiker zur geistigen Neuorientierung Deutschlands zu veranstalten. Eberhard Müller, der Wegbereiter evangelischer Akademiearbeit nach 1945 und Gründer der ältesten Evangelischen Akademie (in Bad Boll), beschrieb bereits 1935 die Aufgabe der Kirche so: dass die »nicht nur in den Bezirken frommer Innerlichkeit, sondern in den großen Fragen der Welt Rede und Antwort stehen« muss (»Die Welt ist anders geworden. Vom Weg der Kirche im zwanzigsten Jahrhundert«).
Das Entstehen katholischer Akademien ist, so M., zunächst als Folge der protestantischen Gründungen zu sehen, wenngleich ihre Initiatoren »bald um die Entwicklung einer eigenen konfessionellen Identität bemüht waren« (18). Folgt man dem langjährigen Leiter der Katholischen Akademie in Bayern, Franz Henrich, so scheint es im Profil beider Akademie-Konzeptionen keine fundamentalen Un­terschiede zu geben. Für ihn sind katholische Häuser »besonders hochqualifizierte Bildungseinrichtungen der Kirche im Feld der Erwachsenenbildung«, die nicht als »Kanzeln der Bischöfe« verstanden werden sollten, sondern mit eigenen theologischen und kirchlichen Beiträgen »im Vorfeld der Kirche als Podien einer freien und offenen geistigen Auseinandersetzung« arbeiteten (67). Mit dem Ziel, wie Henrich formuliert, »den Glaubenden aus einem geistigen und kulturellen Getto hinauszuführen und sich zu öffnen für die Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen pluralen Meinungen in der Gesellschaft« (67).
Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Akademien. M. sieht auf evangelischer Seite mehr die Makler- und Vermittlerrolle, auf katholischer Seite hingegen den Anspruch auf gesellschaftliche und politische Lotsenfunktion mit expliziter Parteinahme. Andere Unterschiede bleiben unbeleuchtet, wie etwa der Umstand, dass evangelische Akademien zumeist an randständigen Orten (Bad Boll, Bad Herrenalb, Arnoldshain, Hofgeismar usw.), katholische Häuser aber im Zentrum der Städte anzutreffen sind.
M.s Untersuchung reflektiert die Akademiearbeit im Kontext kirchlichen Handelns, das vor dem Hintergrund einer Mediengesellschaft besonderen Herausforderungen ausgesetzt ist: nämlich in der gesellschaftlichen Debatte präsent zu sein – und zu bleiben. Kirche ist öffentlichkeitsorientiert, sie will mitgestalten. »Damit gewannen die Akademien maßgeblichen Anteil bei der Sicherung der anhaltenden öffentlichen Bedeutung der Kirchen.« (225)
Gleichwohl hätte es sich angeboten, in der Untersuchung nicht nur die Mediengesellschaft als Bezugsrahmen zu wählen. Dieser beschreibt den Wandel, den wir erleben. Er sagt allerdings nicht, was wir brauchen, um in ihr zu bestehen. Zivilgesellschaft ist das Stichwort, um zu beschreiben, was wir in diesem Wandel brauchen. Zivilgesellschaft markiert etwas Eigenständiges, das weder staatlich reglementiert noch dem Diktat des Marktes unterworfen ist. Die Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens wird davon abhängen, ob die Akteure der Zivilgesellschaft – dazu werden auch die Kirchen gerechnet – es schaffen, eine eigenständige Rolle zwischen Staat und Markt zu spielen: als intermediäre Institutionen. Und in ihnen spielen Akademien eine zentrale Rolle! Den Kirchen kommt dabei in besonderer Weise die Aufgabe zu, als Anwalt von Freiheit und Verantwortung sowie als Fürsprecher einer Kultur des Helfens aufzutreten. Mit diesem Profil sind die Kirchen unverzichtbar. Und ihre Akademien sind Forum und Faktor zugleich.