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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

251–253

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kasper, Walter

Titel/Untertitel:

Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung.

Verlag:

Freiburg/Basel/Wien: Herder 2011. 586 S. 21,5 x 13,5 cm. Lw. EUR 29,95. ISBN 978-3-451-30499-6.

Rezensent:

Helmut Moll

Walter Kasper, Professor für Dogmatik an den Universitäten Müns­ter und Tübingen, von 1989 bis 1999 Oberhirte seines Heimatbistums Rottenburg-Stuttgart und von 2001 bis 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, konnte angesichts seiner reichen Erfahrung und Publikationstätigkeit mit dieser Studie aus dem Vollen schöpfen.
Das Werk besteht aus zwei ungleichen Teilen. Teil I »Mein Weg in und mit der Kirche« (19–67) bleibt nicht an »subjektiven Erfahrungen« (19) haften, sondern spiegelt »Aspekte der Kirchen- und Theologiegeschichte der letzten mehr als 50 Jahre« (20). Zu seiner »ökumenischen Horizonterweiterung« (51) gehört auch der »Dialog mit den orientalischen Kirchen« (53–54). Bezüglich Karl Rahner bekennt er: »Auch wenn mir sein … transzendentaler Ansatz … fremd blieb, so verdanke ich ihm … doch sehr viel« (29).
Mehr als 400 Seiten des Bandes sind Teil II »Grundzüge katho­-lischer Ek­klesiologie« (69–488) gewidmet. In ökumenischer Ausrichtung erarbeitet K. die Eckpunkte der Lehre von der Kirche: Die »Fundamentaltheologische Vorüberlegung« (71–101) stellt sich den unumgänglichen methodischen und philosophischen Problemen. Der »Universal- und heilsgeschichtliche Horizont« (102–179) wirft einen Blick auf die Geschichte der Ekklesiologie, auf das Verhältnis von Reich Gottes und Kirche sowie auf die Notwendigkeit der Verbreitung des christlichen Glaubens. Zur »Wesensbestimmung der Kirche« (180–222) gehören die Charakteristika Volk Gottes, Leib und Braut Christi sowie Tempel des Heiligen Geistes. Maria ist Urbild und Typos dieser Kirche. Zu den »Wesensmerkmalen der Kirche Jesu Christi« (223–284) gehören ihre Einheit, ihre Heiligkeit (nicht jedoch ihre Sündigkeit), ihre Katholizität und Apostolizität. »Die konkrete Communio-Gestalt der Kirche« (285–408) würdigt die »Sendung der Laien« (294–315), ja K. ist der Ansicht, das »Thema Frau in der Kirche« sei »noch längst nicht abgeschlossen« (314); er hält demgegenüber die »Forderung nach der Weihe von Diakoninnen« für keinen geeigneten »Ansatzpunkt für die Verwirklichung des berechtigten Anliegens, Frauen mehr Raum und öffentliche Stellung in der Kirche zu geben« (343). K. mahnt: »Die Vergleichgültigung oder Manipulation der leiblichen Dimension läuft auf eine gnostische oder cartesia­nische Dualität von Körper und Geist hinaus, die dem ganzheitlichen und personalen Ansatz der christlichen Anthropologie wi­derspricht« (312). Er stellt die Frage, »ob die viri probati nicht eher eine Scheinlösung« sind, »welche die tiefer liegenden Probleme und ihre Lösung überdecken« (338). Da »die Frauenordination weder bei Jesus selbst noch in der Heiligen Schrift einen Anhalt hat, weiß sie [scil. die kath. Kirche] sich nicht berechtigt, Frauen zum Priester- oder Bischofsamt zu ordinieren« (339).
Aufgrund der fortschreitenden Säkularisation wirbt K., ähnlich wie Joseph Ratzinger, für die »neuen geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften«, sind sie doch »eine providentielle Antwort des Geistes Gottes auf die schwierige Situation der Kirche nach dem Konzil« (408). Das sechste Kapitel »Missionarische und dialogische Kirche« (409–462) tariert den Dialog mit dem Judentum aus, wobei K. bezüglich des auch evangelischerseits kontrovers geführten Themas der Judenmission zu einem differenzierten Urteil kommt (vgl. 424 f.). Hinsichtlich des ökumenischen Dialogs hebt er mit Recht auf die unterschiedlichen Zielvorstellungen ab. K., der auch nach der Erklärung Dominus Jesus aus dem Jahre 2000 von »reformato­rischen Kirchen« (55.236.282.283.339 u. ö.) bzw. den »Kirchen der Reformation« (51) spricht, ist »voll Hoffnung« (Röm 4,18) auf eine beständig fortschreitende Verständigung unter den christlichen Konfessionen. Hinsichtlich des Verhältnisses von Schrift und Tradition resümiert K. im Anschluss an das Nachapostolische Schreiben Papst Benedikts XVI. Verbum Domini (2010): »Inzwischen hat es in der ökumenischen Diskussion der letzten Jahrzehnte in dieser Frage beträchtliche Annäherungen gegeben; aber in der Frage, wer über die rechte Schriftinterpretation entscheidet, wurde bisher kein Konsens erreicht.« (501, Anm. 52)
Immer drängender wird in unserer Gegenwart der »Dialog mit den Religionen« (439). Das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi über die Evangelisierung in der Welt von heute stammt allerdings nicht von Papst Johannes Paul II. (vgl. aber 569, Anm. 167), sondern von Papst Paul VI., und zwar aus dem Jahre 1975. Dankbar vermerkt der Rezensent den Hinweis auf das »Zeugnis der Märtyrer« (461). Das von der EKD in Auftrag gegebene und von Harald Schultze und Andreas Kurschat unter Mitarbeit von Claudia Bendick herausgegebene Werk »›Ihr Ende schaut an …‹. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts« (Leipzig 2006; ²2008) kommt indes mit keinem Wort zum Tragen. Kriterien für die Ökumene der Blutzeugen sucht der Rezensent vergeblich, obwohl es dazu in beiden Konfessionen verlässliche Studien gibt. – Das abschließende Kapitel »Wohin führt der Weg der Kirche?« (463–488) weckt »Hoffnung auf ein erneuertes Pfingsten« und will zu »Freude an Gott und Freude an der Kirche« (487) ermuntern, wenngleich die »geistigen < /span>und moralischen Ressourcen, die wir für die Bewältigung der enormen Probleme und Herausforderungen bräuchten, … knapp geworden« (470) sind. Sein Fazit: »Ein Neuaufbruch ist nur möglich, wenn ähnlich wie bei der Bewegung, die zum Vaticanum II geführt hat, drei Dinge zusammenkommen: eine aus den Quellen gespeiste geistliche Erneuerung, solide theologische Reflexion und kirchliche Gesinnung« (468). Schließlich beklagt K. den gegenwärtigen Mangel an »großen Ideen, Idealen und Visionen«, die »nötig wären, um den Herausforderungen zu begegnen« (470).
Auf der Grundlage seiner früheren Studien vor allem über die Christologie sowie über die Gotteslehre legt K. hier eine Ekklesio­logie vor, bei der sowohl das bleibend Gültige als auch das kontingent geschichtlich Gewordene ausgewogen und in überzeugender Ar­gumentation dargelegt werden. Nicht selten erkennt der im Schrifttum K.s bewanderte Theologe auch inhaltliche Retraktationen, die sich z. B. um den im Kontext der Unfehlbarkeitsdebatte formulierten Satz: »Dogmen können durchaus einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig sein« (Einführung in den Glauben, Mainz 1972, ³1973, 148) ranken. Nicht hier, sondern in den »Schriften zur Ekklesiologie I« der »Kirche Jesu Christi« (Freiburg u.a. 2008) ordnet K. diese »allzu drastische Formulierung« in die damalige »Umbruchssituation« der »Tübinger Situation« ein, wenn er einräumt: »Der Satz will in einer drastisch, wohl zu drastisch zugespitzten Form lediglich die geschichtliche Kontextualität der Dogmen zum Ausdruck bringen, ohne deren bleibende Gültigkeit und Verbindlichkeit in Frage stellen zu wollen (26, Anm. 15). Darüber hinaus sei auf die – wenn auch kurzen – Bemerkungen über die Pastoral an wiederverheirateten geschiedenen Personen aufmerksam gemacht (vgl. 483). In der o. g. Schrift »Kirche Jesu Christi« konzediert K.: »Sicher war nicht alles ausgereift, vor allem war der notwendige kirchliche Konsens nicht gegeben. Die Glaubenskongregation hat daraufhin den Vorschlag zurückgewiesen« (28, Anm. 18).
Mit Papst Benedikt XVI. spricht sich K. im Abschnitt »Prinzipien der Konzilshermeneutik« (33–36) bezüglich der Auslegung der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils für eine »Hermeneutik der Kontinuität« im Gegensatz zu einer »Hermeneutik des Bruchs« (34) aus und distanziert sich damit von der theologischen Sichtweise z. B. der »Schule von Bologna«. Zu Joseph Ratzinger be­tont K.: »Er hatte entscheidenden Anteil an der Erarbeitung der konziliaren Ekklesiologie und veröffentlichte maßgebende, noch immer lesenswerte Konzilskommentare. Durch vielbeachtete Ver­öffentlichungen hat er Wesentliches zur Klärung und zum tieferen Verständnis der konziliaren Ekklesiologie beigetragen.« (38) Benedikt XVI. dankt im Geleitwort zur Festschrift für K. zum 75 .Ge­burtstag »Gott denken und bezeugen« (Freiburg u. a. ²2008) für die »Zusammenarbeit vieler Jahre, in denen wir nicht immer der gleichen Meinung waren« (10).
K. setzt bei seiner Leserschaft die Kenntnisse der griechischen (vgl. 91.209.267.268.323.359 u. ö.) und lateinischen (vgl. 323.325.365. 375.434.474.485 u. ö.) Sprache voraus, zitiert er sie doch im Corpus, wenn auch zumeist in Klammern. Auffällig und bisweilen gewollt wirkt seine häufige Selbstreferentialität, die hier und da auf einige seiner Schüler übergeht. Alle »Anmerkungen« (489–571) sind bedauerlicherweise vom Corpus getrennt. In formaler Hinsicht ist die Studie mitunter leider fehlerhaft und unzuverlässig.