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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

53 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mitchell, Margaret M.

Titel/Untertitel:

Paul and the Rhetoric of Reconcilation. An Exegetical Investigation of the Language and Composition of 1Corinthians.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1991. XIII, 380 S. gr.8o = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 28. Lw. DM 168,­.

Rezensent:

Hans Hübner

Seit Hans Dieter Betz durch die rhetorische Analyse des Gal den Nutzen dieser Methode weithin bewußt gemacht hat(1), haben viele versucht, sich auf diesem Gebiet zu profilieren ­ zuweilen mit mehr oder weniger Erfolg, oft leider ohne die dazu erforderliche Kompetenz in hinreichendem Maße zu besitzen. Es war eben, wie es oft geschieht: Wo eine neue Seite der Forschungsgeschichte aufgeschlagen wird, da gibt es Epigonentum. Nun aber haben wir den Glücksfall, daß bei eben diesem Hans Dieter Betz eine Dissertation geschrieben wurde, deren Vf.n mit der erforderlichen Gründlichkeit, Fachkenntnis und methodischen Kompetenz eine rhetorische Analyse zum 1Kor vorgelegt hat. Margeret M. Mitchell hat ihre Studie "Paul and the Rhetoric of Reconciliation" mit dem zutreffenden Untertitel "An Exegetical Investigation of the Language and Composition of 1Corinthians" eine Studie zu diesem Paulusbrief vorgelegt, ohne die in Zukunft keine ernstzunehmende Arbeit über den 1Kor geschrieben werden kann. Die Grundthese ist, daß der 1Kor ein Brief der deliberativen Rhetorik ist. Der Nachweis scheint mir gelungen. Doch zunächst der Überblick über den Aufbau des Werkes.

Das Buch enthält folgende Kapitel: I. Introduction to the Task and Methodology. II. 1 Corinthians as Deliberative Rhetoric. III. Thematic and Rhetorical Unity in 1 Corinthians: The Language of Factionalism and Reconciliation. IV. Compositional Analysis: 1 Corinthians as a Unified Deliberative Letter Urging Concord. V: Conclusion.

Im einleitenden Teil nennt M. "five mandates for rhetorical criticism of the New Testament texts". Die Intention der Vfn. läßt sich am besten dadurch zum Ausdruck bringen, daß hier zitiert wird, was sie im Kursivdruck hervorhebt (6):

"1. Rhetorical criticism as employed here is an historical undertaking. 2. Actual speeches and letters from antiquity must be consulted along with the rhetorical handbooks throughout the investigation. 3. The designation of the rhetorical species of a text (as epideictic, deliberative, or forensic) cannot be begged in the analysis. 4. The appropriateness of rhetorical form or genre to content must be demonstrated. 5. The rhetorical unit to be examined should be a compositional unit, which can be further substantiated by successful rhetorical analysis."

Im 2. Kap. bringt M. zunächst einen Exkurs über das Verhältnis von antiker "deliberativer" Rede, also Rede des genos symbuleutikon, und antiken Briefen. Dies zu thematisieren ist unbedingt erforderlich. Der kurze Exkurs zeigt, daß die Vfn. mit der antiken Lit. vertraut ist und diese ihre Kompetenz in ihre Argumentation einbringt. Dennoch sind an dieser Stelle der Forschung noch weitere Anstrengungen aufgegeben. M. ist auf dem richtigen Wege; aber es bleibt m.E. immer noch das Desiderat einer grundsätzlichen Untersuchung zum Verhältnis von Rede und Brief in der Antike.

Es genügt nicht, Briefe mit deliberativ-rhetorischem Charakter aufzulisten. Diese Aufgabe hat allerdings M. gewissenhaft vorgenommen; und man wird ihr hierin weitesthin folgen. Aber in welcher Weise und in welchem Umfang Briefe dieses rhetorische Muster übernehmen oder modifizieren, bedarf m.E. immer noch der akribischen Analyse. Es sei aber zugunsten der Vfn. gesagt, daß sie diese spezielle und höchst zeitaufwendige Aufgabe nicht leisten konnte, wenn sie ihr Dissertationsthema als solches bewältigen wollte. Und das sei eben in aller Klarheit gesagt: Was M. für den nur 3 Seiten umfassenden Exkurs investiert hat, verdient alle Bewunderung! Ich kenne Frau M. nicht, weiß nichts über ihre Biographie und Pläne. Dennoch darf ich mir die Frage erlauben: Wäre das genannte Desiderat nicht eine Aufgabe, die sie einmal leisten könnte? Daß sie die nötigen Fachkenntnisse und die erforderliche Kompetenz besitzt, hat sie in ihrer Dissertation klar gezeigt. Darf ich sie also zu dieser Aufgabe ermutigen?

Doch nun zum Inhaltlichen hinsichtlich der deliberativen Rhetorik! Sie stellt zunächst mit Aristoteles (Rhet. 1.3.4) heraus, daß sich diese Rhetorik auf die Zukunft bezieht (wie die forensische Rhetorik auf die Vergangenheit und die epideiktische auf die Gegenwart). So erkennt sie auch zutreffend, daß Paulus zu Beginn und am Ende des 1Kor "clearly future-directed statements" bringt (24). Als zweites Charakteristikum der deliberativen Rhetorik nennt sie den Appell an den Vorteil; mit Aristoteles (Rhet. 1.3.5): to men symbuleuonti to sympheron kai blaberon (25), mit der Rhetorica ad Herennium (3.2.3): utilitas; um hier nur diese beiden zu erwähnen. Für 1Kor verweist sie z.B. auf 6,12 und 10,23. Der 3. Abschnitt in Kap. 2 ist überschrieben "The Use and Function of Examples in Deliberative Rhetoric" (mit einem wiederum bemerkenswerten Exkurs über das Verhältnis von Paränese und deliberativer Rhetorik), um von dort zum 4. Abschnitt überzuleiten "Factionalism and Concord in Deliberative Rhetoric". Auch hier besticht die Belesenheit der Vfn., besticht die Souveränität, mit der sie mit den antiken Quellen umgeht.

Wie sorgsam und verantwortungsvoll ihr akribisches methodisches Vorgehen ist, zeigt sich besonders im 3. Kap. Auch hier muß ich mich, obwohl ich gerne ausführlicher würde, dem Gesetz der Beschränkung beugen. Ich skizziere daher nur: M. arbeitet unter dem Gesichtspunkt der Thematik und rhetorischen Einheit im 1Kor die Sprache der Zersplitterung in Parteien (factionalism) und Versöhnung (reconciliation) heraus. S.67 heißt es programmatisch: "The position which will be demonstrated here is that in fact the entire letter of 1 Corinthians is permeated with the vocabulary and topoi used in political rhetoric to discuss and combat factionalism; this dissension is at issue throughout all sixteen chapters of the letter." Diese Absicht setzt sie erfolgreich in die Tat um. Der genannte Abschnitt ist der vielleicht am meisten überzeugende und zugleich der vielleicht wichtigste und wertvollste ihrer Arbeit. Ich habe gerade an diesem Punkt sehr viel von M. gelernt! Mit dem Nachweis der von Paulus übernommenen "politischen" Terminologie hat sich zugleich ­ m.E. überzeugend! ­ gezeigt, daß der 1Kor eine Einheit ist, daß alle Teilungshypothesen das Ganze des Briefes nicht hinreichend in den Blick nehmen. Hoffentlich wird dieses Ergebnis der Vfn. in der künftigen Forschung am 1Kor zur Kenntnis genommen! Allein hierfür verdient sie großen Dank.

Einverstanden bin ich auch, wenn M. 1Kor 1,10 als prothesis betrachtet. Auch für diesen Vers gelingt ihr der Nachweis für das Vorhandensein politischer Begriffe, aber auch für das Vorhandensein politischer Begriffe und Topoi in 1Kor 1,11-4,21. Ich muß aus Platzgründen darauf verzichten, darüber zu referieren, was sie über die folgenden Kapitel des 1Kor sagt. Das Ergebnis ist eindeutig: Was M. im 3. Kap. ihrer Dissertation nachgewiesen hat, ist ein weiterer Beweis dafür, daß der Brief, richtig verstanden, deliberative Rhetorik bringt.

Das 4. Kap. bringt die Kompositionsanalyse mit dem Ergebnis: Der 1Kor ist ein einheitlicher deliberativer Brief, der für die Einheit der korinthischen Gemeinde plädiert. Hier würde ich in Einzelheiten anders votieren. Ich würde an manchen zentralen Stellen den theologischen Akzent z.T. erheblich stärker, z.T. auch in anderer Weise setzen. Ich verzichte aber hier auf eine Einzeldiskussion. Denn wichtiger ist m.E., was zu den zuvor stehenden Kapiteln zu sagen war.

Die "Conclusion" bringt eine Zusammenfassung. Das darin Vorgetragene wurde bereits in dieser Rezension gesagt.

Die Rezension kommt später als üblich, wofür ich die Verantwortung übernehme. Der Hauptgrund ist, daß ich mich mehrfach mit dem Buch beschäftigt habe. An manchen Stellen hatte ich anfangs nicht geringe Schwierigkeiten mit den Darlegungen der Vfn., vor allem damit, was das Verhältnis von Theologie und Rhetorik im 1Kor angeht. Aber von Mal zu Mal gelang mir der Zugang besser, vor allem im Blick auf das, was in den ersten 3 Kapiteln steht. Insofern profitiert die Vfn. von meiner späten Abgabe der Rezension an die Redaktion der ThLZ.

Fussnoten:

(1) S, meine Rezension zu seinem Gal-Kommentar in ThLZ 109 (1984), 241-250