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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

79–81

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Großhans, Hans-Peter, u. Malte Dominik Krüger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Integration religiöser Pluralität. Philosophische und theologische Beiträge zum Religionsverständnis in der Moderne.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. 239 S. 23,0 x 15,5 cm. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02810-8.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden, kein Religionsfrieden ohne Dialog der Religionen. Diese Feststellung von Hans Küng zum Auftakt seines »Projekt(s) Weltethos« ist immer noch zutreffend, relevant und brisant zugleich. Aber was ist, wenn Anhänger von Religionen, und zwar gerade diejenigen, die es um des Weltfriedens willen am nötigsten hätten, nicht miteinander reden wollen oder können und eine verbindliche Schnittmenge von gemeinsam getragenen ethischen Überzeugungen nicht gefunden wird? Dann muss man sich darüber Gedanken machen, wie mit religiöser Pluralität aus der jeweiligen Perspektive einer bestimmten Religion so umgegangen werden kann, dass Toleranz, Respekt, Anerkennung und Integration möglich sind.
Dieser Aufgabe stellt sich das vorliegende, 15 Vorträge umfassende Buch, das von den Systematischen Theologen und Ökumenikern Hans-Peter Großhans (Münster) und Malte Dominik Krüger (Halle) herausgegeben worden ist. Die in ihrer Qualität sehr unterschiedlichen Vorträge sind auf einer interdisziplinären und internationalen Tagung an der Universität Münster zum Thema »Integration religiöser Pluralität« im Januar 2010 von Philosophen, Theo­logen, Germanisten und Religionswissenschaftlern aus Kroatien, Bosnien, Tschechien, Schweden und Deutschland gehalten und un­ter den Leitfragen diskutiert worden: »Wie sollen wir in unserer Unterschiedlichkeit in einer Welt zusammenleben? Und: Welche Möglichkeiten und Probleme bringen die Religionen an diesem Punkt mit sich?« (5) Diese Leitfragen werden vornehmlich in drei Hinsichten entfaltet (»gesellschaftstheoretisch«; »aufklärungsphilosophisch« und »religionstheologisch«) und im Blick auf Absolutheitsansprüche, Religionskritik und interreligiöse Beziehungsmöglichkeiten problematisiert (6/7).
Zur ersten Orientierung über das Anliegen und die These der einzelnen Beiträge wird jeweils eine präzise Zusammenfassung vorangestellt. Überraschend negativ werden im ersten Vortrag (von Hans-Peter Großhans) im interreligiösen Dialog gängige Konzepte von Toleranz bewertet, die besser durch solche von Anerkennung und Respekt ersetzt werden sollten. Jedoch macht die wichtige Einschränkung »… im Blick auf Lebensweisen und Einstellungen, die mit der in der Gottebenbildlichkeit und dem Personsein begründeten Menschenwürde und den darauf bezogenen Menschenrechten« (29) gleich wieder auf die unaufhebbare Problematik einer höchst voraussetzungsreichen dogmatischen Bindung ethischer Prinzipien und Normen aufmerksam, die eben gerade nicht zu wechselseitigem Respekt oder Anerkennung im Umgang von Religionen miteinander, sondern höchstens zur Toleranz im Sinne einer Duldung auch von Befremdlichem führen kann. Das wäre in einerseits säkularen, andererseits polyreligiös geprägten Gesellschaften wie z. B. in Südosteuropa schon nicht wenig, wie es der Beitrag von Samir Arnautovic nahelegt (38).
Dennoch wird es weiterhin religiöse Xenophobie und Fundamentalismus geben, was man mit Tomislav Zelic sicherlich auch psychoanalytisch (als Form von Narzissmus) erklären kann. Ob zu deren produktiver Aufhebung der theoretisch berechtigte Hinweis auf »die unhintergehbare Perspektivität der eigenen Weltanschauung« (54) reicht, bleibt solange fraglich, bis aus ebendieser eigenen Perspektive Möglichkeiten entwickelt werden, ohne Identitäts­verlust Skepsis und Selbstrelativierung etwa wie bei Hegel (nach Andreas Arndt) durch radikale Historisierung (111) zu integrieren. Vielleicht bietet hier in der Tat eine »aufgeklärte Religionstheorie« auf dem Boden des protestantischen Christentums, wie sie von Malte Dominik Krüger im kritischen Anschluss an W. Pannenberg und F. Wagner problembewusst skizziert wird (125–138), gute Chancen, auch wenn auf erkenntnistheoretisch noch unausgewiesene Weise letztlich wieder recht unbefangen vom »Absoluten« ausgegangen wird. Hier wäre ein Rekurs auf sapientiale Traditionen mit ihrem Verzicht auf Letztbegründungen angesichts akuter Er­fahrungen von Gottesferne leistungsfähiger als eine idealistische Theorie des absoluten Geistes, die auch noch Tillichs ansonsten religionstheoretisch offenes Konzept vom »Gott über Gott« zu Paradoxien und Selbstwidersprüchen treibt, wie es Petr Gallus in seinem Vortrag kritisch verdeutlicht (179 f.).
Wenn es stimmt, dass es keine neutrale Ethik geben kann, sondern diese immer ein konkret bestimmtes Menschenbild bzw. Wirklichkeitsverständnis voraussetzt, und wenn es ebenfalls stimmt, dass »Recht« kodifiziertes Ethos ist, dann stellt sich mit Christian Polke die theoretisch interessante und praktisch provozierende Frage, ob es dann nicht in einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft auch »rechtsplurale Strukturen« geben müsse (57) oder ob es (noch) bei einer »Einheitlichkeit der Rechtsordnung« bleiben könne (62). Zur Klärung solcher Fragen ist sicherlich verstärkt auf die Verflechtung von Religion und Recht zu achten (71), um unbeschadet der weltanschaulichen Neutralität des Staates Kriterien für eine Implementierung bestimmter Rechtsnormen oder deren begründeten Ausschluss zu entwickeln. Auf die Chancen, Ambivalenzen und Grenzen des islamischen Rechts macht in diesem noch ergebnisoffenen Zusammenhang Jutta Sperber aufmerksam (85).
Und so wiederholt sich mutatis mutandis in unserer pluralen Gesellschaft heute eine Situation, die Raimundus Llullus (Ramon Llull) im 13. Jh. mit dem Versuch einer »concordantia der Völker in una lege« hatte lösen wollen, wie es Philipp David kenntnisreich nachzeichnet (233). Seine berechtigte Warnung vor Scheinkonsens und Trugschluss innerhalb eines kontinuierlichen Dialogs der Religionen sollte man nicht übergehen, ebenso wenig wie sein em­phatisches Eingehen auf die Wahrheitsfrage unabhängig von allem gesellschaftlichen Funktionalismus in Sachen Religion. Das wird zwar eine »Integration religiöser Pluralität« aus Motiven der Religion selbst nicht leichter, aber den aus anderen gesellschaftlichen (vermutlich ökonomischen) Gründen nötigen Umgang mit disparater Vielfalt realistischer machen.