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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

55–57

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thielman, Frank

Titel/Untertitel:

Ephesians.

Verlag:

Grand Rapids: Baker Academic 2010. XXII, 520 S. m. 1 Kt. 22,9 x 15,2 cm = Baker Exegetical Commen­tary on the New Testament. Geb. US$ 44,99. ISBN 978-0-8010-2683-6.

Rezensent:

Rainer Schwindt

Auch der sprachlich wie theologisch zu den schwierigsten neutestamentlichen Schriften zählende und in der universitären Lehre eher vernachlässigte Epheserbrief ist an älterer und neuerer Kommentarliteratur nicht eben arm. Für den deutschsprachigen Raum ist vor allem der lange erwartete und sicher einschlägige Kommentar von G. Sellin (2008) zu nennen, für den englischsprachigen die gründlichen Exegesen von E. Best (1998) und H. W. Hoehner (2002), für den französischsprachigen die Auslegung von J.-N. Aletti (2001). Entsprechend den Intentionen des Baker Exegetical Commentary on the New Testament, einer Kommentarreihe evangelikaler Theologie, steht vorliegender Epheserkommentar für den Versuch, mo­derne Bibelforschung »in the context of a conservative theological tradition« (IX) zu betreiben. Frank Thielman ist Presbyterian Professor of Divinity an der New Testament at Beeson Divinity School, Samford University. Adressaten seines Eph-Kommentars sind Seelsorger und Laien, so dass eine Verbindung von exege­tischer Gründlichkeit und pastoraler Kerygmatik angestrebt wird.
Der Versuch, ältere Auslegungstraditionen zu retten, scheitert schon an der Verfasserfrage, hinsichtlich derer inzwischen die Mehrheit der Exegeten für eine Pseudepigraphie votiert, während T. an einer paulinischen Verfasserschaft festhält. Er beruft sich dazu auf antike Zeugnisse über die strenge Bestrafung von Plagiaten (3). Es hätte auch für Christen kein Grund für mehr Toleranz gegenüber Fälschungen bestanden. Insbesondere für den Verfasser des Eph sei nicht erkennbar, weshalb er seine Reputation durch eine paulinische Pseudonymie hätte gefährden sollen. Die Autorschaft des Paulus hält T. auch gegen alle sprachlichen und theologischen Differenzen zu den zweifellos authentischen Schreiben des Apostels für gut begründbar. Der variierende Stil sei auch in den Homologumena anzutreffen, so in 2Kor 6,14–7,1 oder im Philipperhymnus 2,6–11. Beide Texte gelten freilich weithin als von Paulus übernommene Traditionsstücke. Auch im Ganzen weicht Eph von den echten Paulinen durch seine tropische Sprache und seine »asia­nische« Rhetorik (vgl. E. Norden, Agnostos Theos, 251, Anm. 1) auffällig ab. Gleiches gilt von der Theologie des Eph, die als Fortschreibung des Kol bzw. der authentischen Paulinen zu verstehen ist. Zu nennen sind die kosmische Christologie Eph 1,10.21 f.; 4,10, die die Ortsgemeinde übersteigende Ekklesiologie Eph 1,22; 3,10.21 u. ö., die präsentische Eschatologie in Eph 2,4–10, die die christlichen Adressaten schon mit Christus auferweckt sieht, und die nachapostolische Ämtertheologie in Eph 4,6–16. All dies versucht T., als Entwicklung des späten, in Gefangenschaft schreibenden Völkerapostels plausibel zu machen. Paulus schreibe Eph gegen Ende seiner zweijährigen Gefangenschaft in Rom, etwa um die gleiche Zeit wie die Briefe an die Kolosser und an Philemon, also um das Jahr 62 n. Chr. (19). Alle drei Briefe habe er von seinem Mitarbeiter Tychikus übermitteln lassen. Auch die textkritisch um­strittene Adresse ἐν ’Εφέσῳ sei mit der Paulusbiographie vereinbar. Die fast jeden konkreteren Adressatenbezug meidende Epistel passe auf den ersten Blick zwar nicht zu dem langen dreijährigen Aufenthalt des Apostels in der kleinasiatischen Metropole, doch seien die Jahre nach dessen Aufenthalt und die Gefangenschaft Grund genug für die mindere Vertrautheit mit der Gemeinde (28). Als Problemhorizont der ephesischen Kirche nimmt T. im Anschluss an A. T. Lincoln (Ephesians 1990) und M. Y. MacDonald (Politics, JSNT 26, 2004) ein nicht austariertes Verhältnis von Juden- und Heidenchristen in einer heidnisch bestimmten Gesellschaft an. Dies motiviert den Eph-Autor zu seiner Entfaltung des Einheitsdenkens hellenis­tischer Prägung, u. a. zu Beginn des paränetischen Teils Eph 4,1–6.
Die traditionelle Verfasserzuschreibung bestimmt konsequent die Kommentierung des ganzen Briefes und ist daher zumindest an den Stellen, wo er paulinisches Erbe rezipiert, durchaus erhellend. T. arbeitet die Bezüge zu den Homologumena und ihre Weiterentwicklungen anhand zahlreicher paulinischer und gesamtbib­lischer Quellenbezüge gut heraus. Er zieht auch, unterstützt von Computerrecherchen im TLG, häufig pagane Belege hinzu, darunter bisher unbekannte Vergleichstexte, die aber nicht unbedingt weiterführen. So verweist er zur Erklärung des eigentümlichen Hyperlativs elachistoteros in 3,8, mit dem der Verfasser den Apostel sicher in Anknüpfung an 1Kor 15,9 kennzeichnet, auf die gleiche Wortbildung bei dem Mechaniker Heron von Alexandria, Def. 130.1.5, der diese jedoch in einem Text über den Vergleich von Längeneinheiten benutzt und daher trotz paulinischer Zeitgenossenschaft dem ephesischen Schreiben denkbar fern steht. Die gesteigerte Selbsterniedrigung des Apostels in komparativischer Steigerung eines Superlativs fügt sich gut in den Stil des Verfassers ein und dient seinem Anliegen, die überreiche Wirkung der Gnade hervorzuheben.
Trotz häufiger Hinzuziehung philonischer Texte bleibt die jüdisch-hellenistische Theologie letztlich in ihrem Einfluss auf die ephesische Theologie unterbelichtet. Die Logos- und Pleromatheologik des Alexandriners verdiente, als theologischer Hintergrund der ephesischen Kosmostheologie deutlicher profiliert zu werden. So dürfte sie z. B. für das Kol 1,20 fortführende Motiv der »Allzusammenfassung« (1,10) aufschlussreicher sein als der Hinweis auf die rhetorische Provenienz des Verbums ἀνακεφαλαιοῦσθαι (65–67). Wie der philonische Logos das All zusammenhält, so ist es für Eph der erhöhte Christus. Auch die schwierige Pleroma-Aussage 1,23b kann in ihrer traditionsgeschichtlichen Komplexität nicht ohne philonische Denkvoraussetzungen erhellt werden (114–116), sofern schon der ephesische Prätext Kol 2,9 f. von daher zu lesen ist. Davon unbesehen ist in der Exegese umstritten, welches genus verbi das Partizip πληρουμένου impliziert. Während T. allein die passive Lesart bevorzugt, neigt der Rezensent (Schwindt, Weltbild 2002, 437–441) zu der von G. Korting (ThGl 87, 1997) vorgeschlagenen hebräischen Lesart im Sinne eines Hophals, das zu dem semitisierenden Griechisch des Eph passt. Zu übersetzen wäre dann wie folgt: »… der Kirche, welche sein Leib ist, die Fülle dessen (= Christus), der (von Gott) dazu gemacht (= ausersehen, erwählt) worden ist, alles in allen zu erfüllen« (1,23b). Diese Lesart überzeugt u. a. deshalb, weil sie die dreifache Stellung Christi gegenüber Gott, Welt und Kirche in Übereinstimmung mit dem näheren Kontext und auch der weiteren Parallele (4,7–10) artikuliert. Die allein passive Lesart nötigt T., τὰ πάντα ἐν πᾶσιν adverbial im Sinne von »vollständig« zu verstehen und damit das Verhältnis von Kirche und Kosmos auszublenden. Damit bleibt auch die Problematik der kosmologischen Lesart »der das All in allem erfüllt« ausgeblendet. Nach dieser ist die Kirche nämlich in eine Position gesetzt, welche kaum noch zwischen ihrer und Christi Herrschaft unterscheiden lässt.
Auch wenn T. seine Auslegungen nach jedem Abschnitt kurz zu­sammenfasst, vermisst der Rezensent eine übergreifende theologische Synthese etwa zum Kirchenbild des Eph, zur Frage der Eschatologie und zum weltbildlichen Gepräge seiner Christologie. Im Ganzen wird man T. aber zugestehen können, dass seine Auslegung gute Lesbarkeit mit wissenschaftlicher Akribie und theologischer Sensibilität verbindet. Begriffs- und Autorenregister sowie ein ausführliches Stellenverzeichnis erleichtern die Benutzung dieses neuen Kommentars zum Eph. Und dennoch: Seine Grundthese der paulinischen Verfasserschaft führt immer wieder zu Konklusionen, die dem nachpaulinischen Denken des Eph nicht gerecht werden und den Kommentar nicht als einschlägig empfehlen.