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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1339-1341

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kühlmann, Wilhelm, Hartmann, Volker, El Kholi, Susann, u. Björn Spiekermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abtlg. I: Die Kurpfalz. Bd. II: David Pareus, Johann Philipp Pareus und Daniel Pareus. Hrsg. im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Verlag:

Turnhout: Brepols 2010. LXIII, 959 S. gr.8° = Europa Humanistica, 7. Geb. EUR 65,00. ISBN 978-2-503-53238-7.

Rezensent:

Christoph Strohm

Die Reihe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Rezeption antiker und mittelalterlicher Autoren in der Frühen Neuzeit für den deutschen Kulturraum zu dokumentieren und durch Erläuterungen zu erschließen. Das von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften geförderte und unter der Leitung Wilhelm Kühlmanns durchgeführte Teilprojekt erfasst die kurpfälzischen Humanisten im Zeitraum zwischen etwa 1500 und 1630. Nach den Teilbänden, die dem Juristen, Historiker und Diplomaten Marquard Freher sowie dem Philologen Janus Gruter gewidmet waren, ist in dem vorliegenden Band das Werk des Heidelberger Theologieprofessors David Pareus (1548–1622), seines Sohnes Johann Philipp (1576–1648) und seines Enkels Daniel (1605–1635 [?]) dokumentiert. Damit rückt das auf die Bibel konzentrierte Editions- und Kommentarwerk eines der wichtigsten Vertreter der Heidelberger reformierten Theologie ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zum Abdruck kommen Vorreden und andere »Paratexte« der Werke, welche nicht nur die Intention der Publikation der Werke beleuchten, sondern auch Einblicke in die Zeitsituation, die konfessionellen Auseinandersetzungen und das Exilantenschicksal gewähren.
Die Autorenkorpora werden jeweils mit einem biographischen Abriss eingeleitet. Hier wird auch das schriftstellerische und editorische Werk vorgestellt, das nicht der Vermittlung antiker und mittelalterlicher Literatur gewidmet ist. Es folgt eine ausführliche Bibliographie der Werkausgaben und Sekundärliteratur. Ebenfalls werden Hinweise auf Briefe und handschriftliches Material gegeben. Daran anschließend listen die Bearbeiter die jeweils überlieferten antiken und mittelalterlichen Autoren bzw. Werke auf. Zum Abdruck kommen Vorreden und Gedichte in chronologischer Reihenfolge (nach Maßgabe des Erstdrucks einer Schrift). Der Text wird grundsätzlich diplomatisch aufgenommen. Im Fall der Vorreden ist ein Regest vorangestellt, das den wesentlichen Inhalt, insbesondere die in den Texten genannten Personen und Ereignisse, wiedergibt. Da es vielfach um theologische Auseinandersetzungen mit Gegnern geht, stellen die Regesten zum Teil ausführliche und detailreiche Zusammenfassungen der abgedruckten Texte dar. Nicht weniger umfassend sind die auf den Abdruck der Texte folgenden »textkritischen Bemerkungen« und »kommentierenden Erläuterungen«. Vermutlich ist der erhebliche Umfang der kommentierenden Erläuterungen der Grund für diese Darstellungsweise. Bei längeren Texten ist das Auffinden des Kommentars mit einem gewissen Suchaufwand verbunden.
Es ist sachgemäß, dass zwei Drittel des fast 1000 Seiten umfassenden Bandes David Pareus gewidmet sind und lediglich ein Drittel dem Sohn und dem Enkel. David Pareus tritt als »geistige Schlüsselfigur des theologischen, damit aber auch des religionspolitischen Führungsanspruchs der Kurpfalz« hervor (XVIII). Die meisten der hier gedruckten Texte sind zum ersten Mal in modernen Editionen greifbar. Mehrheitlich handelt es sich um kleine Traktate zu den verschiedensten theologischen Themen. So begründet die an den Kuradministrator Johann Casimir und den Kurprinzen Friedrich IV. gerichtete Vorrede zur deutschen Bibelausgabe von 1588 die Notwendigkeit, allem Volk die Bibellektüre zu ermöglichen (8–51). In der an den Bürgermeister und den Rat der Stadt Danzig gerichteten Vorrede zum Römerbriefkommentar von 1608 erläutert Pareus sein Ziel, mit dem Werk einen Beitrag im Kampf gegen die »Sophisten des Papsttums« (die Jesuiten Robert Bellarmin und Thomas Stapleton) und die Sozinianer (Fausto Sozzini) leisten zu wollen (78–94). Mehrfach erläutern Pareus’ Vorreden das Verhältnis seiner Kommentare zu denen anderer Reformatoren. Dadurch bieten die Texte ausgesprochen wichtige Gesichtspunkte zur theologiegeschichtlichen Einordnung des kurpfälzischen Reformiertentums. Nicht nur auf Melanchthon, sondern auch auf Luther wird überwiegend positiv Bezug genommen. In der Vorrede zum 1609 ge­druckten Genesis-Kommentar berichtet Pareus über seine fruchtbare und wertvolle Lektüre Luthers und den eigenen Weg zu einer Überwindung von dessen Auffassung von der leiblichen Realpräsenz Christi im Abendmahl (100). Von besonderem Wert ist der Abdruck der von Johann Philipp Pareus verfassten Lebensgeschichte des Vaters. Sie wurde den 1628 postum erschienenen »Opera theologica« vorangestellt. Unter Darbietung zahlreicher biographischer Details wird der Weg des aus dem schlesischen Luthertum melanchthonischer Prägung stammenden Pareus zum polyhistorisch bewanderten Exegeten, innerprotestantischen Ireniker und antijesuitischen Kontroverstheologen geschildert. Die paraphrasierende Wiedergabe der Lebensbeschreibung umfasst – noch ohne die kommentierenden Erläuterungen – immerhin 45 Seiten und leistet eine vollständige Wiedergabe der wesentlichen Gedankengänge (211–256; vgl. 256–446).
Nicht nur die Vorreden des David Pareus, sondern auch die seines weit weniger bekannten und wirkungsreichen Sohnes Johann Phi­-lipp bieten unter theologiegeschichtlichen Aspekten reichen Inhalt. Johann Philipp Pareus war nach Lehrtätigkeit in Heidelberg 1610–1622 Rektor des Casimirianums in Neustadt a. d. H. und nach der Flucht infolge der Kriegsläufte seit 1623 Professor für Theologie und Hebräisch am Gymnasium zu Hanau. Zwar sind seine eigenen Werke vornehmlich der Logik und Dichtern der heidnischen Antike gewidmet, aber die in den 40er Jahren entstandenen Vorreden zu (Teil-)Nachdrucken der Opera theologica des Vaters erörtern vielfach theologische Fragen. Ausdrücklich würdigt er die Confessio Augustana (491.508; vgl. 542 f.560 f.), um sich dann aber von deren Abendmahlslehre in Artikel 10 zu distanzieren (493.508 f.). Er beschreibt die »Aufgabenteilung« zwischen Luther und Zwingli (537.552) und hebt dabei hervor, dass Zwingli ohne und vor Luther zur reformatorischen Erkenntnis gelangt sei (537 f.552 f.). Dieser habe auch den unglückseligen Abendmahlsstreit verursacht, während Johannes Oekolampad und Martin Bucer positiv gewürdigt werden (538.553). Durchgängig wird Luthers Auffassung von der Gegenwart Christi als Lehre von der »Konsubstantiation« bezeichnet (509.539.555 und 546.565).
Die wenigen Texte des 1605 geborenen und wohl 1635 verstorbenen Daniel Pareus bieten wenig theologiegeschichtlich Relevantes. Jedoch werden in den Vorreden die Netzwerke des Heidelberger Späthumanismus greifbar. Auch die Mühen des Exils und die Versuche, neue berufliche Wirkungsmöglichkeiten, u. a. in England, zu finden, treten hervor.
Am Schluss des Bandes finden sich Register der kommentierten Personen, der tradierten Autoren, Anonyma und Editoren, der Ge­dichtbeiträger, Widmungsempfänger, Vorredner und sonstigen Pa­ratexte, der Drucker und Verleger sowie der Druck- und Verlagsorte. Die in dem Band edierten Texte von Vater, Sohn und Enkel Pareus ermöglichen bislang verschlossene Blicke in das Werk kurpfälzischer Humanisten in der zweiten Hälfte des 16. und der ers­ten Hälfte des 17. Jh.s. Mit der eingehenden Kommentierung und der umfassenden bibliographischen Erschließung legen die Herausgeber bzw. Bearbeiter eine beeindruckende Forschungsleistung vor. Diesen Eindruck trüben auch die wenigen Corrigenda nicht (252.329: Übersetzung von »communione spirituali corporis & sanguinis Christi« nicht als »geistige«, sondern als »geistliche Gemeinschaft«). Eine theo­logiegeschichtliche Einordnung des kurpfälzischen Reformiertentums wird in Zukunft ohne Berücksichtigung der in diesem Band abgedruckten Texte und ihrer Kommentierung nicht mehr möglich sein.