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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1106-1108

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ruhstorfer, Karlheinz

Titel/Untertitel:

Gotteslehre.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2010. 385 S. gr.8° = Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie, 2. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-506-77054-7.

Rezensent:

Michael Murrmann-Kahl

Karlheinz Ruhstorfer lehrt katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Universität Koblenz-Landau. Er traktiert in seinem Buch allerdings nicht die traditionellen Topoi der »Gotteslehre« (Erkenntnis, Existenz, Wesen, Eigenschaften Gottes, Trinitätslehre), wie der Titel suggeriert. Vielmehr besteht seine ersichtlich apologetische Intention darin, die Menschen unter den Bedingungen der Postmoderne, wie sie der Vf. versteht, für den »Gott der Liebe« zu erwärmen und dessen Spuren aufzudecken:
»Auch die Moderne, die den Gottesgedanken explizit negiert, und die Postmoderne, die ihn dekonstruiert, können als Kinder des Vaters betrachtet werden, die die Heimat verlassen haben. In unserer Gegenwart zeigen sich allerdings auch Spuren der Heimkehr, wenn sich die Moderne und Postmoderne in ihrer Bedingtheit durch die transzendentale Weisung (scil. der Bibel) begreifen. Nicht zuletzt die moderne Bio-Anthropo-Logie und die postmoderne Tele-Semeio-Logie eröffnen neue Wege, um die Bezogenheit aller Menschen, der Gläubigen, der Nichtgläubigen und der Andersgläubigen, auf den einen Gott im Himmel aufzuzeigen.« (350, vgl. 34)
Dabei bedient sich der von allerlei französischen Postmodernismen inspirierte Vf. einer »archäologischen« Methode (12.34): Indem die Schichten des über Gott Gedachten schrittweise abgetragen werden sollen, trete idealerweise am Ende der Grund des Denkens wieder hervor: »Im Anfang unserer Geschichte und Gegenwart leuchtet der dreifaltige Gott, wie er von der Bibel bezeugt ist. Dieser ist die Liebe.« (34, vgl. 22 f.) Dafür muss allerdings tendenziell die Differenz zwischen dem menschlicherseits bezeugten Wort Gottes in der Bibel und Gott selbst (»Gott selbst spricht.«, 24) eingezogen werden. (23ff.301 ff., siehe aber 305).
Aus diesem Ansatz folgt die Gliederung des Werkes, das einem permanenten Zurückschreiten in der Geschichte von der Postmoderne über die Moderne, das Mittelalter und die Antike bis zum Zielpunkt der biblischen Zeit verpflichtet ist. Es enthält daher nach der Einleitung (9–34) zwei Hauptteile, einmal sozusagen die Geschichte des Gottesgedankens unter dem Titel »Kategoriale Verhältnisse« von der Postmoderne bis zur Antike (35–300), und zum anderen einen biblisch-theologischen Kurzabriss der sog. »transzendentalen Weisung« (301–370) nach Altem (307 ff.) und Neuem Testament (339 ff.), die in der Pneumatologie und der Bestimmung Gottes als Liebe terminiert.
Der erste Hauptteil bietet mithin eine Art »Ritt über den Bodensee« durch die Jahrhunderte und Jahrtausende des metaphysischen und nachmetaphysischen Denkens. Die Charakterisierung der Epochen und Auswahl der behandelten Positionen muss naturgemäß bei der gebotenen Kürze reichlich grobmaschig ausfallen. Die Postmoderne ist mit einigen französischen Autoren wie J.-L. Marion, J.-L Nancy, J. Derrida und E. Levinas vertreten. (35–56). Ihr werden De­konstruktivismus (C. Keller), Pluralismus (J. Hick), feministische Theologinnen und die Befreiungstheologie beigesellt (57–92). Die als »anthropologisch« charakterisierte Moderne ist vor allem mit religionskritischen Autoren vertreten: Freud, Nietzsche, Marx und Feuerbach (93–120). Auf sie reagieren katholische und evangelische Theologen des 20. Jh.s (H. U. von Balthasar, K. Rahner und K. Barth) (120–145). Dass Karl Barths Offenbarungstheologie als mo­derner Antimodernismus (136.138.140) in ihrer Negation der » an­thro­polo­gische[n] Vernunft der Moderne« (139) dennoch verpflichtet geblieben sei, werden viele protestantische Theologen nicht gerne hören. Der neuzeitliche Gottesgedanke (»Gott in uns«) wird von Hegel über Fichte, Kant bis zu Ockham und den Reformatoren zurückverfolgt (147–204). Ausführlicher sind Mittelalter (besonders Thomas von Aquin, 206–233) und die Patristik gewürdigt (»Der Gott unter uns«, 205–267). Schließlich wird von der klassischen griechischen Philosophie (Aristoteles und Platon) bis auf den anfänglichen Mythos zurückgegangen (»Der Gott über uns«, 268–300).
Der durch die archäologische Methode bedingte Systemzwang der chronologischen Reduktion erzeugt freilich kein Mehr an argumentativer Plausibilität. Dass die Religionskritik auf Feuerbach aufruht oder Hegel und Fichte auf Kant aufbauen, ist auch dem Vf. klar. Seine Darstellungsweise ändert daran nichts. Insofern er­bringt die im sachlogischen Sinne verdrehte Abfolge keine neuen Erkenntnisse. Überdies ist die Erledigung von komplexen theologischen und philosophischen Positionen auf wenigen Druckseiten (Karl Barth: 10 Seiten; G. W. F. Hegel: 18 Seiten) von vornherein sehr bedenklich. Die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der einschlägigen Forschungsliteratur zum Beispiel bei Barth und Hegel bleibt entsprechend dürftig.
Der Vf. begründet seine generalisierenden Vorurteile über ganze Epochen nirgends; er hätte allerdings auch größte Mühe damit. Ihm zufolge bejahte die traditionelle Metaphysik (Antike und Mittelalter) die »transzendentale Weisung« und übersetzte sie in die ver­-nün­f­tige Gottesidee. Die Moderne dagegen negierte sie und entließ den Menschen in die »transzendentale Obdachlosigkeit«. Die Post­moderne verhalte sich dazu ambivalent im Sinne eines »Aufschubs«, bräche aber die »Geschlossenheit« von Metaphysik und Moderne auf (alles 29). Letztlich wird nur der allzu bekannte grobe Schematismus von der vermeintlich »gottlosen Neuzeit« durchdekliniert:
»Die De-Limitation Gottes in der Postmoderne und die Negation Gottes in der Moderne bleiben über die maßgebliche Mitte der Affirmation Gottes durch die Metaphysik auf die Heilige Schrift bezogen und geben so einen neuen Blick auf den Gott frei, der sich in Jesus von Nazaret sowie im Heiligen Geist mitteilt und auch heute noch zu denken gibt.« (340, vgl. 61.119)
Gegenströmungen innerhalb der jeweiligen Epochen bleiben völlig unberücksichtigt; die Auswahl der Autoren wirkt beliebig. Der pseudokantianisierende Sprachgebrach wie »kategoriale Verhältnisse« (Kategorien sind schon Verhältnisbegriffe!) und »transzendentale Weisung« (wenn schon, dann »transzendent«!) stiftet gerade an Kant selbst gemessen eher Verwirrung. Die in einem be­stimmten historischen Augenblick hervorgebrachte kantische Ka­tegorientafel taugt nicht dazu, auf alle möglichen geistesgeschichtlichen Phänomene übertragen zu werden (14.28 ff.340 und passim). Das alles kann nicht gerade als ein überzeugender Ausweis dafür genommen werden, »gegenwärtig den Glauben zu denken« (siehe Titel, der vom Vf. selbst herausgegebenen Reihe, in der der Band erschienen ist).