Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1033-1034

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vogel, Winfried

Titel/Untertitel:

The Cultic Motif in the Book of Daniel.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2010. XII, 272 S. gr.8°. Geb. EUR 59,20. ISBN 978-1-4331-0703-0.

Rezensent:

Martin Rösel

Die Arbeit widmet sich einer bisher nur in Ansätzen beachteten Fragestellung: der nach der Bedeutung kultischer Themen im Da­nielbuch. Hervorgegangen ist sie aus einer bereits 1999 abgeschlossenen Dissertation (Andrews University, Barrien Springs, Michigan, USA). Dem Vorwort zufolge wurde sie für die über zehn Jahre später erfolgte Publikation überarbeitet und aktualisiert. Davon sind allerdings nicht viele Spuren wahrnehmbar; so sind ausgerechnet vom derzeit ausführlichsten Kommentar zum Danielbuch (Klaus Koch, BKAT 22/1) nur die ersten beiden Lieferungen benutzt worden. Winfried Vogel arbeitet gegenwärtig am Seminar Schloss Bogenhofen der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich; das erklärt manche der hier zu nennenden Probleme.
Es ist das erklärte Ziel des Buches, über die Thematik des Kultes einen substantiellen Beitrag zur Erhellung der Theologie des Danielbuches zu leisten. In einer »Introduction« (1–18) wird dazu die bisherige Forschung vorgestellt, aber kaum inhaltlich referiert (9–14); die eigene Methodologie wird sehr knapp auf zwei Seiten (8 f.) in sieben Punkten zusammengefasst.
Grundlegend ist gegen historisch orientierte Ansätze der Zu­gang eines »close reading« oder »holistic study of the text«, be­gleitet von einer traditionsgeschichtlichen Analyse der festgestellten kultischen Motive. Zwar werden Hinweise auf außerbiblische Traditionen und die Religionsgeschichte des Alten Orient in Aussicht gestellt, in der Durchführung des Programms fehlen diese weitgehend. Besonders problematisch ist dabei der fast völlige Verzicht auf das Einbeziehen von möglichen Parallelen aus Qumran.
Schon in der Einleitung fällt auf, dass mehrfach vom »Autor des Danielbuches« im Singular gesprochen wird (9.14.18), ohne dass dies präzisiert, problematisiert oder historisch kontextualisiert würde. Die Forschung ist sich allerdings seit Langem einig darüber, dass das Danielbuch in mehreren Stufen gewachsen ist. Die letzte dieser Wachstumsphasen war in der Zeit der Makkabäeraufstände, sie wird üblicherweise um das Jahr 165 v. Chr. datiert. Tatsächlich handelte es sich in dieser Zeit um einen Religionskonflikt, bei dem es ausweislich des Danielbuches und der Makkabäerbücher um kultische Konflikte ging. Genannt werden Speisevorschriften, die Beschneidung, der Opfervollzug und vor allem die Installation eines »Greuel der Verwüstung« auf dem Altar des Jerusalemer Tempels. Vor diesem Hintergrund ist das Thema gut gewählt und verspricht interessante Ergebnisse.
Die anzuzeigende Arbeit vermittelt jedoch ein völlig anderes Bild. Ohne diesen Deutehorizont explizit offenzulegen, geht der Vf. gegen die gesamte historisch-kritische Forschung von einem Autor aus, der im babylonischen Exil lebt und weissagt. An verschiedenen Stellen werden gar Forscher zur Unterstützung zitiert, und damit wird der Eindruck erweckt, als würden sie ebenfalls von einem exilischen Danielbuch ausgehen, so etwa S. 52 zu J. Lebram oder S. 66 zu S. Niditch. Nach dem Bild des Vf.s handelt das Danielbuch von einem »clash of cultic systems« (219), nämlich denen Israels und Babylons. Dabei gelten die Israeliten bereits als »observant Jews« (193) – ob diese Bezeichnung angemessen ist, bleibt ohne Erörterung. Hinweise auf den »Greuel der Verwüstung«, der sich nach einhelliger Forschermeinung auf die hellenisierte Himmelsgottvorstellung des Baal Schamem bezieht, fehlen gänzlich.
Bereits diese Beobachtungen zeigen, dass die Arbeit kein ernstzunehmender wissenschaftlicher Diskursbeitrag sein kann. Der Eindruck verstärkt sich in einer Fülle von Details, etwa wenn von einem Tempelraub Nebukadnezars unter Jojakim ausgegangen wird; hier folgt Vf. der theologisch motivierten Datierung in Dan 1. In Anmerkung 113 auf S. 43 ist die Deutung des Steins aus Dan 2 auf das zweite Kommen Jesu Christi versteckt; ein Hinweis auf die traditionelle Parusie-Erwartung der Siebenten-Tags-Adventisten. Auf S. 67 wird aus 2Sam 7,1 f. auf »David’s intentions« geschlossen, ähnlich wird auf S. 103 davon gesprochen, dass Salomo in 1Kön 8,44 die Exilserfahrungen antizipiert habe und die Verbannten ermutigen wollte. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, doch auch so ist deutlich, dass hier eine biblizistische Arbeit im aktuell-exegetischen Gewand daherkommt.
Die inhaltliche Arbeit der Dissertation vollzieht sich in drei sehr unterschiedlich ausführlichen Kapiteln: »I. Cultic Space« (19–109) beschäftigt sich mit einzelnen Themen und Motivkomplexen wie Berg, Heiligtum, Tempel, Thron, Stadt. Stets wird zunächst die Traditionsgeschichte der Vorstellungen sehr breit dargelegt und dann auf das Danielbuch angewendet. Der Ertrag ist oft dünn, da bei Lexemen wie miqdasch oder Ortsangaben wie »Jerusalem« keine besonders geprägte danielische Verwendung des Begriffs feststellbar ist. Exegesen zur Erklärung der Motive im konkreten Kontext des Danieltextes fehlen. Wegen der übergeordneten exilischen Datierung kommt es zudem zu einer Fülle von Unschärfen oder Fehlern, etwa wenn S. 58 sich das Horn gegen den Himmel, nicht gegen das Heiligtum richten soll. Die wichtige Problematik, dass im Danielbuch diaspora- und tempelorientierte Texte nebeneinander stehen, wird leider weder gesehen noch für das Thema fruchtbar gemacht.
Im nächsten Schritt geht es in gleicher Arbeitsweise um »II. Cultic Time« (111–188). Hier wird unter anderem auf über 60 Seiten über »cultic contents and periods of time« gehandelt und festgestellt, dass viele der im Buch genannten Zahlen kultische Konnotationen haben, was bei Zeitangaben wie »um das Abendopfer« (9,21) oder Anspielungen an die Jobeljahr-Konzeption nicht ganz überraschend ist. Die Bedeutung der Zeitangaben in der konkreten Auseinandersetzungssituation um das Heiligtum wird wegen des fehlenden Bezugs auf die Makkabäerzeit dagegen nicht gewürdigt.
Schließlich wird unter »III. The Cultic Motif and the Theology of Daniel« (188–224) der Versuch einer Zusammenfassung unternommen, der darin besteht, dass die kultische Dimension von Themen wie Gericht, Eschatologie, Königtum, Gottesverehrung nachgezeichnet wird. Als Ergebnis wird festgehalten, dass kultische Vorstellungen im Danielbuch eine zentrale Stelle einnehmen, eben weil es um den Kampf zwischen den unterschiedlichen kultischen Systemen Israels und Babylons geht. Das wäre richtig, wenn es der Autor für die Makkabäerzeit und die einzelnen Wachstumsstufen des Buches erwiesen hätte.
So bleibt immerhin zu würdigen, dass die Arbeit auf ein wichtiges Thema der künftigen Beschäftigung mit dem Danielbuch verweist.