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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

875-877

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nicholas, Dean Andrew

Titel/Untertitel:

The Trickster Revisited. Deception as a Motif in the Pentateuch.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2009. XI, 129 S. gr.8° = Studies in Biblical Literature, 117. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-1-4331-0226-4.

Rezensent:

Benedikt Hensel

Dean Andrew Nicholas legt mit dieser Untersuchung seine Dissertationsschrift am Hebrew Union College (Cincinnati) vor. N. analysiert mit vornehmlich synchroner Methodik ein literarisches Phänomen, das hauptsächlich im Pentateuch anzutreffen sei: Verheißungsträgern wie Abraham, Isaak oder David gelingt es stets erst durch Täuschung und List, den göttlichen Heilsplan für »ganz Israel« zu erfüllen. Erfreulicherweise bleibt N. nicht bei der literarischen Analyse stehen, sondern fragt auch nach literarhistorischen und sozialgeschichtlichen Bedingungen derartiger Motivik. So sollen die Sinnpotentiale dieses Motivs analysiert werden und auf seinen literarischen, theologischen, wie auch realgeschichtlichen Gehalt hin untersucht werden (1–33).
Der Aufbau des Buches ist klar und stringent. Eine Reihe von Ergebnissicherungen macht es zudem leicht, dem Argumentationsduktus zu folgen. Nach einer Analyse der Täuschungsthematik als eines anthropologischen Phänomens (35–42) erfolgt die detaillierte Besprechung ausgewählter Betrugsgeschichten des Pentateuchs (43–80): die Erzählungen um die sog. »Gefährdung der Ahnfrau« (Gen 12; 20; 26) sowie die Jakoberzählung und die Moseerzählung (Ex 2–4). N. arbeitet für diese fünf Erzählungen eine feste Abfolge von drei Handlungsschritten heraus (diese Schritte leitet er aus der zuvor erhobenen anthropologischen Deutung der Täuschung als rite de passage ab): 1. Am Anfang steht immer die problematische Aktion des Hauptakteurs, der 2. die Übergangssituation (»Limen«) folgt, die stets eine gefährliche, lebensbedrohliche Grenzsituation (»Margin«) generiert (bei Abraham sind dies Ägypten und Gerar, bei Isaak Gerar, bei Jakob Haran und bei Mose die Wüste [Ex 4,24–26]). 3. Dritter und letzter Erzählschritt ist die Rück­kehr der Akteure, die sich immer als innere Umkehr gestaltet: Erst durch die existentielle Grenzerfahrung kann es mit den Verheißungsträgern weitergehen: »deception leads to success/raise in status« (81). »Israel« qualifiziere sich über dieses Motiv als ein Volk, das sich in der Ambivalenz von erfinderischer Listigkeit, Verheißungsgewissheit und betrügerischer Raffinesse in seiner Sonderolle als erstgeborenes Volk im Gegenüber zu den übrigen Völkern konstituiere.
Das letzte Kapitel (81–105) gehört zu den interessantesten Ab­schnitten des Buches, da hier die intertextuelle Analyse mit literarhistorisch-redaktionsgeschichtlichen, kanontheologischen so­wie realgeschichtlichen Fragestellungen verbunden wird und zu interessanten Thesen führt. Das Motiv wird von N. als narrativ-theologischer Nachhall dessen verstanden, dass Israel eine völlig un­wahrscheinliche Geschichte habe. Die Erzählungen versuchen, den scheinbaren, aber erfahrbaren Widerspruch zwischen der geglaubten Sonderrolle Israels auf der einen Seite und der realen politischen Schwäche auf der anderen theologisch zu deuten. Diese widersprüchlichen Wirklichkeitserfahrungen Israels seien gerade in der Perserzeit zu situieren (für N. die Endredaktion des Pentateuchs; dieser Redaktion sei das Motiv zuzuschreiben), in der Israel seine Eigenstaatlichkeit verloren hat und durch Fremdbeherrschung um die eigene Rolle im Völkerganzen und die Grundkoordinaten der eigenen Identität ringt. Die Perserzeit mit ihren großen exilisch/nach-exilisch geprägten theologischen Entwürfen (N.: »prophetische Literatur«) bilde den Nährboden für eine Geschichtsdeutung Israels, die ihre eigene geschichtliche Situation als Grenz- und theologisch gebotene Umkehrsituation (eben jener zweite Schritt des Betrugsmotivs) zwischen vergangenem davidischen Großreich und zukünftigem eschatologischen Reich erkenne (95 ff.) und da­mit aufwerte: Es braucht bei jeder Grenzerfahrung das trickreiche, taktisch geschickte und damit existenzrettende Handeln der Ethnizität Israel.
Trotz einer gewissen Skepsis gegenüber der Gesamtthese und den Anfragen an einzelne exegetische Entscheidungen ist zu sagen, dass N. einen interessanten, eigenständigen Entwurf vorlegt. Freilich wünscht man sich im Ganzen einen intensiveren Diskurs mit der aktuellen Forschung und eine forschungsgeschichtliche Verortung der Thesen, die leider nur begrenzt und ausschließlich auf den anglophonen Sprachraum beschränkt erfolgt. Die wichtigen methodologischen Ausführungen zu intertextuellen und kanontheologischen Grundfragen fallen zu holzschnittartig aus und können die mittlerweile sehr differenziert geführte Diskussion nicht einfangen. Stärker als N. das tut wird man sich klarmachen müssen, dass die einzelnen Motivelemente weit weniger deutlich abgrenzbar sind als N. dies vorgibt. Zudem stellt sich mir die Frage, ob die Gleichung »deception = raise in status« wirklich aufgeht: Das Mittel der Verheißungserfüllung ist gerade nicht der Betrug, sondern dessen göttliche Überwindung: Der Segensbetrug Jakobs führt gerade nicht dazu, dass dieser zum Erstling vor Esau wird. Sein gestohlener Segen muss erst noch (und dies ist der narrative Hauptfokus der Gesamterzählung) durch einen eigenen Segen er­setzt werden (am Jabbok), wodurch Jakob befähigt ist, den erschlichenen Segen nun wieder zurückzugeben (Gen 33,11!) und damit den Betrug ungeschehen zu machen. Selbiges ließe sich auch für die »Gefährdung der Ahnfrau« zeigen.
Wenn man sich diese Differenzierung vor Augen hält, die die Gesamtthese an einigen Punkten noch modifizieren dürfte, wird man N.s Studie mit Gewinn nutzen können.