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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

825-826

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Alberigo, Giuseppe

Titel/Untertitel:

Transizione epocale. Studi sul Concilio Vaticano II.

Verlag:

Bologna: Il Mulino 2009. 895 S. 8° = Tesi e ricerche di scienze religiose. Nuova serie, 42. Kart. EUR 55,00. ISBN 978-88-15-12769-3.

Rezensent:

Peter Hünermann

Versehen mit einem Vorwort von Kardinal Lehmann und eingeführt durch Alberto Melloni, umfasst das 895 Seiten starke Buch in sachlicher Gruppierung die zahlreichen, höchst bedeutsamen Teiluntersuchungen zum II. Vatikanum des 2007 verstorbenen Leiters des Istituto delle scienze religiose in Bologna, Giuseppe Alberigo. A., Nachfolger von Giuseppe Dossetti, des Gründers des Istituto, war aufgrund seiner Studien zum Trienter Konzil und seiner Zusammenarbeit mit Hubert Jedin einer der wenigen Historiker, die das II. Vatikanische Konzil von den Anfängen an fachkundig durch Ausarbeitungen und Beratungen – insbesondere für Kardinal Lercaro – begleiteten. Die Krönung seiner Arbeiten zum Konzil stellt zweifellos seine monumentale Geschichte des II. Vatikanischen Konzils in fünf Bänden dar.
Der vorliegende Band gliedert sich in sechs Teile: Den 1. Teil bilden zwei Untersuchungen zu den hermeneutischen Kriterien für eine Geschichte und eine treue und kreative Rezeption des Konzils. Im Mittelpunkt beider Artikel steht das Konzil als »Ereignis«, d. h. das geschichtliche »Faktum«, zu dem auch seine verabschiedeten Dokumente gehören. Dieses Ereignis charakterisiert A. als »transizione epocale«. In beiden Artikeln finden sich gerade in den Schlussbetrachtungen scharfsichtige und erhellende Reflexionen auf die gegenwärtige Lage der Kirche und ihre Herausforderungen.
Unter den Stichworten »Snodi e figure« (Gelenke und Gestalten) werden im 2. Teil Aufsätze zusammengefasst, die die Vorbereitung des Konzils umfassen: vom Zugang Johannes XXIII. zur Konzilsproblematik, zur Entscheidung für das Konzil, über die Vorbereitungsphase, die Erarbeitung und spätere Modifikation der Ge­schäftsordnung des Konzils bis zu den Schwierigkeiten der Leitung des Konzils, der Bestätigungsformel der Dokumente, der Nota explicativa praevia. Diesen höchst aufschlussreichen Analysen schließt sich eine Reihe von Texten über die nicht-katholischen Beobachter, Marie-Dominique Chenu, die Erfahrung der bischöflichen Verantwortung durch die Teilnehmer am Konzil und eine eigene Abhandlung über Dossetti auf dem Konzil an.
Der dritte Teil versammelt Studien, die der historischen Einordnung des Konzils dienen. Herauszuheben sind vor allem der Beitrag über das II. Vatikanum in der konziliaren Tradition und die Relation zwischen dem Konzil und dem kulturellen Wandel Europas.
Der vierte Teil untersucht unter unterschiedlichen Aspekten die Nach-Konzils-Zeit, die Rezeption, vergleicht Erwartungen und Resultate, fragt nach der synodalen Praxis in dieser Periode.
Der fünfte Teil besteht aus einem längeren Artikel: Er versieht den Titel des ganzen Buches mit einem Fragezeichen: Transizione epocale? Der Artikel bildet die zusammenfassende Rückschau im 5. Band der Geschichte des II. Vatikanischen Konzils, 765–859, veröffentlicht 2001.
Den sechsten Teil, den Epilog des Bandes, bildet ein Vortrag von 2003: »Konziliarität – Zukunft der Kirchen«. A. umreißt hier mit bewegenden Worten den Weg der christlichen Kirchen in die Zukunft unter den Stichworten Konziliarität und Synodalität, die sich als Vermächtnis des II. Vatikanums und dem damit begonnenen Übergang ergeben.
Die brillanten Arbeiten A.s bilden ein kostbares Geschenk für die Ökumene und die Gemeinschaft der Glaubenden, wie die von ihm heiß geliebte katholische Kirche. Sie sind ein unerlässliches Instrument für jeden, der einen authentischen Zugang zum Konzil sucht, dem größten Ereignis in der Kirchengeschichte des 20. Jh.s und der fundamentalen Weichenstellung für das 21. Jh.
Die weitsichtige und zugleich genaue, detailreiche Forschung A.s ist immer wieder gerühmt worden. Abschließend seien dennoch zwei innere Grenzen dieser wegweisenden Arbeiten zum II. Vatikanum genannt: A. hat Johannes XXIII., sein Anliegen, seine Spiritualität, seine Vision hoch geschätzt und ihm umfangreiche Untersuchungen gewidmet. Gegenüber Paul VI. hat er sich sehr zurückgehalten. Natürlich kommt Paul VI. in seinen Arbeiten zur Konzilsgeschichte immer wieder vor. Paul VI. hat die Konzilsperioden wesentlich mitgestaltet. Aber A. vertieft sich nicht in seine Gestalt. Dabei hat Paul VI., ein enger Freund von Jacques Maritain, mit einem gegenüber Pius XII. völlig gewandelten Zugang zur modernen Gesellschaft – symbolisch repräsentiert durch die Ablegung der Tiara und bei aller ihm eignenden Zögerlichkeit – einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Konzils, insbesondere einen Beitrag zur Entstehung von Dignitatis humanae, Nostra aetate und Gaudium et spes geleistet.
Wie der Band ausweist, hat A. sich theologisch von Dossetti, dem 1. Generalsekretär der DC in Italien und späteren Theologen und Mönch, von Kardinal Lercaro von Bologna, den Dominikanern Chenu und Congar wie schließlich von Johannes XXIII. inspirieren lassen. Das verleiht seinen Konzilsarbeiten einen starken kirchenpolitischen, pastoralen Akzent (»pastoral« verstanden im Sinne von Johannes XXIII.). Diese Perspektive steht in einer tiefen Entsprechung zur Grundkonzeption dieses Konzils. Sie sollte aber nicht zu einer Insensibilität gegenüber theologischen Neu-Aussagen des II. Vatikanums führen, die nicht nur die Ekklesiologie, das Sakramenten- und Amtsverständnis betreffen und in einem Kontrast zum Trienter Konzil stehen. Sie finden sich ebenso in der Christologie und Gnadenlehre, der Missionstheologie, nicht zu reden von der Offenbarungstheologie und Umwandlung der bis dahin in Geltung befindlichen kirchlichen Soziallehre durch Gaudium et spes. So legt man als systematischer Theologe etwa den Beitrag mit dem Titel: »Vatican II et la réflexion théologique« etwas unbefriedigt zur Seite.
Diese Grenzen mindern nicht die Bedeutung dieser herausragenden Forschungen. Aber sie stellen Herausforderungen für die kommende theologische Arbeit am II. Vatikanischen Konzil dar.