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Ausgabe:

Mai/2011

Spalte:

502-503

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Vielhaber, Ernst

Titel/Untertitel:

Alten Wein in neue Schläuche!Biblische Sprachbilder für heute gedeutet.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010. 268 S. 8°. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-579-08098-7.

Rezensent:

Günter Scholz

In charakteristischer Abänderung des Jesusbildwortes Lk 5,37 f. formuliert Ernst Vielhaber schon im Titel sein Programm, dem heutigen Menschen die Grundbotschaft des Glaubens verständlich zu machen: Wahrheit und Wirkungsgehalt biblischer Begriffe (alter Wein) sind aus der Sprachform des antiken Weltbildes herauszulösen und in das Wirklichkeitsverständnis einer nachtheistischen Zeit hinein zu übersetzen (in neue Schläuche). Dabei führt er mit P. Lampe, K.-P. Jörns und M. Kroeger über R. Bultmann hinaus, in­dem er biblische Sprachformen und -bilder aktualisiert, d. h. dem Existenz- und Weltverständnis des modernen Menschen anpasst. Hierin zeigt sich neben dem Wissenschaftler vornehmlich der Prediger und Lehrer der Kirche, dem das Verstehen vor dem Glauben von höchster Wichtigkeit ist, soll der Schatz der biblischen Tradition aufgeklärtem Denken geöffnet werden.
V. analysiert und »reaktiviert« auf dieser Grundlage alphabetisch zehn zentrale Vorstellungen (Auferstehung, Christus, Ewigkeit, [Heiliger] Geist, Gerechtigkeit, Gott, Himmel[fahrt], Reich Gottes, Sohn Gottes, Wiederkunft). Die Gliederung der einzelnen Artikel folgt im Wesentlichen der Struktur Altes Testament – Neues Testament – Wirkungsgeschichte – Aktualisierung – Bewährung an biblischen Texten (»deutende Übertragung«). Ein ausführliches Stichwortverzeichnis und Stellenregister schließen das Buch ab.
Ziel ist für den Mann, der – wissenschaftlich fundiert – aus der Praxis für die Praxis schreibt, die »deutende Übertragung«. Sie kann im Spaltendruck synoptisch mit der Lutherübersetzung verglichen werden. Am Beispiel »Gerechtigkeit« sei gezeigt, wie die deutende Übertragung den Sinn bewahrt in heutiger Sprache: Röm 3,21: »Nun aber ist, unabhängig vom Gesetz, doch bezeugt vom Gesetz und den Propheten, zutage getreten, wie wir vor Gott bestehen können.« Es will keine Übersetzung sein und auch keine Predigt. Hier aber überträgt ein Prediger, der mit seinen Zeitgenossen ein nachtheistisches Weltverständnis teilt und sie aus der Schrift heraus lehrt, ermutigt, zu einer Deutung ihrer Erfahrungen führt.
Grundlegend für die deutende Übertragung ist die Analyse der unterschiedlichen Weltbilder. Das geschieht für das hier relevante Segment der Antike durch die Betrachtung der Begriffe und Vorstellungen im Licht des Alten Testaments/Frühjudentums und des Neuen Testaments/Juden-, Heidenchristentums. V.s – nicht neue – Erkenntnis lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass das dreistöckige vorexilische Weltbild nachexilisch einem zweigeteilten zeitlichen (dieser Äon, kommender Äon) weicht, welches unter dem Einfluss des Hellenismus in räumliche Begrifflichkeit umgegossen wird: Diesseits – Jenseits. So werden unter der Hand – ausgehend von der einen Wirklichkeit Erde bzw. Zeit, die Gottes Feld ist – zwei Wirklichkeiten: Diesseits und Jenseits. Diese Diesseits-Jenseits-Vorstellung habe die Glaubensgeschichte des Christentums bis heute geprägt und verstelle dem aufgeklärten Menschen, der nur eine Wirklichkeit kenne, den Zugang zum Glauben. V. will das Wirklichkeitsverständnis des modernen Menschen ausdrücklich ernstnehmen und in dieses hinein die Botschaft Jesu, aber auch apokalyptische Jenseitsprojektionen, übertragen. Er sieht sich im Einklang mit einem in alttestamentlich-jüdischer Tradition stehenden historischen Jesus, wenn er erinnert: »Es gibt ein Leben vor dem Tod«, das im Einklang mit Gottes Willen in der Nachfolge Jesu zu gestalten sei (196).
Die Wahrnehmung einer einheitlichen, ungeteilten Wirklichkeit hat für V. (und den aufgeklärt denkenden Menschen) Auswirkungen z. B. auf das Gottesverständnis und die Rezeption des Jesusbildes.
In diesem Wirklichkeitsverständnis habe ein theistisches Gottesverständnis (Gott als persönliches Gegenüber) keinen Platz. Gott sei vielmehr Chiffre für das »Unbedingte« oder für die tragenden Kräfte des Lebens. Das ist »nachtheistische« Rede von Gott, wobei dieser »Urgrund des Seins« (231) nicht objektivierbar sei, zwar die Grenze menschlicher Erfahrung transzendiere, aber keine Gegenwirklichkeit konstituiere (153).
Gott habe sich geschichtlich erfahrbar gemacht in Jesus, d. h. er habe sich mit den Vorstellungen und Sprachmöglichkeiten eines bestimmten Weltverständnisses verbunden. Wenn wir unseren Glauben definieren, bekennen und leben wollen, müssen wir uns an die Botschaft des historischen Jesus halten, sein Gekommensein sprachlich und vorstellungsmäßig in unsere Situation übertragen und seinem Beispiel durch das eigene Verhalten folgen (33.237).
V. will den Streit um die Wirklichkeit, das Ringen um die Wahrheit (239). Daher sei er gefragt: Hat der moderne Mensch tatsächlich das Verständnis von der nur einen Wirklichkeit? Was ist die eine Wirklichkeit? Ist sie größer als meine Menschenweisheit es sich träumen lässt? Auf welcher Grenze liegt das Symbol?
Beim Gottesbegriff tritt das personale Gegenüber zugunsten der Geltung Gottes zurück. Ob dadurch eine Schieflage im Gottesverständnis eintritt, möge der Leser von seinem Weltbild her entscheiden. Die paulinische Christologie und der damit verbundene Jenseitsgedanke (1Thess 4,15–17) werden als hellenistische Übermalung der Kritik unterworfen. Eine strikte Glaubens- und Lebensorientierung am historischen Jesus ist die Folge, was nicht zuletzt auch zum von V. postulierten Wirklichkeitsverständnis passt. Ist das sinnvoll und legitim, wenn denn der Jenseitsglaube Antwort auf die anthropologische Erfahrung der Welt-Offenheit (Pannenberg) ist?