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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

236–238

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Madappattu, Jose [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evangelization in a Marginalizing World. With Spezial Reference to the Marginalised Satnamis in the Diocese of Raipur.

Verlag:

Nettetal: Steyler 1997. 288 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Missionspredigerseminars Saint Augustin bei Bonn, 48. Kart. DM 85,-. ISBN 3-8050-0400-1.

Rezensent:

Hans-Werner Gensichen

Die vorliegende Dissertation eines indischen katholischen Priesters, in Deutschland auf Englisch veröffentlicht, beginnt mit der Analyse von Evangelisierung als "holistic liberation" (ganzheitlicher Befreiung) im Sinn der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Bezug auf den indischen Kontext, soweit er durch Marginalisierung einzelner Bevölkerungsgruppen bedingt ist, wird konkretisiert am Beispiel der Satnami (korrekt: Satnami), einer Minderheit in der katholischen Diözese von Raipur im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Der Untersuchung dessen, was in dieser Situation seitens der Kirche getan oder unterlassen wird, stellt der Vf. wiederum das Pastulat der "holistic liberation" gegenüber, von dessen Möglichkeiten und Schwierigkeiten abschließend Rechenschaft gegeben wird.

Gewöhnungsbedürftig ist zunächst die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Arbeitsgänge: Die Theorie der ganzheitlichen Befreiung nimmt allein ein Drittel des Buchs in Anspruch, eingeschlossen einen separaten umfangreichen Anmerkungsteil in schwer lesbarem Kleindruck (ein Verfahren, das sich in den späteren Kapiteln wiederholt). Ein vorläufiges Ergebnis des Kap. I besteht in der Kontrastierung von "Evangelisation durch Verkündigung" und "Verkündigung mittels der Tat", oder auch "authentischem christlichen Leben" und "sozialer Gerechtigkeit", basierend auf der "Anthropologie" der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" (1966) und realisiert in einem "Prozeß, durch den der Glaube für die Menschen relevant gemacht wird, indem er auf ihren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kontext eingeht". Nach wie vor gibt es freilich "Hunderte von christlichen Männern und Frauen, die am herkömmlichen Muster der Evangelisierung festhalten, das auf Bekehrung, Taufe und Heilsvermittlung allein durch die Kirche beruht" - ein bedauerlicher Zustand, den es baldmöglichst zu überwinden gilt (70 f.).

Damit ist der Rahmen geschaffen, in dem nunmehr, in der zweiten Hälfte der Arbeit (119 ff.), die soziale Wirklichkeit der marginalisierten Klasse in Madhya Pradesh als christliche Aufgabe ins Auge gefaßt werden kann, insbesondere aber die Situation der Satnami. Der Vf. kennt die nicht sehr umfangreiche Literatur, die sich mit dieser zur größeren Einheit der kastenlosen Chamar gehörenden Gruppierung befaßt. Ohne auf alle Einzelheiten einzugehen, wären dabei doch noch Fragen zu nennen, die weiterer Klärung bedürfen. Der Vf. setzt offensichtlich voraus, daß die Satnami der heute als Dalits bekannten, in ganz Indien politisch aktiven Großgruppe der Unterprivilegierten zuzurechnen sind (39, 105, 124 u. ö.). Darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, daß die Satnami eine weit zurückreichende eigene Geschichte haben, die der Vf. nur beiläufig erwähnt.

Faktisch haben die Satnami unter diesem Namen - welcher "Verehrer des wahren Namens", sc. Gottes, bedeutet - schon 1672, also zur Zeit des Mogulherrschers Aurangzeb, in der Stadt Narnaul (im heutigen Haryana) einen Aufstand inszeniert, der blutig niedergeschlagen wurde (vgl. V. A. Smith, Oxford History of India, Oxford 1958, 408). Im 18. Jh. wurden sie jedoch durch Jagjiwan Das wiederbelebt. Unter dessen Nachfolger Ghasi Das gewann die Bewegung deutlicheres messianisches Profil: Verehrung des Gurus, von dem man Hilfe erwartet, insbesondere gegen die Kasten-Hindus, ferner sieben Gebote für asketische Lebensführung, Abschaffung des Kastensystems und die Einführung der Sonnenverehrung als Ersatz für den hinduistischen Tempelgötterdienst (vgl. Stephen Fuchs, Rebellious Prophets. A Study of Messianic Movements in Indian Religions, London 1965, 99 ff.). - Mittlerweile scheint von diesen Zielen kaum mehr übrig geblieben zu sein als der Dauerkonflikt der Satnami mit den Brahmanen und die Verachtung der Hindu-Religion. Selbst wenn man bereit wäre, darin eine hoffnungsvolle Entwicklung zu sehen - kann man die Satnami ernsthaft als eine messianische Bewegung eigenen Rechts betrachten und sie gleichzeitig mit den Dalits auf eine Stufe stellen, wie der Vf. dies offenbar will? An anderer Stelle (129) registriert er auch, daß manche Satnami ihre Oppositionshaltung durch Übertritt nicht nur zum Buddhismus, sondern auch zum Christentum ausdrücken, geht aber diesem Befund nicht weiter nach, weil sein Verständnis von Evangelisierung diese Möglichkeit eigentlich nicht zuläßt.

So fällt denn auch seine Übersicht über die Tätigkeit und Chancen der Kirche im Raipur-Distrikt (Kap. III) nicht sehr ermutigend aus. Was er allenthalben wieder vorfindet, ist die dominierende Tendenz zu jener "traditionell orientierten" Evangelisierung, die der "holistischen Befreiung" des Menschen im Grund nur im Wege ist. Die Tätigkeit der Missionare verdient kein besseres Urteil, da sie sich lediglich um die Pastoral und die kirchliche Infrastruktur kümmerten, ohne wirklich neue Wege zu suchen (185 Anm. 24, in Anlehnung an A. Rétif). Ein neuer Anlauf zur Unterstützung der marginaliserten Satnami, zwar explizit auf "economic development" gerichtet, soll jedoch nicht zuerst zur Besserung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse führen, sondern mittels "Formulierung einer relevanten Satnami-Theologie" in Gang kommen (191ff.), wobei G. Gutierrez und andere lateinamerikanische Theologen Pate stehen müßten. Dazu sollte, wie ebenfalls in Lateinamerika praktiziert, eine "conscientization" der Betroffenen in die Wege geleitet werden, um dann schließlich "Satnami-Spiritualität" zu erhalten: "a bursting message of hope as out of the dailyness of their lives and out of their wisdom", womit sie dann auch zur politischen Vision von einer gerechten Weltordnung befähigt wären (197, entnommen einem Text des Inders Aruna von 1991, der jedoch in der Bibliographie nicht genannt wird).

Daß der ganze Prozeß in intensivierter Solidarität mit den Satnami kulminieren muß, versteht sich von selbst. Ob und wie die Satnami gefragt und herangezogen werden, hängt davon ab, daß die Kirche sich auf einen Dialog einläßt, wie er im multireligiösen Indien ja wirklich unentbehrlich ist. Allerdings sind die Äußerungen des Vf.s über den Umgang mit dem Hinduismus nicht ohne Widersprüche. Einerseits tritt der Vf. auch in diesem Zusammenhang für eine Evangelisierung ein, die auf die "sensibilities" der Kasten-Hindus Rücksicht nimmt und auf die Möglichkeit des Religionswechsels verzichtet (156 ff.). Andererseits sympathisiert er mit den Bemühungen heutiger Dalit-Theologen, eine "counter-theology" zu konzipieren, die den Unterdrückten und Marginalisierten keine Konzessionen an die brahmanische Tradition abverlangt (192). So bleiben für die Satnami selbst noch manche Konsequenzen ungewiß, wenn man auch dem Vf. den guten Willen zur "liberating mission" nicht absprechen wird (245).

Ein Desiderat zum Abschluß läßt sich nicht verschweigen: Indisches Englisch entspricht nun einmal nicht immer dem anerkannten britischen Standard. Auch im vorliegenden Werk gibt es Sätze, die so, wie sie dastehen, kaum verständlich sind, z. B. "Build-up base ecumenical and ecclesial Satnami community" (188). Korrekturen vor dem Druck in Deutschland wären doch wohl möglich gewesen. Dies gilt auch für andere Mängel:

Das Inhaltsverzeichnis nennt zum Schluß "Appendices" (372), die man jedoch vergeblich sucht. Ein mehrfach zitierter Autor "Wagner" fehlt in der Bibliographie. Raymond Fung (nicht: "Fund") war nicht Sekretär des World Council of Churches, sondern der Commission on World Mission and Evangelism des WCC (83). Die Schreibung von Personennamen ist überhaupt weitgehend willkürlich: Statt "Rütti" liest man Ritti oder Rutti; die amerikanische Autorin E. Schüssler-Fiorenza wird als "Schuessler-Forenza" zitiert, usw. Schließlich hätte auch die Vielzahl anderer Druckfehler eine korrigierende Hand verlangt.