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Ausgabe: | März/2011 |
Spalte: | 330-331 |
Kategorie: | Philosophie, Religionsphilosophie |
Autor/Hrsg.: | Orth, Stefan, u. Peter Reifenberg[Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Poetik des Glaubens. Paul Ricœur und die Theologie. |
Verlag: | Freiburg-München: Alber 2009. 224 S. 8°. Geb. EUR 29,00. ISBN 978-3-495-48359-6. |
Rezensent: | Doris Hiller |
Seit Jahren fühlt sich die Akademie des Bistums Mainz »Erbacher Hof« dem Denken Paul Ricœurs und seiner theologischen Dialogfähigkeit verpflichtet. So ist es nicht verwunderlich, dass Peter Reifenberg (Akademiedirektor), zusammen mit dem ausgewiesenen Ricœur-Kenner Stefan Orth, einen Sammelband mit Aufsätzen zum theologischen Gespräch mit Ricœur angeregt hat. Der Titel des Bandes macht deutlich: Es soll gefragt werden, was die Lehre des Glaubens mit den philosophischen Einsichten macht ( poiesis) und wie sie daraus in produktiver Aufnahme und kritischer Abgrenzung zu eigener Sprache findet. Neun Aufsätze, überwiegend aus dem Bereich katholischer Fundamentaltheologie und Dogmatik, setzen sich in subjekttheoretischer, ethischer, hermeneutischer und theologischer Sicht mit Ricœur auseinander.
Einleitend zu diesen Aufsätzen bietet S. Orth einen Querschnitt durch Ricœurs Werk, in dem er vor allem nach dem Verhältnis zur Theologie fragt. Er zeigt, dass es Ricœur stets um beides ging: um die strikte Trennung von Theologie und Philosophie und um ihre gegenseitige Beeinflussung. Was die Trennung anlangt, ist Ricœur vor allem an der Unableitbarkeit der Theologie gelegen, mit der sie zum ernsthaften Gesprächspartner der Philosophie wird, ohne dass die Disziplinen zu einer Religionsphilosophie verschmelzen müssten. Die durchgängige Rede von der Logik der Überfülle und die eschatologische Erwartung der Fülle menschlicher Freiheit sind für Orth Grund genug, theologisch auf Ricœur zu hören.
Die folgenden Aufsätze gehen den großen Themen des Philosophen entlang: So nimmt J. Werbick die Hermeneutik des Verdachts auf und fragt nach der Dimension des Zweifels und einem nach-religiösen Glauben, der Gottes immanente Transzendenz nicht in der Immanenz aufgehen lässt. K. Wenzel setzt sich mit Ricœurs Anthropologie auseinander und sieht das diskursive Ich in einer »sozialtheoretisch informierte[n] Theologie der Barmherzigkeit« (64) begründet. Der Verbindung von Offenbarung und Zeugnis geht V. Hoffmann nach, indem sie das Zeugnis als Quelle der Interpretation beschreibt und so die Geschichtlichkeit der Offenbarung begründet. In der Auseinandersetzung mit dem Bösen sieht sich B. J. Claret von den Philosophen zu einer gebrochenen Theologie herausgefordert, die um das Zugleich von Freiheit und Knechtschaft weiß und die den »gefangenen freien Willen« reflektiert. Inwiefern hier ein Diskurs zwischen katholischer Anthropologie und protestantischer Rechtfertigungslehre angeregt werden kann, wäre nicht nur im Horizont dieses Aufsatzes zu überlegen. C. Mandry verfolgt die Rezeption der Ethik Ricœurs und ihren Beitrag zu einer theologischen Ethik. Dabei legt er eine Ethik des Könnens, die um die Handlungsfähigkeit des Menschen kreist, frei. Mit einem zu kluger Entscheidung aufgeforderten Selbst, das sich einer Ökonomie der Gabe zugehörig weiß, liefert Ricœur Impulse für ein theologisch aufzunehmendes »Mehr an Gerechtigkeit«.
M. Junker-Kenny wirft einen Blick auf die englischsprachige Rezeption der Ethik Ricœurs. Neben der Forderung nach einem theologischen Verantwortungsbegriff und einer Ethik der Anerkennung sieht sie – in kritischer Abgrenzung zu kreationistischen und kommunitaristischen Weiterführungen des Denkens Ricœurs – in der Theologie den Ort, »Gottes Kreativität als eine solche zu bestimmen, die im Tod rettet« (158). M. Böhnke widmet sich dem sachgemäßen Verständnis eines verpflichtenden Gedächtnisses. Ob Ricœur Erinnerung tatsächlich nur auf Vergangenes bezieht, wie Junker-Kenny kritisch bemerkt, wäre am Gesamtwerk zu überprüfen. Dass Ricœur auch die Religionspädagogik beeinflusst hat, zeigt W. W. Müller im Bezug auf das Symbol, die Erzählung, die Gottesfrage, den Person- und Zeugnisbegriff. Insbesondere die neue Diskussion um einen polyzentrischen Religionsbegriff kann s.E. mit Ricœur vertieft werden. G. Lacher beschreibt die Impulse Ricœurs für die Fundamentaltheologie und Ästhetik in der Vermittlung von Wort, Schrift und Bild.
Insgesamt bietet der Band vor allem Kennern des Werks Ricœurs eine anregende tour d’horizon durch die theologischen Implikationen der philosophischen Reflexion. Es ist nicht den Herausgebern anzulasten, dass eine Beteiligung an der Diskussion seitens der protestantischen Theologie, namentlich der Fundamentaltheologie und Systematischen Theologie fehlt. Mit dem vorliegenden Sammelband ist die Chance gegeben, sich auch aus dieser Perspektive vermehrt zu beteiligen.