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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

306-308

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Pazzini, Domenico

Titel/Untertitel:

Lingua e teologia in Origene. Il Commento a Giovanni.

Verlag:

Brescia: Paideia 2009. 205 S. 8° = Studi biblici, 160. Kart. EUR 23,40. ISBN 978-88-394-0762-7.

Rezensent:

Andrea Villani

Seit dem Jahr 1913, als die Münchner Dissertation von J. Borst Beiträge zur sprachlich-stilistischen und rhetorischen Würdigung des Origenes erschien, ist keine einzige Monographie mehr dem literarischen und rhetorischen Aspekt der origeneischen Schriftstellertätigkeit gewidmet worden. Schon deswegen füllt dieses Buch eine große Lücke aus: Auf knapp 200 Seiten wird die Prosa von Origenes ausführlich – obwohl nicht systematisch – untersucht. Es geht nämlich nicht – wie bei Borst – um die bloße Beschreibung einiger sprachlicher Phänomene, sondern um einen fesselnden und er­folg­reichen Versuch, in den Gedankenfluss des Origenes genau dort einzudringen, wo sich die Sprache mit der Theologie verknüpft. Darüber hinaus erweist sich das Buch als die reife Frucht einer langjährigen Auseinandersetzung des Autors mit dem Alexandriner und vor allem dessen Johanneskommentar (neben vielen Auf­-sätzen s. In principio era il logos. Origene e il prologo del Vangelo di Giovanni, Brescia, Paidea, 1983).
Die Gliederung des Buches ist so konzipiert, dass nach der Einleitung vier Kapitel wie in einem Crescendo aufeinanderfolgen, indem sie ausgehend von der Sprache über die Wissenschaften und Episteme bis zur Theologie gelangen. Die Einleitung (9–19) zählt sorgfältig die eigentlich wenigen kritischen Urteile über den origeneischen Stil von Erasmus an auf, wobei P. zwei Haupttendenzen hervorhebt, und zwar eine, die den ductus der origeneischen Sätze und die Kraft seiner argumentierenden Vorgehensweise würdigt, die andere dagegen, die den Stil des Alexandriners als bar jeden Pathos und átechnos betrachtet.
Das erste Kapitel (20–68) untersucht die nach P.s Meinung charakteristischsten Elemente der origeneischen Syntax: den Komparativsatz, den hypothetischen Satz und das Partizip. Obwohl einige Konstanten (z. B. zweiteiliges Satzgefüge, Verdoppelung des Verbs usw.) gefunden werden können, geht im Allgemeinen aus der Analyse der vielen angeführten und fast immer neu übersetzten Stellen hervor, dass der origeneische Gedanke sich der Sprache nicht fügt, sondern ihr gewissermaßen Gewalt antut. Das wird von P. u. a. am Beispiel von ComJoh I, 253 klar aufgezeigt, wo der lange Hauptsatz sich auf drei verschiedene Partizipien im Aorist stützt: erstens ein substantiviertes aktives, zweitens ein attributives passives und schließlich ein adverbiales zirkumstantielles Passivpartizip. – Da­bei wäre es für den Leser leichter, dem Gedankengang zu folgen, wenn diese sowie andere Passagen in der Originalsprache wiedergegeben worden wären. – Selbstverständlich wird das Satzgefüge in den modernen Übersetzungen vereinfacht, entweder mittels der Einfügung von Zwischensätzen oder durch eine Trennung in zwei oder sogar drei verschiedene Einzelsätze. Wie sich P. zu zeigen bemüht, geht es hier nicht um Absichtlichkeit oder rhetorische Struktur, sondern nur um einen geistigen und geistlichen Impetus, der die Sprache in eine expressive tiefe Einheit zwängt (54).
Im zweiten Kapitel (69–126), das den ›wissenschaftlichen‹ Sprach­bereich – einschließlich der Kosmographie, Architektur, Kunst, Medizin usw. – behandelt, werden viele Bilder analysiert, die Origenes in seinem Kommentar umrissen hat. Von großem Interesse ist die Stelle über den Aufbau des Kommentars, die auch die Möglichkeit bietet, einen Blick auf eine der seltenen origeneischen Selbstreflexionen zu werfen. Ausgehend von einem Vergleich mit Vitruvs De architectura zeigt P., wie sehr der Friede für Origenes eine unentbehrliche Bedingung für den Aufbau (seines Kommentars) ist und beschreibt danach die vielen Zusammenhänge zwischen theologischem Diskurs und ars architectonica, die vor allem im 6. Buch des Kommentars zu finden sind. So erfährt man, dass der Alexandriner sein exegetisches opus explizit einem Haus gegenüberstellt, dessen Aufbau verschiedene Perioden durchlebt, welche den verschiedenen Lebensabschnitten des Origenes, zunächst in Alexandria und später in Cäsarea, entsprechen, und dass der Aufbau eines Hauses die Ruhe und den Frieden genauso verlangt, wie das Schreiben eine fröhliche Seele erfordert.
P. beobachtet, dass in der origeneischen Argumentation nicht nur der Übergang von der technischen zur theologischen Sprache stattfindet, sondern vielmehr die technische Sprache sozusagen in die theologische einfließt. Damit kann der Theologe die Konstruktion seines Werkes als eine ›Saison der Seele‹ interpretieren, in welcher die äußeren und inneren Umstände, also die gezwungene Unterbrechung des Schreibens sowie der wiedergefundene notwendige Friede, von Gott bestimmt sind. Zustimmen kann man wohl P., wenn er sagt, dass durch das Bild des ›Gebäudes‹ des Kommentars es Origenes gelungen ist, ars und Sprache zusammenzuführen.
Da er sich im dritten Kapitel (127–181) eine Untersuchung über ein Gebiet vornimmt, das von Origenes gar nicht thematisiert wird, schenkt P. der Terminologie besondere Aufmerksamkeit: So bieten die Verben epístamai, parístēmi, ístēmi usw. das Fundament einer umfassenden Analyse, die alle Fälle im ComJoh untersucht, wo die Terminologie der Erkenntnis vorkommt. Da es hier unmöglich wäre, die Analyse der einzelnen Stellen zu verfolgen, soll es ge­nügen, ein paar allgemeinere Überlegungen hervorzuheben:
P.s Meinung zufolge kann festgestellt werden, dass die Erkenntnis immer mit der Exegese verbunden ist und dass sie nicht als die der Kontemplation entgegengesetzte Vernunft verstanden werden kann, sondern als eine Gabe, die dem Menschen vom Logos ge­schenkt wird. Besonders interessant ist darüber hinaus der Versuch, einer Richtung im Verlauf des Kommentars zu folgen, die zu der Idee führt, dass die Gnosis für Origenes die aus Gott kommende Weisheit sei – vermittelt durch die aus dem Sohn kommende Epis­teme.
Das letzte Kapitel (182–197) besteht vor allem in einer Verallgemeinerung der im dritten Kapitel behandelten Themen, die nun nicht mehr der Entwicklung des Kommentars folgen, sondern systematisch geordnet sind. In der Betrachtung sowohl sprachlicher (Incipit, apophatische Terminologie usw.) als auch philosophisch-theologischer Begriffe (Logos, Allegorie, Historia usw.) zeigt P., wie sich für Origenes die Episteme als Gipfel der theologischen Reflexion darstellt.
Ein Appendix über den Syllogismus (198–200) ergänzt die bis heute fast nur auf die stoische Tradition konzentrierte Forschung, wobei die aristotelischen Analytica priora als Quellen für Origenes Logik hervorgehoben werden. Ein Index der analysierten Stellen sowie einer der griechischen Wörter runden das Buch ab und erleichtern dem Leser die Benutzung. Die umfassende Bibliographie, wann nötig kritisch und sachkundig beurteilt, ist unprak­-tischerweise nur in den Fußnoten enthalten, die jedoch oft auf die wichtigsten Parallelstellen sowohl bei den christlichen als auch den klassischen Autoren hinweisen, so dass der Leser das gesamte Spektrum der verschiedenen Traditionen vor Augen hat und über deren komplexe Interaktionen selbst urteilen kann.
Es handelt sich sicher um ein originelles und anspruchsvolles Buch, das – auch wegen des nicht immer flüssigen Stils – ein aufmerksames Lesen verlangt. Da keine Schlussfolgerungen von P. gezogen werden, ist es Aufgabe des Lesers, die im Text verstreuten grundsätzlichen Überlegungen zu sammeln. Außerdem zeigt das Buch deutlich, wie fruchtbar solche Forschungsperspektiven sein können. Da die absichtliche Beschränkung auf ComJoh anderen Wissenschaftlern die Möglichkeit gewährt, in dieser Richtung weiter zu forschen, wird man hoffentlich nicht noch 100 Jahre warten müssen, bis jemand denselben Weg fortzusetzen versucht.