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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

164-166

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hrsg. v. W. Neugebauer unter Mitarbeit v. F. Kleinehagenbrock. Bd. I: Das 17. und 18. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. M. Beiträgen v. U. Fuhrich-Grubert, F. Kleinehagenbrock, I. Mieck, W. Neugebauer, W. Ribbe.

Titel/Untertitel:

Historische Kommission zu Berlin: Handbuch der Preußischen Geschichte.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2009. XXII, 1271 S. gr.8°. Lw. EUR 199,95. ISBN 978-3-11-014091-0.

Rezensent:

Dirk Fleischer

Bei manchen Büchern wundert man sich, dass sie bislang noch nicht konzipiert wurden. Dies gilt auch für den jetzt vorliegenden ersten Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte, der von Wolfgang Neugebauer, einem ausgewiesenen Fachmann, herausgegeben wird. Mit diesem ersten Band, der das 17. und 18. Jh. um­fasst, ist das dreibändige Handbuch der Preußischen Geschichte nun abgeschlossen. Die Idee, ein solches Handbuch zu konzipieren, entstand 1980 in der Historischen Kommission zu Berlin, d. h. im Umfeld des »Preußenjahres« 1981. Der mittlere Band, der das 19. Jh. und wichtige Themen der preußischen Geschichte enthält, er­schien im Jahre 1992, der dritte mit der Geschichte Preußens im Kaiserreich und im 20. Jh. im Jahre 2001.
Dass das Projekt trotz aller Widrigkeiten überhaupt verwirklicht werden konnte, ist zweifelsohne das Verdienst von Wolfgang Neugebauer, der nach dem plötzlichen Tod von Otto Büsch im März 1994 die Herausgeberschaft übernommen hat. Die Widrigkeiten ergaben sich einerseits durch die Auflösung der Historischen Kommission zu Berlin und zum anderen durch den Abbau der einschlägigen Lehrstühle und Professuren, die sich mit der Thematik Preußen beschäftigten.
Der vorliegende Band gliedert sich in drei Abteilungen. Gemäß der Konzeption der Trilogie behandelt ein Hauptteil in 14 Paragraphen die geschichtliche Entwicklung Brandenburg-Preußens in den Jahrhunderten der Frühen Neuzeit. Prägnant arbeitet der Autor dieses Teils, der Herausgeber Wolfgang Neugebauer, die verschlungenen Wege der Politik und die spezifischen Probleme und Faktoren frühmoderner Staatsbildung unter dem Vorzeichen von »gespaltenen Loyalitäten« und der »Konkurrenz der Konfessionen« (XIX) heraus. Dieser Teil des Bandes folgt weitgehend der gängigen Darstellungspraxis der preußischen Geschichte mit ihrer Ausrichtung auf die Staatsaktionen, die Dynastie und die Verwaltung. Obwohl es sich grundsätzlich um eine erzählende Darstellung handelt, hat Neugebauer doch auch viel Analytisches mit in seine in einer eingängigen Sprache verfasste Darstellung einfließen lassen. Dies zeigen beispielhaft die Ausführungen zum Merkantilis­mus in Brandenburg-Preußen bis 1740. Überzeugend gelingt es Neugebauer auch, prägende Gestalten der preußischen Geschichte wie z. B. den Grafen Adam von Schwarzenberg mit seiner Bedeutung für die Entwicklung des Absolutismus ausgewogen darzustellen. Dieser Teil des Handbuches ist ein mit großer Kennerschaft und umfassendem Blick geschriebenes Beispiel für eine chronologisch-entwicklungsgeschichtliche Darstellung vergangener Wirklichkeiten.
Entsprechend der Konzeption des Handbuchs behandelt ein zweiter Hauptteil mit einem strukturgeschichtlichen Zugriff zentrale Themen der preußischen Geschichte. Während im 3. Band das Thema »Epochen der russisch-preußischen Beziehungen« untersucht wurde, richtet sich der Blick nun vor allem auf die westeuropäischen und reichsgeschichtlichen Beziehungen Preußens. Das Thema Brandenburg-Preußen und das Alte Reich wird von Frank Kleinehagenbrock und die westlichen Beziehungen Brandenburg-Preußens werden von Ilja Mieck behandelt. Mieck bietet auf über 400 Seiten eine überzeugende und die neuen Forschungsergebnisse verarbeitende Darstellung der Beziehungen Brandenburg-Preußens zu Frankreich, den Niederlanden und England bzw. Großbritannien. Zu Recht betont er, dass die Beziehungen Brandenburg-Preußens »zu den westeuropäischen Staaten … eine unverzichtbare Komponente für das historische Verständnis des Weges, den dieser Staat über Aufstieg, Blüte und Fall genommen hat«, bilden (447). Neben den politischen Perspektiven wird auch der wirtschaftliche und kulturelle Austausch eingehend behandelt. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich dabei von der vormodernen Zeit bis zur Reichsgründung. Zwei weitere Kapitel stellen – wiederum epochenübergreifend – Berlin als brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Preußens ( Wolfgang Ribbe) und die Hugenotten als Beispiel für den Umgang mit Minoritäten in Preußen dar (Ursula Fuhrich-Grubert).
Das Konzept des Handbuchs, die preußische Geschichte durch einen chronologischen und einen strukturhistorischen Zugang zu erschließen, überzeugt, wenngleich es sicherlich wünschenswert gewesen wäre, stärker noch kulturhistorische Fragestellungen zu berücksichtigen. Erwähnt werden muss, dass auch Forschungsdefizite deutlich benannt werden (vgl. z. B. 684.904 u. ö.).
Der erste Hauptteil des Buches, der zugleich als Einleitung in das gesamte Werk dient, enthält eine kenntnisreiche Darstellung, die das Bild Preußens in der Historiographie nachzeichnet. Na­-heliegenderweise spiegelt sich die Regionalität des späteren preußischen Staates auch in den frühen historiographischen Werken wider, d. h. es gibt lediglich einzelne Landesgeschichten. Seine Darstellung beginnt Neugebauer, der diesen Überblick verfasst hat, mit der »Chronik des Preußenlandes« von Peter von Dusburg aus dem Jahre 1326. Prägnant arbeitet er auch die jeweiligen Interessen, die mit den historiographischen Darstellungen verbunden sind, heraus. Nach der vorwissenschaftlichen Historiographie werden zu­nächst die Geschichte Preußens im Zeitalter des Historismus unter dem Vorzeichen der Verwissenschaftlichung und die strukturgeschichtliche Erforschung Preußens dargestellt. Zu Recht werden dabei besonders die Leistungen von Gustav (von) Schmoller (1838– 1917) berücksichtigt – und die von Otto Hintze (1861–1940), der zweifelsohne zu den »produktivsten Vertretern« (49) der preu­-ßischen Geschichtsforschung zählt. Besonders lesenswert sind die zwei Abschnitte über die Erforschung der preußischen Geschichte in der Zeit des Kaiserreiches, die durch ein »erstaunliches Maß von Pluralismus« (53) gekennzeichnet war, und in der Zwischenkriegszeit, die die politische Positionierung der Historiker prägnant verdeutlicht. Den Abschluss der Übersicht bildet eine Darstellung der Geschichtsschreibung über das seit 1947 untergegangene Preußen ab 1945. Mit Recht wird in diesem Zusammenhang betont, dass ein zentrales Problem der Forschung über Preußen nach 1945 die Zerrissenheit der Archivüberlieferung war. Inhaltlich werden die Themen Untergang und »Abrechnung«, die Bundesrepublik und die historiographische Westintegration und Preußen als Forschungsthema in der DDR und in Polen behandelt.
Der Band zeichnet sich sowohl durch exakte historische Arbeit als auch durch eine umsichtige Durchdringung des vielschichtigen Stoffes aus. Besonders erwähnenswert sind auch die umfang­reichen Literaturhinweise. Die Geschichtswissenschaft hat mit dem Handbuch der preußischen Geschichte ein neues Standardwerk.