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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

154-156

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Luckensmeyer, David

Titel/Untertitel:

The Eschatology of First Thessalo­n­ians.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. XI, 463 S. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 71. Geb. EUR 79,90. ISBN 978-3-525-53969-9.

Rezensent:

Paul Metzger

Diese Monographie stellt die überarbeitete und erweiterte, von M. Lattke (Queensland, Australien) betreute Dissertation von David Luckensmeyer dar. Er beschäftigt sich darin mit dem Denken des Apostels Paulus, wie es in dessen 1. Brief an die Thessalonicher anzutreffen ist. Er will vor allem die theologischen Gedankengänge des Apostels nachzeichnen und kommt so zu der These: »Eschatology … [is] the best hermeneutical key to interpret Paul’s pattern of exhortation« (2). Er wundert sich daher, dass der Eschatologie des 1Thess noch keine eigene Untersuchung gewidmet wurde, lediglich Teilaspekte seien behandelt worden (3). L. unternimmt es an­gesichts dieser Feststellung, »the current lacuna in Thessalonian scholarship« (5) zu füllen. Der Begriff »Eschatologie« wird dabei als ein »umbrella term« verwendet, der Motive bündelt, welche »often but not always refer to the eschaton« (2). Dieser undifferenzierte Begriff erlaubt ihm, vier Textpartien des 1Thess (1,9 f.; 2,13–16; 4,13–18; 5,1–11) als eschatologische Passagen zu qualifizieren und seine Untersuchung an diesen auszurichten. Lässt man sich auf diese vage Begrifflichkeit ein, erscheint die Gliederung der Arbeit sinnvoll.
In den ersten beiden Abschnitten stellt L. zunächst die Weichen seiner Arbeit. So sieht er den Brief um 50 n. Chr. an eine Gemeinde gerichtet, die mit ihrer Umwelt im Konflikt stehe (2). In dieser Situation sei Paulus daran gelegen, den Thessalonichern einerseits zu erklären, warum es den Konflikt gibt, und sie andererseits dazu zu ermutigen, eine eigene Identität auszubilden. Weil sie aus ihren gesellschaftlichen Kontexten ausgestoßen würden, müsse Paulus ihnen dabei helfen, eine neue Identität als Christen zu erlangen. Dies erreiche er, indem er mithilfe von »insider/outsider language throughout the letter« (2) die Entwicklung des neuen Selbstverständnisses vorantreibe. Nachdem L. so die Situation beschrieben hat, die für ihn den Hintergrund des Briefes bildet, präsentiert er eine kurze »topical analysis« des Briefes, anhand derer er einen »survey of recent secondary literature« gliedert. Er kritisiert, dass seine Vorgänger die Themen des Briefes (etwa das frühe Missionskerygma, die Parusie Christi, die Ethik, das Gericht Gottes) als »hermeneutical keys to understand the letter« benutzt hätten und damit in die Irre gegangen seien (18). Denn so argumentiert L.: »Eschatol­ogy is the only category in which all the systematic concerns of the letter may be incorporated.« (18)
Diese nicht unbedingt neue, aber nach eigener Auskunft (40) zum ersten Mal klar und absolut im Rahmen einer Monographie formulierte These will er belegen, indem er zunächst eine »epistolary analysis« des Briefes vorlegt. Er begrenzt die Brieferöffnung auf 1Thess 1,1 und rechnet bereits 1Thess 1,2 zum Hauptteil. So besteht der Brief letztlich nur aus drei Teilen, da der »Main Part« bis 1Thess 5,22 reicht und dann bereits der Briefausgang beginnt, der wiederum nur 1Thess 5,23–28 umfasst. Den Hauptteil untergliedert er in vier Abschnitte (1Thess 1,2–10; 2,1–16; 2,17–3,13; 4,1–5,22). Im Rahmen dieser Gliederung fällt auf, dass die ersten drei Abschnitte jeweils mit einer »eschatological climax« enden, während dies im vierten nicht der Fall ist, obwohl er sich doch direkt mit der Auferstehung der Entschlafenen und dem Zeitpunkt der Parusie befasst. Von daher wäre es m. E. sinnvoller, den Briefschluss bereits in 1Thess 5,12 beginnen zu lassen, weil so auch der vierte Abschnitt des Hauptteils mit einer eschatologischen Klimax enden würde. Weiter erscheint es mir besser, den Brief in zwei (Haupt-)Teile zu gliedern, eine Danksagung (1Thess 1,2–3,13) und einen lehrhaften Teil (1Thess 4,1–5,11), und diese von den weiteren Versen rahmen zu lassen. Folgt man aber der von L. favorisierten Gliederung, so verwundert, warum 1Thess 3,11–13 kein eigenes Kapitel gewidmet wird, obwohl die Verse nach ihm einen eschatologischen Höhepunkt enthalten und die anderen Höhepunkte der Gliederung doch eigens untersucht werden.
Mit der Untersuchung von 1Thess 1,9–10 beginnt L. seine ausführlichen Exegesen und erkennt das besonders liebevolle Verhältnis, das Paulus zu den Thessalonichern habe. Dies bringe es mit sich, dass Paulus seiner Gemeinde »guidance in the form of parae­nesis« (113) offeriere, indem er die weiteren Themen des Briefes, wie den Zorn Gottes oder die Auferstehung der Toten bereits am Anfang kurz resümiere und der Gemeinde so versichere, dass sie nicht auf der falschen Seite stehe. Diese Linie führt 1Thess 2,14–16 weiter, wo Paulus wiederum »a positive and negative pattern of exhortation« formuliere (171). Er erkläre mit diesen Versen die »current social disintegration« der Gemeinde, wolle also keine generelle Aussage über die Juden machen, sondern benutze diese als Typos für jene, die Jesus nicht als den Christus akzeptieren (172). Im folgenden Kapitel untersucht L. die zentrale Passage des 1Thess und stellt sicherlich zu Recht fest: 1Thess 4,13–18 »is quintessential of early Pauline eschatological and apocalyptic thought« (173). Bevor L. selbst seine Analyse der Passage vorstellt, verwirrt ein Exkurs (in Tabellenform!) über verschiedene bisherige Auslegungen. L. kommt zu dem Ergebnis, dass die Thessalonicher das Verhältnis von Auferstehung und Parusie missverstanden hätten, weshalb Paulus nochmals darauf zurückkommen müsse. Dass L. nach einer detaillierten Exegese als Ergebnis lediglich festhalten kann, die Parusie Christi stelle für Paulus »a rallying point for community solidarity and also an imperative for holy living« (270) dar, enttäuscht zwar ein wenig, ist aber ebenso zutreffend wie sein abschließendes Resümee: »Where once community members were experiencing social disintegration, they now look forward to an eschatological existence par excellence which includes always being with the Lord.« (273)
Die Lektüre der Untersuchung von 1Thess 5,1–11 steht unter ähnlichen Vorzeichen. Einer detaillierten und ausführlichen Exegese des Textes steht als Ertrag die Erkenntnis gegenüber, dass das Wissen um den Tag des Herrn der entscheidende Unterschied zwischen den Thessalonichern und deren Umwelt darstellt. Da sie nun darum wissen, dass sie bereits gegenwärtig »Söhne des Lichtes« seien (1Thess 5,5), sollen sie trotz ihrer sozialen und theologischen Probleme getröstet sein.
Eine ausführliche Zusammenfassung rafft die Ergebnisse der Arbeit in dankenswerter Kürze nochmals zusammen. Dabei wird deutlich, dass man zwar im Detail fragen kann, ob die vielen Entscheidungen, die im Laufe einer solchen Untersuchung getroffen werden müssen (etwa bezüglich der Gliederung, der Auswahl der Texte und der Einschätzung der paulinischen Entwicklung), glück­lich sind, dass sich die Grundthese des Buches aber nur schwer bestreiten lassen wird. Dass die Eschatologie für Paulus insbeson­dere im 1Thess eine gewichtige Rolle spielt, ist sicherlich zutreffend beobachtet, die These, wonach Eschatologie »the best hermeneutical key to interpret Paul’s pattern of exhortation« (319) sei, scheint mir aber zu absolut formuliert. Zutreffend ist hingegen, dass die eschatologischen Motive vor allem dann zum Tragen kommen, wenn es darum geht, die Gemeinde in ihrer Situation zu stärken und ermahnend zu ermutigen. Von daher spielen sie eine gewichtige Rolle.
Die Frage, die sich am Ende stellt, scheint exemplarisch für exegetische Abhandlungen der Gegenwart zu sein, insbesondere für Qualifikationsarbeiten. Es geht um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Man muss der Arbeit von L. eine gründliche, fleißige und ausdauernde Exegese der behandelten Texte bescheinigen. Soweit ich sehe, sind aber seine Thesen nicht ganz neu, und seine Beobachtungen bringen kaum außerordentliche Erkenntnisse. Wem – außer exegetischen Fachkollegen – will man also die Mühe der Lektüre angesichts des überschaubaren Ertrags zumuten? Das Verdienst L.s um das Verständnis des 1Thess darf diese grundsätzliche Anfrage aber nicht schmälern. Seine Beobachtungen werden bei jeder zu­künftigen Beschäftigung mit dem Brief beachtet werden müssen.