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Ausgabe:

Oktober/2010

Spalte:

1129-1130

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hausberger, Karl

Titel/Untertitel:

Reichskirche – Staatskirche – »Papstkirche«. Der Weg der deutschen Kirche im 19. Jahrhundert.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2008. 231 S. m. Abb. u. Ktn. gr.8°. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-7917-2135-4.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Das Buch, im Nachgang zum 200. Jubiläum des Reichsdeputationshauptschlusses verfasst, »ist auch für eine historisch interessierte breitere Leserschaft bestimmt« (10). Was vorliegt, ist eine gut lesbare, perspektivisch auf die Ursachen und Folgen der großen Säkularisation ausgerichtete Darstellung der Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches sowie in den Folgestaaten. Dementsprechend lauten die Kapitelüberschriften »Die Reichskirche«, »Die große Säkularisation von 1802/03« und »Die Neuordnung des Kirchenwesens«. Allerdings müsste der Untertitel des Buches eher heißen: »Der Weg der deutschen Kirche ins 19. Jahrhundert«, denn die Darstellung endet im Wesentlichen mit der Neuordnung der staatskirchlichen Verhältnisse durch das bayrische Konkordat von 1817, die Zirkumskriptionsbullen und die Frankfurter Kirchenpragmatik. Nur in einem kurzen, abschließenden »Ausblick« kommt H. auf die Papstkirche zu sprechen. Hier öffnet sich die Perspektive auf das spätere 19. Jh., auf den Ultramontanismus also, auf das Erste Vatikanische Konzil und letztlich auf den Codex Iuris Canonici von 1917, der die Papstkirche – der ansonsten in protestantischer Polemik gebräuchliche Begriff ist im Titel des Buches in Anführungszeichen gesetzt – auch rechtlich festgeschrieben habe (214).
Im Zuge des Rückblicks auf die große Säkularisation vor rund 200 Jahren war die Betrachtung oft hauptsächlich auf die Gebiets- und Vermögenssäkularisation gerichtet gewesen, während H. den Schwerpunkt auf die Beendigung geistlicher Herrschaftsausübung legen will (9) und auch legt. So wird, angelehnt an den historische Erfahrung memorierenden Grundsatz »Unterm Krummstab ist gut leben«, mit gewisser Sympathie die Herrschaft in den deutschen Hochstiften dargestellt. Dabei werden die Probleme nicht außer Acht gelassen, die vor allem aus der Funktion der Bistümer als Versorgungseinrichtungen für nachgeborene Adelssöhne resultierten. Andererseits werden die Reformbemühungen, etwa durch den Febronianismus, gewürdigt, und insgesamt ist die Bilanz wie schon bei manchen Zeitgenossen positiv: »Die katholische Kirche wurde durch den grundstürzenden Umbruch von 1803 auf ihre eigentliche, die religiös-geistliche Bestimmung zurückgeworfen« (204).
Die Darstellung der Institutionen der Reichskirche setzt weit vor dem 19. Jh. ein, und so bietet sie einen bündigen Überblick über die Entstehung geistlicher Herrschaft im Alten Reich seit dem Mittelalter. Ebenso widmet sich H. der Vorgeschichte der Säkularisationen: Zu ihnen gehörten nicht nur die Versuche des 18. Jh.s, Vermögen in kirchlicher Hand zur Sanierung der Staatsfinanzen einzuziehen, sondern auch die Aneignung von kirchlichem Besitz durch weltliche Herrschaften in der Reformation – ein »schmerzlicher Aderlass« in H.s Sicht (26), der unter Verletzung des geistlichen Vorbehalts (der im Übrigen ohnehin erst ab 1555 galt) erfolgt sei (28–32) und damit als ähnlich rechtswidrig und verwerflich angesehen wird wie die Klostersäkularisation nach 1803, die »in moralischer Hinsicht ein grober Unrechtsakt« war (115).
Die Folgen der Säkularisation in ihren beiden Dimensionen als Aneignung von Territorial- wie Vermögensbesitz werden nicht zuletzt im Blick auf die Kultur dargestellt. So ergibt sich das traditionelle und in toto ja auch nicht falsche Panorama verschleuderter Bücher und Kunstwerke, einer zerstörten Klosterlandschaft und einer Selbstbedienungsmentalität bei den Herrschern der sich bereichernden weltlichen Klein- und Mittelstaaten. Die Verhältnisse in Bayern, dessen politische Führung unter Graf Montgelas verantwortlich für § 35 des Reichsdeputationshauptschlusses war, werden dabei als »Paradebeispiel« (95) hervorgehoben. Seitenblicke auf die linksrheinischen Verhältnisse vervollständigen das Bild.
Die Neuordnung des Kirchenwesens wird ebenso in ihren zentralen Linien beschrieben wie der Weg zur Säkularisation und diese selbst. Dalbergs und Wessenbergs Wirken werden angesprochen und somit auch die Versuche, ein Konkordat für das schon im Zusammenbruch befindliche Reich bzw. den Deutschen Bund auf den Weg zu bringen. Was eben blieb, waren vertragliche Abreden der deutschen Einzelstaaten mit dem Heiligen Stuhl, welche Rechtsform diese formal auch haben mochten. Dass es dennoch oder gerade deswegen genug Potential für Probleme gab, wird am bayrischen Konkordat mit seiner Rechtskonkurrenz zum Verfassungsgrundsatz der konfessionellen Gleichberechtigung wie am preußischen Umgang mit dem Bischofswahlrecht der Domkapitel deutlich gemacht.
Das mit großer Umsicht und einem Blick für das Wesentliche verfasste Buch des Regensburger Kirchenhistorikers liest sich als ge­lehrte Frucht einer lebenslangen Beschäftigung mit der Thematik und könnte auch als Lehrbuch für Studierende Verwendung finden.