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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

820-822

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baden, Joel S.

Titel/Untertitel:

J, E, and the Redaction of the Pentateuch.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XI, 339 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 68. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149930-2.

Rezensent:

Markus Witte

Der Pentateuch ist literarisch, historisch und theologisch ein hochkomplexes Gebilde, das seine Geschichte nur im Prozess der kritischen Rekonstruktion zu erkennen gibt. Dabei ist angesichts der Unmenge der im Laufe von 300 Jahren kritischer Bibelwissenschaft entwickelten Entstehungstheorien und angesichts von sich bis in Viertelverse verästelnden Hypothesen der Wunsch nach einem einfachen Pentateuchmodell verständlich. Die Monographie von B., die für den Druck durchgesehene Fassung seiner 2007 an der Harvard University unter der Betreuung von P. Machinist angenommenen Dissertation, kommt diesem Wunsch nach.
So führt B. den Pentateuch auf die Verbindung der vier zuvor selbständig komponierten und tradierten Quellen des »Jahwisten« (J), des »Elohisten« (E), der »Priesterschrift« (P) und des Deuteronomiums bzw. des Deuteronomikers (D) durch einen Redaktor zu­rück. Dabei bestreitet B. ebenso vehement eine »JehowistischeRedaktion« (JE), die vorendredaktionell J und E verbunden habe, wie er J und E als pentateuchweite, eigenständige und vordeuteronomische Quellen verteidigt. Gegenüber einer regionalen und zeitlichen Dislozierung hält B. J, E und P für annähernd zeitgleiche Werke unterschiedlicher Herkunft und Profile (monarchisch im Fall von J, prophetisch im Fall von E und priesterlich im Fall von P). Diese hätten, wie auch das um 621 v. Chr. in Konkurrenz zu und unter Rückgriff auf J und E entstandene Dtn, im Laufe des Babylonischen Exils in ihren jeweiligen Trägerkreisen autoritative Geltung erlangt und seien dann im Zuge der »Persischen Reichsautorisation«, d. h. der für das Perserreich punktuell nachweisbaren Praxis, lokales Recht zu Reichsrecht zu deklarieren, durch einen judäischen Redaktor kompiliert worden. Mit dieser allzu einfachen Lösung wird die Urkundenhypothese in einer Gestalt repristiniert, die sie vor ihrer Ausdifferenzierung durch J. Wellhausen (1844–1918) besaß, dessen literarkritische und religionsgeschichtliche Analysen B. für den eigentlichen Sündenfall in der Geschichte der Urkundenhypothese und für die Ursache ihrer Kritik hält. B. be­zieht sich mit seiner Reduktion der Quellenverbindung auf eine Hand explizit auf A. Dillmann (1823–1894); letztlich steht er nicht weit entfernt von B. de Spinozas (1632–1677) Vermutung, Esra habe auf der Basis verschiedener Quellen den Pentateuch (und darüber hinaus die Vorderen Propheten) geschrieben.
Ein Drittel des Buchs ist ein Referat zur Geschichte der JE-Hypothese, die B. als eine Fehlentwicklung im Rahmen des Urkundenmodells und als Verlegenheitslösung im Fall einer nicht konsequent durchgeführten Scheidung von J und E ansieht. So erfreulich der forschungsgeschichtliche Rekurs bis auf H. Hupfeld (1796–1866) zurück ist, so unverständlich ist, dass B. redaktionsgeschichtlich modifizierte Weiterführungen einer JE-Hypothese, wie sie z. B. von P. Weimar, E. Zenger, L. Ruppert oder L. Schmidt vorlegt wurden, nicht in den Blick nimmt. Aber nicht nur diese Positionen vermisst man in der von B. vorgelegten Forschungsgeschichte. Eine Auseinandersetzung mit dezidiert redaktionsgeschichtlichen An­sätzen in der aktuellen Pentateuchforschung, sei es mit den Entwürfen von H.-Chr. Schmitt, E. Otto oder R. G. Kratz, findet gar nicht statt. Trotz vereinzelter, dann aber nicht immer glücklicher Zitation ausgewählter neuerer Positionen bleibt B. forschungsgeschichtlich auf dem Stand der 70er Jahre des 20. Jh.s. Dies gilt auch für seine Bestimmung des Redaktors, den er – wie einst G. F. Moore (1890) in seinem Vergleich der Pentateuchredaktion mit der Evangelienharmonie Tatians – als einen Kompilator ohne eigenes literarisches oder theologisches Profil anspricht. Dass redaktionelle Bearbeitungen – sei es durch Kombination von Quellen, durch sys­tematische Fortschreibung oder punktuelle Ergänzungen – immer auch das literarische, kompositionelle und theologische Profil des bearbeiteten Textes betreffen, hat spätestens die redaktionsgeschichtliche Forschung am Alten und Neuen Testament gelehrt. Gegen B. ist ein Redaktor literaturgeschichtlich, hermeneutisch und rezeptionsgeschichtlich immer auch ein Autor. Die von B. geforderte Trennung von literarischer und historischer Analyse ist weder möglich noch sinnvoll; vielmehr bewegt sich Exegese, sofern sie literargeschichtlich ausgerichtet ist – und für einen solchen Zugang tritt B. ja mit vollem Recht ein –, immer in einem Wechselspiel von literarischen und historischen Beobachtungen.
Ein weiteres Drittel des Buchs ist dem Nachweis gewidmet, dass D die Quellen J und E getrennt benutzt habe, wobei E für D inhaltlich und konzeptionell die Priorität besitze. Im Einzelnen behandelt B. ausführlich 1.) Dtn 1,9–18; 2.) Dtn 1,19–45; 3.) Dtn 2,2–3,11; 4.) Dtn 3,12–20; 5.) Dtn 4,10–14; 5,2–5.19–18; 9,8–21.25–10,5; 6.) Dtn 9,22–24; 7.) Dtn 10,6–9 und 8.) Dtn 11,12b–6 sowie summarisch Dtn 23,4–6; 25,17–19 und 31,1–8. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit B.s Literarkritik kann hier nicht erfolgen. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass weder die Rückführung von Num 12; Dtn 31*; Dtn 34* oder des Hauptbestands der Bileamperikope (Num 22–24) auf E noch das mehrfach aufgestellte Postulat, J und E seien durchlaufende kohärente Quellen, die aber nur unvollständig erhalten seien, überzeugen. In einem zehnseitigen Exkurs versucht B. zu zeigen, dass P weder von JE noch von J oder E abhängig sei.
Im letzten Drittel des Buchs nimmt B. ausgewählte Texte, die im Rahmen der neueren Urkundenhypothese JE zugewiesen wurden, unter die Lupe mit dem Ergebnis, dass diese entweder von J, E, P, D oder dem Redaktor stammten. Hier kommen auch exemplarisch Texte aus der Genesis zur Sprache, u. a. die »Väterverheißungen«, die B. durchwegs für quellenhaft hält. Schließlich widmet sich B. seinem Redaktor. Dessen Singularität zeige sich an einer einheitlichen redaktionellen Technik, mittels derer Texte unterschiedlicher Herkunft entweder verknüpft (so z. B. im Fall von Ex 17,2–7 aus J und Num 20,2–13 aus P), blockweise hintereinandergestellt (so im Fall von Gen 22 E, Gen 23 P und Gen 24 J) oder ineinander verflochten würden (so z. B. im Fall von Gen 37–50). Die wenigen auf den Redaktor selbst zurückgeführten Texte bestimmt B. als kleine redaktionelle Modifikationen (so in Gen 33,18a; 39,1; Ex 3,4; 34,29; Num 16,24.27.32), als terminologische oder motivische Vereinheitlichungen (so in Ex 4,21; Num 13,26; 32,9.11.12.33; Dtn 1,39 bzw. in Ex 9,35; 10,20; Num 32,29–30) und als »Amalgamierungen« (so in Ex 31,18; 34,4; Num 13,26). Auch hier kann keine Einzelkritik der literarkri­-tischen Zuweisungen erfolgen. Grundsätzlich ist aber gegen B. zu betonen, dass identische Technik noch keine Identität des Redaktors beweist: Literarkritische Arbeit muss stets – wie seit W. M. L. de Wette (1780–1849) bekannt – von Tendenzkritik begleitet werden. Überlegungen zu theoretischen, historischen und geistesgeschichtlichen Prämissen der neueren Urkundenhypothese sowie die schon angesprochene Verortung des Pentateuchredaktors im Umfeld der Restauration Judas unter Esra und Nehemia beschließen das Werk.
Unabhängig davon, ob man selbst (noch) die neuere Urkundenhypothese oder deren Ausgestaltung hinsichtlich einer Erhöhung des JE zugewiesenen Textanteils für plausibel hält oder ob man eher einem Fortschreibungsmodell zuneigt, das sich von den Quellen J und E löst, ohne die Existenz redaktionsgeschichtlich zu differenzierender nicht-priesterlicher und nicht-deuteronomis­tischer Texte zu bestreiten, wird man an B.s Entwurf erhebliche Anfragen haben. Dass und mit welchem Anspruch B. eine These für den gesamten Pentateuch vertritt, ohne beispielsweise geklärt zu haben, in welchem redaktionsgeschichtlichen Status D J oder E benutzte oder in welchem genauen literargeschichtlichen Verhältnis P und D und die in diese integrierten großen Gesetzeskorpora zueinander stehen, ist erstaunlich. Eine Dissertation zu Fragen der Pentateuchredaktion kann und muss nicht alle Texte im Pentateuch analysieren, sie sollte sich dann aber mit bescheideneren Zielen zufriedengeben – zumal wenn ihr Vf. es mit Größen aufnimmt, die tatsächlich die »Composition des Hexateuchs und der Historischen Bücher des Alten Testaments« vollständig durchanalysiert haben. So besteht die wesentliche Bedeutung des Buchs von B. in der Tatsache, ausgewählte Texte im Pentateuch diachron behandelt zu haben, was für den Kontext, aus dem es stammt, nicht selbstverständlich ist, und neuere, in den USA und in Europa weniger bekannte israelische Werke in die Forschungsdiskussion eingebracht zu haben.