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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

83

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Dubied, Pierre-Luigi

Titel/Untertitel:

Die Krise des Pfarramts als Chance der Kirche.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag 1995. 190 S. 8°. Kart. DM 44,­. ISBN 3-290-10979-8.

Rezensent:

Manfred Josuttis

Der Titel der deutschen Übersetzung enthält eine doppelte Täuschung. Nicht von der Krise des Pfarramts handelt das Buch des Praktischen Theologen in Neuchâtel, sondern von den Schwierigkeiten des Pfarrerdaseins. Und die Möglichkeiten, die mit den aktuellen Konflikten verbunden sind, werden nicht als "Chance der Kirche" interpretiert, sondern als Gelegenheit für den Pastor, "den Beruf neu zu definieren und ihm zugleich von neuem einen Sinn zu verleihen, im direkten Austausch mit den Problemen der Welt" (172).

Konkret geht es um zentrale Aspekte der Pfarrer-Identität, und zwar in der Verknüpfung von beruflicher, personaler und "gläubiger", d. h. religiöser Perspektive (70). In den drei Hauptkapiteln beschreibt D. die entscheidenden Felder pastoraler Krisen-Erfahrung: die familiale Umgebung (37 ff.), die gemeindliche Verortung (83 ff.), die institutionelle Verankerung (121 ff.). Das empirische Material stammt vorwiegend aus dem Schweizer und dem Französischen Protestantismus, aber trifft Belastungen und Lösungsversuche der Pfarrerschaft auch in Deutschland. Dabei scheinen mir die Ausführungen zur Ehe-Situation besonders hilfreich zu sein, weil schon die Überschrift "Die doppelte Heirat" den Antagonismus zwischen Partnertreue und Gemeindebindung präzise einfängt (52 ff.). Im methodischen Ansatz sieht sich D. der "Sozialphänomenologie" des englischen Psychiaters R. D. Laing besonders verpflichtet (24ff.).

Identität wird dabei sozialpsychologisch verstanden, als prekärer Balance-Akt in der Interaktion, dem man weder durch ideologisch-theologischen Dogmatismus noch durch institutionalisierte Autoritätsrollen entkommen kann. Entsprechend muß die pastorale Existenz sich in allen Dimensionen der Lebenswelt gegen zweiseitig beschriebene Versuchungen schützen, wie sie besonders deutlich die Kollusion nahelegt (56 ff., 147 ff.). In der Partnerbeziehung, im Umgang mit Gemeinde, Kollegen und der Gesellschaft insgesamt gilt die Maxime, daß weder totale Anpassung noch prinzipielle Verweigerung die Aufgabe der Identitätsfindung bewältigen können.

Das positive Leitbild zeichnet den Pfarrer/die Pfarrerin als "Interpret" (129 ff.). Dabei kommt nicht nur seine hermeneutisch fundierte Ausbildung zum Zuge, sondern vor allem der existentielle Bezug der biblischen Orientierung, die D. am Schluß jedes Kapitels an Texten des Neuen Testamentes exemplarisch beleuchtet. Pastorale Existenz gibt es nur in den Krisen, nicht jenseits davon. Deshalb wird Hermeneutik zur fundamentalen Strategie pastoraler wie christlicher Vergewisserung: "Interpret sein heißt akzeptieren, im Werden zu sein, in Zweifel und Gewißheit, in Furcht und Heiterkeit zu bestehen. Der Pfarrer kann höchstens beanspruchen, eine Plausibilitätsstruktur des christlichen Werdens als Interpretationsprozeß darzustellen" (137).

Die pastoraltheologische Studie von D. verbindet auf ansprechende und erfahrungsgesättigte Weise die hermeneutische und die sozialpsychologische Linie innerhalb der Praktischen Theologie. Die Krise pastoraler Identität würde freilich noch einmal radikalisiert, wenn nicht nur die sozialen Größen von Familie, Gemeinde und kirchlicher Institution als Bezugspunkte seiner Existenz herangezogen werden, sondern jene Macht des Heilig-Unheimlichen, die nach den Aussagen der Bibel das Leben von Menschen gründlich verändert. Die Krise des Pfarrers könnte dann eine Chance Gottes oder des Geistes sein.