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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

608-610

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gregorius, Ralf-Dieter, u. Peter Schwarz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Feier der Evangelischen Messe. Hrsg. im Auftrag der Evangelischen Michaelsbruderschaft.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 608 S. gr.8°. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-525-57150-7.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die Evangelische Michaelsbruderschaft legt nach fast 50 Jahren wieder eine Agende vor; 1961 hatte Karl Bernhard Ritter seine »Eu­charistische Feier« in Verbindung mit der Michaelsbruderschaft herausgegeben. Die Gründe für eine neue Agende stellt einer der beiden Herausgeber, Peter Schwarz, in seinem Vorwort dar: Da die »Eucharistische Feier« von Ritter seit Jahren vergriffen ist, sich aber seitdem Erkenntnisse und Entwicklungen ereignet haben, an de­nen man nicht vorbeigehen kann (die liturgische Forschung hat Schätze zutage gefördert, die in die Gottesdienstbücher der deutschsprachigen evangelischen Christenheit Eingang gefunden haben, so dass sich die Möglichkeit bot, die Ordnung der Evangelischen Messe zu verbinden mit dem Evangelischen Gottesdienstbuch von 1999 und den vielfältigen Gestaltungselementen anderer landeskirchlicher Liturgien), und die Berneuchener Gemeinschaften in ökumenischer Offenheit an der Kirche bauen, haben diese Gründe den Anstoß zu einer Neubearbeitung gegeben, die nun nicht eine einzelne Person, sondern eine Arbeitsgruppe erarbeitet hat.
Der Aufbau dieses Messbuches folgt der klassischen Einteilung von Proprium und Ordinarium: Das Proprium von Advent bis Pfingsten wird zunächst abgedruckt, ihm folgt das Ordinarium als vollständige Darbietung des Messverlaufs.
(Das Missale Romanum 1570 bietet den vollständigen Messverlauf als Ostersonntag, so auch Ritter 1961; die lutherische Agende I von 1955 ordnet zuerst das gesamte Proprium an, ihm folgt das Ordinarium, ebenso verfährt das römisch-katholische Messbuch 1970, so auch die Neuauflage von 2002, ebenso das Lutheren Book of Worship 1978 wie auch das Common Worship der Church of England von 2000; nur im Messbuch der Alt-Katholiken von 1995 findet sich dieselbe Aufteilung wie bei den Michaelsbrüdern; hingegen verzeichnet das Evange­lische Gottesdienstbuch von 1999 zuerst die Gottesdienstverläufe, um ihnen dann das Proprium anzuschließen.)
Abweichend von den üblichen Gebeten zum Proprium wird zu jedem Sonntag auch ein Fürbittengebet mit abgedruckt.
Der Messverlauf: Bereitung (ggf. vor dem Einzug in die Kirche) und Bitte um den Heiligen Geist als Lied, dann trinitarisches Votum, Gruß, Sündenbekenntnis, Introituspsalm, Kyrie, Gloria, Tagesgebet. Alttestamentliche Le­sung und/oder Epistellesung mit Wochenlied, Halleluja als Bereitung des Evangeliums, Evangelium, Lied oder Instrumentalmusik, Predigt, Stille oder Lied, Glaubensbekenntnis, Fürbittgebet. Dankopfer und Bereitung von Brot und Wein, währenddessen Lied oder Instrumentalmusik, Präfation, Sanctus, Eucharistiegebet, Vaterunser, Friedensgruß, das Heilige den Heiligen, Agnus Dei, Kommunion, Dankgebet. Sendung, ggf. ein Lied, auch als Bitte um Frieden oder Te Deum, Segen.
Es folgt die Ordnung der Werktagsmesse. Es werden als Beigaben zum Ordinarium das Eucharistiegebet I von K. B. Ritter, das Abendmahlsgebet nach der lutherischen Agende 1955, zwei Abendmahlsgebete des Evangelischen Gottesdienstbuches 1999 (113 ff. mit Vaterunser und 634) wiedergegeben. Auf dieses Ordinarium folgt das Proprium II, zuerst Trinitatis und alle Sonntage nach Trinitatis. Proprium III beinhaltet Gedenktage im Jahreskreis. Im Anhang finden sich Sakristeigebete, die vor und nach dem Gottesdienst verwendet werden können, außerdem ein Fürbittgebet nach der Berneuchener Tradition und eine Präfation zu Michaelis. Es folgt eine kurze Einführung in das Singen von Tagesgebeten, Präfa­tionen und Eucharistiegebeten. Hinweise zur Notation schließen die Einführung ab. Zusätzlich wird noch eine alternative Singweise zum »Geheimnis des Glaubens« geboten sowie eine Zeichenerklärung der Abkürzungen. Dem Buch sind vier Bändchen beigegeben, die für den Altargebrauch dieses Messbuchs sinnvoll sind.
In seinem Geleitwort markiert der Älteste der Evangelischen Michaelsbruderschaft, Frank Lilie, das Messverständnis: Gefeiert wird die Gegenwart des Mysteriums, der Gottesdienst wird zur Vergegenwärtigung des Heils. Er begründet dies mit der Aussage, dass Gott sowohl ganz nah als auch ganz fern, der Heilige und »Ganz Andere« ist. Gott ist Mysterium, die Glaubenden können nur staunend anbeten. Der zweite Herausgeber, Ralf-Dieter Gregorius, gibt eine Einführung in die Feier der Evangelischen Messe. Da der Gottesdienst ein Ort geistlicher Erfahrung ist – denn Gott vergegenwärtigt sich selbst in Wort und Sakrament –, trifft der Rück­gang des Gottesdienstbesuches die evangelische Kirche schmerzlich, da nach CA 7 die Einheit der Kirche in Wortverkündigung und Mahl besteht und nicht in einer besonderen kirchlichen Struktur oder in einem Amt. Die Kirche ist wesentlich Gottesdienst, sie hat nicht Gottesdienst. Darum erhebt die Michaelsbruderschaft den Anspruch, dass sie mit der Messe nicht einen, sondern den Gottesdienst feiert. Das ist weniger an die jeweilige Gestaltung, sondern an die grundlegende Form der Messe als Feier der Wortverkündigung und Mahlfeier gebunden.
Zu erkennen ist an seinen Ausführungen, dass der Diskussionsprozess innerhalb der evangelischen Kirchen, der zum Evange­lischen Gottesdienstbuch 1999 geführt hat, von den Erarbeitern dieser­ Evangelischen Messe wahrgenommen wurde. Gregorius kritisiert, dass es bislang weder gelungen ist, dem liturgischen Wild­wuchs Einhalt zu gebieten, noch liturgische Texte angeboten werden konnten, die als typische Ausprägungen verinnerlicht würden. Zur Kenntnis genommen wurde auch, dass heute unter pluralen Bedingungen Gottesdienst gefeiert wird, gleichwohl hält die Michaelsbruderschaft daran fest, dass die Messe allen Generationen den Zugang zur Kirche eröffnen könne. Auch integriere die Messe unterschiedliche geistliche Erfahrungswelten. Die Vielfalt soll der Einheit der Christen, auch über Konfessionsgrenzen hinweg, dienen, insofern wird die Messe als Vorwegnahme der künftigen Einheit der Christenheit begriffen.
Überraschend ist, dass dieses Messbuch nicht von der Hochform der Messe ausgehen will, sondern vom gemeindlichen Normalfall, der als Ernstfall gedeutet wird. Darum wird der Schlichtheit der Vorzug gegeben, die Texte sollen nicht zu dicht und zu komplex sein. Diese Schlichtheit soll auch verdeutlichen, dass sich der Gottesdienst nicht im Worthaften erschöpfen kann, sondern der rituelle Kontext, der Raum, die Geste, das Zeichen und insbesondere die Stille geistlichen Erfahrungen Raum geben, die ohne sie nicht möglich wären. Mutig wird festgehalten, dass Liturgie letzt­endlich nicht konfessionell konform gestaltet werden kann, da sie allen Konfessionen vorausliegt. Obwohl sie eine Tradition bis in die Urchristenheit hinein hat, will ihr die Michaelsbruderschaft nicht deswegen den Vorzug geben, sondern weil sie immer wieder seit ihrem Bestehen mit der Messfeier besondere geistliche Erfahrungen verbinden kann. Darum sollen nicht nur die »amtlichen« Vollzüge alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern es soll auch Raum für Stille sein, damit das Persönliche, das eigene Hinhören auf Gott, das Berührtwerden von ihm nicht zu kurz kommen. Gerade hier bieten Gesten, Zeichen etc. den nötigen Raum. Das hebt auch der Kurator der Michaelsbruderschaft, Landesbischof Ulrich Fischer, in seinem Geleitwort hervor, er betont das ökumenische Wollen der Bruderschaft.
Etwas irritierend ist der defensive Unterton, den ich wahrnehme. Viele Fragen auch kritischer Art an die Messe wie an den Gottesdienst überhaupt werden aufgenommen, grundsätzliche theologische Fragen werden auch angerissen, wie z. B. die Frage nach dem Verhältnis von Einsetzungsworten und der Bitte um den Heiligen Geist im Eucharistiegebet. Hier zeigen sich bleibende Verdienste der Michaelsbruderschaft um die Theologie des Eucharis­tiegebets. Aber es ist erkennbar, dass die gegenwärtige Diskussion um den Gottesdienst, die sich auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive entwickelt hat, wohl kaum zur Kenntnis genommen worden ist. Die Gebete weisen weithin eine dogmatische Sprache auf, aber unsere Lebenswelt hat in den Gebeten kaum Berücksichtigung erfahren. Kann man, darf man von Gott reden bzw. zu ihm reden, ohne vom Menschen, ohne von sich selbst zu reden? Sind beide – Gott und Mensch – im Gebet wie dann auch in der theologischen Reflexion nicht unauflösbar miteinander verknüpft?
Obwohl die Michaelsbruderschaft an der Einheit der Gemeinde und der Christenheit festhält, wo andere vom Leben im Fragment sprechen, von Pluralisierung und offener Gesellschaft, wird doch keine gottesdienstliche Theologie vorgelegt, die diese theologischen Topoi als Konzept dieses Messbuches verdeutlichen könnte. Der gute Wille mit vielen Vorsätzen für die Feier der Messe ist unverkennbar, aber er ersetzt nicht grundlegende theologische Klärung. Dieses Manko ist auch für das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999 erkannt, wird hier aber nicht treffend verändert, so dass die Gefahr besteht, dieselben Fehler zu wiederholen, die man selbst kritisiert.
Eine für eine Agende überzeugende, profunde theologische Grund­legung steht wohl noch aus, und vielleicht ist es ja erst danach möglich, in ein Gottesdienstbuch oder in ein Messbuch so einzuführen, dass die Freude an der Gottesdienstfeier darin schon aufleuchtet.