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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

567-568

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Arndt, Andreas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wissenschaft und Geselligkeit. Fried­rich Schleiermacher in Berlin 1796–1802.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2009. XIII, 145 S. m. Abb. u. 1 Tab. gr.8°. Kart. EUR 14,95. ISBN 978-3-11-020349-3.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Innerhalb der monumentalen »Kritischen Gesamtausgabe« Fried­rich Schleiermachers stellt die Edition seines Briefwechsels (KGA V) eine besonders entsagungs- und verdienstvolle, in ihrem historiographischen Erschließungspotential kaum hoch genug zu würdigende Leistung dar: In vollendeter editorischer Sorgfalt präsentiert sie mustergültig eingefasste Quellen, deren Reichtum und Fülle auch nur annähernd auszuschöpfen die Forschung auf lange Zeit hin beschäftigen wird.
Nachdem der Briefwechsel aus Schleiermachers Zeit als Prediger an der Berliner Charité (1796–1802) vollständig vorlag (KGA V/2–5), veranstaltete die an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Schleiermacherforschungsstelle im Sommer 2007 ein im vorliegenden Band dokumentiertes Symposion, das »grundlegende Aspekte des wissenschaftlichen und geselligen Lebens Schleiermachers in Berlin beleuchten und auch den Spuren nachgehen [sollte], die es in seiner weiteren Biographie hinterlassen hat« (IX). Der vorbildlich erschlossene Briefwechsel jener Jahre machte es möglich, das bisherige Bild des Charité-Predigers um wesentliche Aspekte zu vervollständigen und bisweilen auch zu korrigieren (z. B. 17, Anm. 7).
Unter dem Titel »Eine literarische Ehe. Schleiermachers Wohngemeinschaft mit Friedrich Schlegel« rekonstruiert Andreas Arndt die aus dem Briefwechsel zu erhebenden, anschaulichen Umrisse jener temporären philosophischen Symbiose, um sodann die Spuren, welche die dadurch stimulierten frühromantischen Impulse auf Schleiermachers weiterem Denkweg hinterlassen haben, an­deutend zu erkunden. Besonders instruktiv ist die von Simon Gerber vorgelegte quellengesättigte und differenzierte Darstellung des pastoralen Broterwerbs, dem Schleiermacher seinerzeit durchaus »mit Hingabe und Liebe« (40) nachging und der sich, namentlich in Predigt und Seelsorge, noch ganz »im Rahmen einer milden Aufklärungstheologie« (38) bewegte.
»Der frühe Schleiermacher und die Frauen« – zu dieser ebenso naheliegenden wie interessanten Konstellation steuert Wolfgang Virmond »einige vorläufige Beobachtungen« (43) bei. Das Epitheton, das der Verfasser seinem Sujet zugedacht hat – ein »heikle[s] Thema« sei da zu verhandeln –, trifft die Art seiner Darstellung umso mehr. Allen Ernstes werden dem Leser Einsichten zugemutet wie etwa diese: »Schleiermacher war sehr interessiert an Mädchen und Frauen ..., aber nicht immer war dieses Interesse ein erotisches oder zielte gar auf Heirat« (47); »Schleiermachers libidinöser Haushalt war ... sehr einfach« (47); »Die erotischen Beziehungen Schleiermacher [sic] in der Zeit der Charité und in Stolp sind also überraschend einfach und zugleich verhext« (52). Dergestalt dürfte der Verfasser an seiner aus merkwürdiger Apologetik geborenen These, das »heik­le Thema« sei »in den Händen der Frauen nicht besser aufgehoben als in denen der Männer« (46), am Ende doch gelinde Zweifel geschürt haben.
Ausgehend von Schleiermachers Notizen über die chemischen Vorlesungen Johann Wilhelm Klaproths (KGA I/3, 101–128), erkundet Ursula Klein den insbesondere bei Novalis und Schlegel sich manifestierenden »Chemiekult der Frühromantik«. Dass zwischen Autor und Verleger bisweilen auch eine tiefe, wissenschaftliches Interesse und menschliche Sympathie harmonisch verbindende Freundschaft erwachsen kann, zeigt Doris Reimer am Beispiel der Geschäftsbeziehung zwischen Schleiermacher und dem zu ihr gleichnamigen, für die Berliner Frühromantik entscheidend förderlichen Verleger Georg Andreas Reimer, die sich schon bald zu inniger persönlicher Verbundenheit auswuchs – »Nichts fremdes sei mehr zwischen uns« (95) – und die schließlich, als Schleiermacher 1817 in dem von Reimer erworbenen Schwerinschen Palais (Wilhelmstraße 73) Wohnung nahm, in eine 17-jährige Hausgemeinschaft mündete. Nützlich ist das von Virmond dem Band zugefügte, aus den in das Berliner Intelligenzblatt eingerückten Kirchenzetteln erhobene tabellarische Verzeichnis der von Schleier­macher während seiner Charité-Zeit versehenen Predigtdienste.
Dass ein Personenregister fehlt, mag man be­dauern. Viel günstiger wäre, sich dadurch erst recht zu einer ungeteilten Lektüre dieses insgesamt lehrreichen Büchleins anregen zu lassen.