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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

325-327

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Risch, Franz Xaver [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Pseudoklementinen IV: Die Klemens-Biographie. Epitome prior. Martyrium Clementis. Miraculum Clementis.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. CXXV, 279 S. gr.8° = Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte. Neue Folge, 16. Lw. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-020944-0.

Rezensent:

Meinolf Vielberg

Die Pseudoklementinen, die in autobiographischer Form die Erlebnisse des Klemens von Rom als Begleiter des Apostels Petrus auf dessen Missionsreisen in den Küstenstädten Syriens und Palästinas schildern, gehören zu den neutestamentlichen Apokryphen und sind in verschiedenen Versionen überliefert. Die beiden Haupttexte, die griechischen Homilien und die in der lateinischen Übersetzung Rufins erhaltenen Rekognitionen, wurden bis in das hohe Mittelalter in viele Sprachen übersetzt und in unterschiedlicher Weise bearbeitet. Eine der bedeutendsten Bearbeitungen ist eine vor dem 10. Jh. erfolgte Epitomierung der Homilien, die, in Ab­grenzung von der jüngeren Epitome des Symeon Metaphrastes (e), heute Epitome prior (E) genannt wird. – Es ist bedauerlich, dass die metaphrastische Epitome (e) nicht, wie zunächst vorgesehen, in die Edition einbezogen werden konnte; die Abweichung vom ur­sprünglichen Plan ist aber nicht den Herausgebern anzulasten, sondern beruht auf einer Entscheidung der Projektleitung.
Diese ältere Epitome ist, entgegen der modernen Bezeichnung, nicht einfach eine Verkürzung der Homilien; von der romanhaften Erzählhandlung der Homilien ausgehend war der Epitomator/Re­daktor vielmehr bestrebt, eine Biographie des Klemens von Rom zusammenzustellen (X.CXII). Zu diesem Zweck kürzte er den Lehrstoff der Homilien, rahmte die Erzählung unter Zuhilfenahme eines Schreibens des Klemens an Jakobus von Jerusalem (E Vorspann u. 159) und führte die in den Homilien unvollendete Klemenserzählung durch Finalisierung auf die Zentren Antiochia und Rom (E 141–158) zum Abschluss. An das Ende der aus Homilienstoff und Epistula Clementis bestehenden Handlung setzte er einen auktorialen Kommentar (E 160), der zu einem Martyrium Clementis (martCl) überleitet. Es handelt sich um die Übersetzung einer lateinischen Passio Clementis, die aus einer gänzlich anderen Tradition stammt und in Rom entstanden sein könnte (zu den von F. Paschke kollationierten lateinischen Handschriften der Passio vgl. XX–XXI). In vielen Handschriften folgt darauf noch das Miraculum Clementis (mirCl), ein Wunder am Grab als Beschluss der Klemens-Biographie.
Es gehört zu den besonderen Verdiensten der lange erwarteten Ausgabe von F. X. Risch, mit der die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften die Edition der Pseudoklementinen beendet, dass sie diesem biographischen Zusammenhang systematisch Rechnung trägt. Der Absicht des Epitomators/Redaktors entsprechend vereint die ›dokumentarische‹ Edition erstmals auch Texte zu einem hagiographischen Dossier, die ursprünglich nicht zu den Pseudoklementinen gehörten (CXVIII). Dieser der älteren Epitome eingeschriebene und aus ihr wiederhergestellte Komposittext ist die älteste Form der Klemens-Biographie. Innerhalb der komplexen Transformationsgeschichte der Pseudoklementinen markiert er den Punkt des Übergangs von der apologetisch-apokryphen zur hagiographischen Literatur und bildet damit die Grundlage für diverse noch unveröffentlichte Clementina.
In der Einleitung werden die Epitome prior (IX–XV), das Martyrium Clementis (XV–XXI) und das Miraculum Clementis (XXI–XXIV) in Hinsicht auf ihre Entstehung, Datierung, Bedeutung und die Geschichte ihrer Erforschung vorgestellt. Auf Grundlage der umfangreichen Vorarbeiten F. Paschkes werden die Handschriften unter besonderer Berücksichtigung ihres Titel und ihrer Datierung minutiös beschrieben (XXIV–LXXXI) und Manuskriptbeschreibungen nach den unterschiedlichen Überlieferungszusammenhängen der Teile des Komposittextes geordnet: E und martCl (XXVI–XXXV), E und martCl und mirCl (XXXV–LIX), E und martCl-mirCl (LX–LVI), marCl-mirCl (LVVI–LVIII), martCl (LXVIII–LXIX), die Sonderform marCl-mirCl (LXX–LXXII) und mirCl allein (LXXII–LXXXI). In Bezug auf das Verhältnis der Handschriften (LXXXI–CX) untereinander lässt sich prinzipiell keine Klärung herbeiführen (LXXXI). Die frühesten Handschriften sind auf das 10. Jh. zu datieren, und es gingen die Vorlagen verloren, mit deren Hilfe codices descripti identifiziert und eliminiert, Klassen von Handschriften gebildet und stemmatisch geordnet werden könnten. Daraus ergibt sich ein wichtiges Argument für eine frühe Entstehung der Klemens-Biographie (CXVII); ausführlich sind die text- und überlieferungsgeschichtlichen Argumente von F. X. Risch, der im An­schluss an F. Paschke für eine Entstehung des biographischen Dossiers im 5. Jh. plädiert (IX;), an anderer Stelle entwickelt worden (vgl. F. X. Risch, Zur Edition der Klemens-Biographie, in: F. Amsler, A. Frey et al. [Hrsg.], Nouvelles intrigues pseudo-clémentines, 2008, 119–121). Für einige Handschriftengruppen gelingt es, Verwandtschafts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisse festzustellen (LXXXII–CX), die sich auch aus dem gleichen Wortlaut der Überschriften er­schließen lassen.
Die Texte der Epitome prior (1–134), des Martyrium Clementis (135–163) und des Miraculum Clementis (165–187) sind in einer gut lesbaren griechischen Type gesetzt. Gesondert abgedruckt ist ein Textauszug aus dem Codex Parisinus Graecus 1510 (188–190), in dem der Predigt-Charakter des Miraculum zugunsten einer bloßen Erzählung für private Lektüre aufgegeben worden ist (XXIII). Der Epitome prior liegt die am Codex V orientierte Texteinteilung der Ausgabe von Dressel zugrunde (Leipzig 1859). Die Einteilung des Martyrium ist jene von Diekamp (Patres Apostolici, Bd. 2, Tübingen 1913), die des Miraculum jene von Cotelier (1672). Der kritische Apparat ist übersichtlich gestaltet und mit dem Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen leicht zu erschließen.
Über dem kritischen Apparat werden in drei Rubriken die für die Texterstellung jeweils wesentlichen Handschriften, die biblischen und sonstigen Parallelen und, nur bei der Epitome prior, die Parallelen zu den Homilien angeführt. Dabei werden nicht alle Varianten der zur Epitome (E) parallelen Passagen der Homilien vermerkt (CXI). Der Homilientext kann nämlich nur dann als Zeuge für den Text der Epitome angesehen werden, wenn ein Teil der E-Handschriften mit ihm übereinstimmt, ein anderer nicht. In diesen Fällen ist die Variante wahrscheinlich in der Überlieferung entstanden und nicht vom Epitomarius verursacht (CXV). Die Texte der Klemens-Biographie werden durch ein umfangreiches Register der Stellen (193–196), Wörter (197–275) und Namen (276–279) erschlossen.
Die Ausgabe schließt eine empfindliche Forschungslücke der frühchristlichen Apokryphen und stellt die Erforschung der Pseudoklementinen hinsichtlich der Klemens-Biographie auf eine neue Grundlage. Der Leser gewinnt ein klares Bild von der komplexen Überlieferungslage und dem Charakter des Dossiers, von dem die Entwicklung einer neuen hagiographischen Tradition ausging. F. X. Risch vollendete die Edition mit großer Umsicht und Genauigkeit. Entstanden ist ein höchst willkommenes und nützliches Arbeitsinstrument. Es wird dazu beitragen, die in den vergangenen Jahren intensivierte Erforschung der Pseudoklementinen weiter zu beflügeln.