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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

309-312

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan

Titel/Untertitel:

Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments.

Verlag:

Tübingen: Francke 2009. XIII, 281 S. 8° = Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 12. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-7720-8227-6.

Rezensent:

Manuel Vogel

Aus Kindertagen fiel dem Rezensenten eine Folge der WDR-Kinderserie Der Spatz vom Wallrafplatz ein: Jemand will den Spatz kaufen, und dieser geht auf das Angebot zunächst auch ein. Die Aufregung ist groß, denn alle mögen den Spatz, und was soll werden, wenn er nicht mehr da ist? Doch dann fängt der pfiffige Vogel an, Bedingungen zu stellen: Der Interessent müsse den Baum, auf dem er, der Spatz, wohnt, mit dazu erwerben, denn der gehört schließlich zu ihm, ebenso den Platz, denn der gehört zum Baum, und so weiter. Klar, dass der Kauf am Ende nicht zustande kommt, und alle bleiben froh vereint. Der Spatz in der Kinderserie ist die Rede von der Auferweckung Jesu im Neuen Testament, und der Autor des Buches übernimmt die Rolle, Bedingungen für ein angemessenes Verständnis von Auferweckung zu formulieren. Auch hier gilt: Der Teil ist ohne das Ganze nicht zu haben, weder exegetisch noch theologisch. Damit soll die gängige Isolierung des Themas als eines anstößigen Rests christlicher Sinnbildung, der notwendig in voraufgeklärte oder szientistische Aporien führt, vermieden werden. Spürbar wird diese Isolierung zumal in der verbreiteten Reduktion auf die Fragen, ob das Grab leer oder voll war, und ob hinter 1Kor 15,5–8 objektive oder bloß subjektive Visionen stehen (3). Mit dieser Engführung wird »verdeckt, wonach die vorliegende Untersuchung vornehmlich fragt: die Realitätsannahmen und Plausibilisierungsstrategien der neutestamentlichen Texte, auf deren Basis die Rede von der Auferweckung, vom leeren Grab, von den Erscheinungen des Auferstandenen erst Sinn entfalten können« (4). Weder an der Stelle der Überlieferungen vom leeren Grab noch anderswo kann hinter den Text zurück gefragt werden, bevor nicht der Text selbst in seiner Ganzheit zu seinem Recht gekommen ist.
Diesem Programm ist der erste Teil der Studie (7–197) gewidmet, der einen nach Schriftengruppen geordneten exegetischen Durchgang durch das gesamte Neue Testament unternimmt. Es wird deutlich, dass »[d]er neutestamentliche Auferweckungsdiskurs« in ein »Netz aus Schöpfungstheologie, Sündenreflexion, Theo­dizeefrage und apokalyptischer Eschatologie einen neuen Faden ein­[webt], der das Gewebe von Grund auf verändert« (202). Umgekehrt gilt: »Ohne Schöpfungstheologie, ohne Sündenverständnis, ohne Sündenreflexion, ohne Theodizeefrage und ohne apokalyptische Eschatologie bricht der Plausibilisierungszusammenhang der neutestamentlichen Rede von der Auferweckung der Toten zusammen« (204). Will man diese Geschichte hören, muss man sie als Teil einer viel größeren Geschichte hören, oder man wird sie verfehlen. Damit ist nun freilich erst das antike »Diskursuniversum« des Neuen Testaments thematisiert. Der Frage, wie »sich im Denken unserer Zeit plausibel von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten« reden lässt (205), geht der zweite Teil der Studie nach (199–240). Hier greift nun A.s semiotischer Ansatz, der das methodisch-theoretische Rüstzeug liefert. Zunächst wird »[d]as Realitätskonzept kategorialer Semiotik« (206–212) vorgestellt. Grund­legend sind die von Peirce erarbeiteten Kategorien der »Erstheit«, der »Zweitheit« und der »Drittheit«, die, weil nicht reduzierbar und vollständig, in der Lage sein sollen, jedwede Wirklichkeit darzustellen. »Erstheit ist das, so wie es ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist«, etwa ein geträumter Traum als solcher, an den der Träumende sich nicht erinnert und den er keiner Deutung unterzieht. »Er ist, was er ist, vorkritisch, unzensiert, unanalysiert«. Auf der Ebene der Zweitheit tritt der Aspekt der Wirkung von etwas auf etwas anderes bzw. die Relation zwischen zwei Entitäten hinzu: »Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität ist, wie sie ist ... Etwas reagiert auf etwas. Phänomene der Zweitheit existieren. Sie treten aus sich heraus und können daher auf einander reagieren.« (207) Drittheit ist »Vermittlung«, dergestalt, dass sie »die Beziehung aufeinander reagierender Phänomene [erschließt] und sie zur Darstellung [bringt]. Drittheit verknüpft und erschließt Zusammenhänge, Regeln und Gesetzmäßigkeiten.« (208) Diese drei Kategorien, denen die Relata »Objekt«, »Zeichen« und »Interpretant« entsprechen, bilden im Rah­men von Zeichenprozessen einen unauflöslichen Verweiszusammenhang, so dass von einem »Zeichen« (etwa: dem leeren Grab, s. u.) nicht ohne »Objekt« und »Interpretant« die Rede sein kann (208).
Das folgende Kapitel führt eine »[s]emiotische Interpretation des Auferweckungsdiskurses in den Schriften des Neuen Testaments« (213–229) durch. Unter Rückgriff auf Ergebnisse des ersten Teils bestimmt A. Elemente der neutestamentlichen Auferwe­ckungsaussagen als Phänomene der Erstheit, der Zweitheit und der Drittheit. Unter die erste Kategorie fallen Aussagen aus Gal 1, Apg 9.22.26 und den Ostertexten der Evangelien, die auf der Ebene der Emotion und des spontanen Erlebens angesiedelt sind (213–218). So treffen etwa Paulus die Christuserscheinungen völlig unvorbereitet. Paulus »prüft weder in der Darstellung der Apostelgeschichte noch in seiner autobiographischen Erzählung in Gal 1 empirisch, ob das Grab Jesu in Jerusalem leer ist. Er bemüht auch keine schriftgelehrte Argumentation, die ihm die Wahrnehmung zu bewerten hilft. Vielmehr fallen Wahrnehmung der Erscheinung und die Reaktion darauf als Wahrnehmung seiner Beauftragung gleichursprünglich und vorkritisch ineinander ... [D]ie kontingente Evidenz eigenen Erlebens bildet die emotionale Grundlage paulinischer Theologie« (214). Aber auch in den Evangelien funktionieren Aussagen über das leere Grab nicht als selbständiger Tatsachenbeweis. Auch hier gibt es Phänomene der Erstheit, ohne die die Narrationen der Evangelien nicht auskommen: spontane Furcht, Freude, oder die »brennenden Herzen« (Lk 24,32). Das leere Grab hat, sei es als historisches Faktum, sei es als narrative Fiktion (220), Zeichenfunktion, gehört mithin (innerhalb der Trias »Objekt – Zeichen – Interpretant«) zu den »Phänomenen der Zweitheit« (218–222). Auf der Ebene der Drittheit stoßen wir auf »[d]ie große Erzählung der Schrift(en) als epistemologische[n] Rahmen der Rede von der Auferweckung« (223–228). Die biblisch-theologischen Bezüge des Auferweckungsdiskurses werden hier skizzenartig zusammengefasst, denn »[d]ie Plausibilität der Rede von der Auferweckung wird durch den narrativen Rahmen von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung erzeugt, den die Bibel als Ganze setzt« (223). Im letzten Kapitel des zweiten Teils unternimmt A. den Brückenschlag zu einer semiotischen Interpretation »evangelischer Rede von der Auferweckung heute« (229–240). Auch hier ist im Sinne der Peirceschen Kategorien zu unterscheiden, auch hier gilt, dass von Auferwe­ckung sinnvoll nur im Zusammenspiel von Phänomenen der Erstheit, der Zweitheit und der Drittheit geredet werden kann, und auch hier »kommt der Kategorie der Erstheit fundierende Kraft zu«. Glaube lebt auch und zuerst »als vorkritische Empfindung«, die das eigene Fühlen »keiner kritischen Untersuchung nach seiner Denkbarkeit und Kohärenz mit anderen Erfahrungen und Einsichten unterzieht«, und dies nicht als Besonderheit religiöser Erfahrung, denn jenes »spontane, vorkritische Gefühl ... ist die Basis jeglichen Realitätsempfindens« (230). Im Diskurs der Gegenwart stehen an der Stelle der Zweitheit zumal »die biblischen Schriften in ihrer widerständigen materiellen Beschaffenheit vor jeder Interpretation« (234). Auf der Ebene der Drittheit (236–240) misst A. dem Schöpfungsgedanken besondere Bedeutung zu, von dem aus Auferweckung als Neuschöpfung zu interpretieren ist.
Der dritte Hauptteil (241–265) formuliert anhand der Praxisfelder Trauergottesdienst (243–249), Religionsunterricht (249–253) und Abendmahl (253–263) »Impulse für die schulische und kirchliche Praxis« (241). Theologisch markant ist die strikte Ablehnung jedweder »Anthropologie der Auferstehung«, einschließlich der »Vorstellung einer Seele, die weiterlebt« (244). Religionspädagogisch regt A. an, den evangelischen Glauben heute lebender Menschen – »gegenwärtige Ostererfahrungen gerade in ihrer Fragmentarität, Emotionalität und vorkritischen existentiellen Relevanz« (251) – als empirisch beschreibbares Phänomen zum Gegenstand des Unterrichts zu machen, semiotisch gesprochen: Phänomene der Erstheit auf der Ebene der Zweitheit zu thematisieren. Hier deutet sich an, wie szientistischer oder vormoderner Verengung christlicher Rede von Auferweckung beizukommen ist. Kategoriale Semiotik scheint geeignet, die exegetische Bedingung für den »Erwerb« des Phänomens Auferweckung (Integration in das biblische Diskursuniversum) um eine anschlussfähige zweite zu ergänzen (Integration in einen dreistelligen Zeichenprozess). Freilich: Wie steht es mit dem Realitäts- und Wahrheitsbegriff, wenn das »dynamische Objekt« (dasjenige Objekt, von dem das durch das Zeichen bestimmte »unmittelbare Objekt« nur eine Hinsicht darstellt) auch fiktional sein kann (210)? Aber kategoriale Semiotik fragt durchaus nach Wahrheit, nur steht diese als »finaler Interpretant« erst am Ende aller Zeichenprozesse. Und: Wird das Denken durch Phänomene der Erstheit nicht verwässert? Nein, denn zur Klarheit der Begriffe dringen wir nach Peirce dann und nur dann vor, wenn wir sie in ihrem »natürlichen und sozialen Eingebettetsein« (H. Deuser) wahrnehmen. So formuliert das Buch implizit noch eine dritte Bedingung, anders als seinerzeit am Wallrafplatz ein wünschenswerter »Zuerwerb«: Wer A. wirklich verstehen will, muss Peirce lesen.