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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

288-291

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Bickerman, Elias J.

Titel/Untertitel:

Studies in Jewish and Christian History. A New Edition in English including The God of the Maccabees. Introduced by M. Hengel. Ed. by A. Tropper. Vol. 1.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. LX, 584 S. m. 1 Porträt. gr.8° = Ancient Judaism and Early Christianity, 68/1. Geb. EUR 359,00. ISBN 978-90-04-16144-3.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Die Aufsätze Elias Bickermans (1897–1981) bedürfen keiner Empfehlung. B. gehört zu den herausragenden Althistorikern des vergangenen Jh.s. Er wurde 1897 in Kischinev, der heutigen Hauptstadt Moldawiens, geboren, wuchs im liberal-jüdischen Elternhaus auf und lebte ab 1905 in St. Petersburg, flüchtete mit seinen Eltern 1922 nach Berlin und begann dort eine akademische Karriere bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. 1933 fand er Anstellung in Paris und dann in den USA (1942–1981). Je nach Sprachkontext der Stationen veränderte B. die Schreibung seines Namens. Er schrieb sich in Deutschland Bickermann, in Frankreich (wie auch in Russland) Bikerman und schließlich in der Neuen Welt Bickerman. Vielleicht kann man sich in den Bibliographien auf die letzte und am längsten gültige Schreibweise einigen. B.s Muttersprache war Russisch, aber er war als Weltbürger polyglott und veröffentlichte in sechs Sprachen. Seine deutschen Veröffentlichungen gefallen durch ihren prägnanten Stil. So überzeugt das noch 1937 in Deutschland veröffentlichte Buch »Der Gott der Makkabäer« auch in seiner sprachlichen Form.
Viele seiner Arbeiten aus dem engeren Bereich des hellenistischen Judentums und der Geschichte des frühen Christentums sind Klassiker geworden. Werke also, die selbst bedeutsam bleiben, wenn Einzelheiten heute anders gesehen werden. B. überblickt nicht nur die Literatur der klassischen Antike, epigraphische und papyrologische Zeugnisse, seine Verweise auf die Auslegungsgeschichte sammeln Ergebnisse des rabbinischen Judentums, des gelehrten Abendlandes von den Kirchenvätern bis zu den aktuellen Forschungen aus B.s Zeit und stellen sie unprätentiös und sachlich gegliedert vor. Wortstudien oder Sacherläuterungen innerhalb seiner Auslegungen sammeln auf knappen Raum in großer Präzision einschlägige Hinweise, sei es zur Tempelsteuer (346–349.369–371) oder zum Erbrecht für Frauen im Judentum (442 f.), und beleuchten besonders die hellenistisch-frühjüdische Zeit.
B.s Studien liegen nun zum zweiten Mal gesammelt vor. Für die erste Sammelausgabe sah B. selbst noch seine Arbeiten durch. Drei Bände vereinten 44 einschlägige jüdisch-biblische Studien. Der erste Band erschien 1976, der zweite 1980 (Rezensionen von Gerhard Delling: ThLZ 103 [1978], 261 f.; ThLZ 107 [1982], 426 f.), der dritte erschien 1986 postum (Kurzanzeige von Traugott Holtz: ThLZ 114 [1989], 283). Diese mittlerweile vergriffenen Bände erzielen im antiquarischen Handel hohe Preise. An diese Preise knüpft die nun vorzustellende Neuausgabe in zwei Bänden an. Sie bietet neben allen Studien der drei Bände noch die genannte Studie »Der Gott der Makkabäer« (1025–1149), mehrere Vorworte, u. a. von Martin Hengel zum Leben B.s (XXVII–LV), hilfreiche Register (1151–1242), und dies nun alles durchgängig in englischer Sprache. Die Neuausgabe druckt also 20 französisch und fünf deutsch veröffentlichte Studien wie auch die Makkabäer-Monographie in englischer Übersetzung ab. Seitenangaben zu den ursprünglichen Veröffentlichungen wie auch zur dreibändigen Ausgabe fehlen. Das bereitet manchmal etwas Verwirrung, weil die internen Verweise der dreibändigen Ausgabe nicht an die zweibändige Neuausgabe angeglichen wurden (z. B. 109, Anm. 5; 233, Anm. 86). Da aber die Reihenfolge der Aufsätze identisch ist, lässt sich mit wenig Spürsinn die Verweisstelle auch in der zweibändigen Ausgabe finden. Ich stelle den ersten Teilband vor, der 23 Aufsätze enthält.
Im Aufsatz »Cutting a Convenant« (1–31) geht B. der biblischen Ausdrucksweise »ein Bündnis schneiden« nach. Durch Vergleiche mit Pakten anderer Völker profiliert B. die besondere Rolle der berit (»Bund«, »Verpflichtung«) Israels. Groß und umfassend stellt B. die theologischen Linien des Jonabüchleins dar: »The Two Mistakes of the Prophet Jonah« (32–70). Philologische Details und theologische Grundprobleme beleuchtet B. zu diesem Büchlein, das er in persische Zeit, also etwa ins ausgehende 5. Jh. v. Chr. datiert (53 f.).
B. ist ein Meister in der Beurteilung von Quellenschriften innerhalb der Septuaginta oder bei Josephus. Seine Studien erweisen die Echtheit des Kyrusediktes (71–107) und zahlreicher anderer Texte, die vor allem Josephus in seine »Jüdischen Altertümer« aufnahm.
Es folgen Aufsätze zum Judentum in hellenistischer Zeit, vor allem zur Septuaginta. So bietet er scharfsinnige Hinweise, den Aristeasbrief zu datieren: »The Dating of Pseudo-Aristeas« (108–133). Vor allem Hinweise aus fingierten Briefen innerhalb des Traktats erlauben B., den tatsächlichen Verfasser in der Zeit zwischen 145–125 v. Chr. anzunehmen. Die Versangaben zu allen vier zitierten Stellen aus 1Makk 10 f. auf S. 128 lassen sich mit den Angaben bei Rahlfs nicht in Einklang bringen, auch die Akzente der eingestreuten griechischen Zitate sind in diesem Aufsatz häufiger fehlerhaft. Methodisch ähnliche Datierungen, freilich jeweils mit einschlägigen Vergleichstexten belegt, bietet B. auch zu 4Makk (266–271) und den Testamenten der XII Patriarchen (272–294). 4Makk sei etwa zeitgleich mit Paulus und Philon in die Jahre 20–38 n. Chr. zu datieren, die Testamente der Patriarchen seien durch Christen erweiterte jüdische Schriften aus der Zeit zwischen 200 und 175 v. Chr. B.s Datierung des 4Makk schenkt etwa H.-J. Klauck, JSHRZ III/668 f., zwar Beachtung, aber er favorisiert dann doch das späte 1. Jh.
Zur Septuaginta (LXX) folgen mehrere Aufsätze: In »Some Notes on the Transmission of the Septuagint« (134–162) und »The Septuagint as a Translation« (163–194) zeigt B. an mehreren Beispielen, dass vermeintliche Hebraismen der LXX eher als zeitgenössische Um­gangssprache beurteilt werden sollten. Bei Rechtsvorschriften und bei poetischen Stücken waren ungriechische Formulierungen in Übersetzungstexten üblich∞ entsprechend verfährt dann auch die LXX. Gleichsam zwei Beispiele liefert B. nach: »Two Legal Interpretations of the Septuagint« (195–217). Ausgehend von Gen 34,12 und Ex 22,16 bespricht B. die Regelungen zum Besitzstand und Brautpreis jüdischer Ehen in hellenistischer und frührömischer Zeit. Detaillierte Auslegungen bietet B. zur Schlussnotiz der Septuagintaversion des Estherbuches »The Colophon of the Greek Book of Esther« (218–237). Dieses Kolophon – Zählung bei Rahlfs: Est 10,3 l, bei Luther: St zu Est 7,8, bei der Septuaginta Deutsch: F 11 – wurde, wie B. reich begründet darstellt, um 80 v. Chr. angefügt, um eine griechische Übersetzung durch Verweis auf ein vorliegendes hebräisches Original zu stützen. Dass der Esther-Stoff mehrfach übersetzt und dabei auch bearbeitet wurde, weil er zunächst in der Diaspora nicht im liturgischen Gebrauch gesichert war, thematisiert der folgende Aufsatz »Notes on the Greek Book of Esther« (238–265).
Die Aufsätze auf den Seiten 295–496 ergänzen die im zweiten Band abgedruckte Monographie »Der Gott der Makkabäer«. Seine Methode der Quellenbeurteilung stellt er in dem Aufsatz »A Ques­tion of Authenticity: The Jewish Privileges« vor (295–314). Die in den höfischen Kanzleien üblichen Anredeformeln erlauben, echte Quellen und Fälscher zu unterscheiden, denn der Fälscher interessiert sich in diesem Formelgut kaum für den Stil der Quellenzeit; ähnlich wichtige Indizien sind chronologische Fehler und falsche Zuordnungen. Mit diesem Instrumentarium erweist B. in »A Seleucid Charter for Jerusalem« (315–356), dass Josephus, ant 12,140–144 ein echtes Dokument von Antiochus III. aus den Jahren 200–197 v. Chr. zitiert, durch das der seleukidische Herrscher die Tempelorganisation regelte. Das bei Josephus unmittelbar folgende Stück (ant 12,145 f.) ist nach B. ebenso authentisch: »A Seleucid Proclamation concerning the Temple in Jerusalem« (357–375). Antiochus III. sichert den Priestern die Heiligkeit Jerusalems ab. Der Aufsatz enthält einen Exkurs über die unterschiedliche Einbeziehung der Heiden in die Reinheitsgebote. Zu dieser Thematik gehört der Aufsatz »The Warning Inscriptions of Herod’s Temple« (483–496) zum Text der Tempelwarnschilder, die jeden Nichtjuden mit dem Tod bedrohen, der über den Vorhof der Heiden hinaus ins Innere des Jerusalemer Heiligtum vordringt. In »A Document Concerning the Persecution by Antiochus IV« (376–407) belegt B., dass Josephus, ant 12,257 aus einer echten Eingabe der Samaritaner an Antiochus IV. zitiert, und folgert daraus, dass die Makkabäeraufstände einen auf Jerusalem und Umgebung begrenzten Ausgangsgrund gehabt haben müssen, der nicht im üblen Charakter des seleukidischen Herrschers zu suchen ist, wie die spätere legendarische Darstellung behauptet. In »A Jewish Festal Letter of 124 B.C.E.« (408–431) zeigt B., dass 2Makk 1,1–9 zwei ineinander verwobene Briefe enthält, deren Verknüpfung und historischen Sinn er erklärt. Diese durch B. 1933 veröffentlichte These wurde seither weitgehend übernommen, vgl. Habicht, JSHRZ 1/3, 198 f. »Heliodor in the Temple in Jerusalem« (432–464) zeigt, wie 2Makk 3 zwei legendarische Erzählungen nach griechischem Muster verbindet. Beide Erzählungen sind nach dem historischen Besuch Heliodors in Jerusalem um 180 v. Chr. und noch vor den Makkabäeraufständen entstanden. »The Maccabees of Malalas« (465–482) bespricht ein Zeugnis des Kirchenvaters Johannes Malalas (5.–6. Jh.) über die Makkabäeraufstände aus dessen Weltchronik. Der Kirchenvater weicht darin auffällig von der Darstellung der Makkabäerbücher ab. B. vermutet eine sonst unbekannte seleukidische Quelle, auf die Johannes zurück­greifen konnte. Ebendiese Quelle würde die Thesen B.s über einen jüdischen Auftakt der Aufstände unterstützen. Die vielen Jahrhunderte zwischen Herkunft (2. Jh. v. Chr.) und Überlieferung (6. Jh. n. Chr.) der vermuteten Quelle raten dazu, ihr nicht zu viel Thesen aufzubürden, wie B. abschließend eingesteht.
In »Ritual Murder and the Worship of an Ass« (497–527) sammelt B. Belege aus der Antike, die den Gegnern Kannibalismus vorwerfen. Dieser Vorwurf, wie auch das folgende Propagandamotiv, das den Juden Eselsverehrung vorwirft, verfolgt B. zurück bis zu den Medienleuten am Hofe der Seleukiden. Die schockierende Ge­schichte von der Frau, die bei der Belagerung Jerusalems ihr eigenes Kind verzehrt haben soll (Josephus, bell 6,201–213), berücksichtigt B. nicht, wohl weil hier kein Ritualmord vorliegt.
Juden wie Griechen pflegen ihre Traditionen durch genaue Angaben der Überlieferungsketten zu belegen. »The Chain of the Pharisaic Tradition« (528–542) nennt und bespricht einschlägige Stellen. Der Aufsatz »The Maxim of Antigonus of Socho« (543–562) legt eine Sentenz aus Pirqe Avot 1,3 aus, die dort dem sonst unbekannten Antigonos zugeschrieben wird. Hier erfährt man durch B. viel über die Versorgungsverhältnisse von Sklaven. Der abschließende Aufsatz »The Civic Prayer for Jerusalem« (563–584) untersucht die Traditionsgeschichte(n) des »Achtzehn-Bitten-Gebets«. Den Grundstock des Gebets bildeten nach B. Bitten, die für die Stadt Jerusalem in persischer, vielleicht auch erst in hellenistischer Zeit formuliert wurden.
Alle Aufsätze sind Tiefbohrungen, die in einschlägigen Studien und Handbüchern verhandelt werden. Wer auf einen Aufsatz gestoßen ist, wird im Sammelband zum Weiterlesen verführt. Schließlich ließt man Spezialstudien, nicht weil man zum Thema einen Beitrag konsultieren wollte, sondern weil einen B.s Zugriff daran interessiert. Wer statt in die Tiefe bei einem Einzelthema die Geschichte des Judentums vom 3. bis zum 1. Jh. v. Chr. in ausgewogener Breite dargestellt lesen will, findet in B.s »The Jews in the Greek Age«, Harvard University Press 1988, gleichsam die zusam­menhängende Darstellung des Zeitraums jüdischer Geschichte, der in unseren einschlägigen Lehrbüchern immer noch stiefmütterlich behandelt wird. Die Aufsatzbände bieten in vielen Fällen die in der zusammenhängenden, postum herausgegebenen Darstellung leider fehlenden Belege aus Primär- und Sekundärliteratur. Die Werke B.s werden auch in Jahrzehnten noch wichtig bleiben.