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Ausgabe:

Februar/2010

Spalte:

226-228

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zager, Werner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ich und Du – Mensch und Gott. Im Gespräch mit Martin Buber. M. Beiträgen v. D. Krochmalnik, W. E. Müller, A. Rössler, L. Stiehm, H.-J. Werner u. W. Zager.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagshaus 2006. VIII, 192 S. 8°. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-7975-0139-4.

Rezensent:

Martin Leiner

Der Band veröffentlicht die Beiträge einer gemeinsamen Tagung der Martin-Buber-Gesellschaft und des Bundes für Freies Christentum in Worms im September 2005. Andreas Rössler interpretiert im ersten Beitrag Martin Bubers zweites philosophisches Hauptwerk »Gottesfinsternis« (deutsche Erstauflage 1953). Er macht deutlich, dass Gottesfinsternis eine von der Sonnenfinsternis kommende Metapher ist, die darauf verweist, dass sich in der europäischen Neuzeit und ihrer Philosophie zwischen Gott und Mensch etwas gestellt hat. Dieses »Etwas« ist nach Buber die Übermacht der Ich-Es-Relation. Sie lässt Gott irreal erscheinen, was aber nichts daran hindert, dass Gott am Menschen festhält. Wie das Bild der Sonnenfinsternis nahelegt, geht Buber davon aus, dass diese Gottesfinsternis, deren Entstehen er in Interpretationen neuzeitlicher Philosophen beschreibt, ein vorübergehendes Ereignis ist.
Der jüdische Religionspädagoge Daniel Krochmalnik geht im zweiten Beitrag von Bubers Rede von Jesus als seinem großen Bruder aus. Er beschreibt diese Metapher als durch und durch orthodox, wobei ein dreifaches Verständnis unterschieden werden muss. In älterer Zeit verstanden jüdische wie christliche Polemik gegeneinander die Rede vom älteren Bruder als Anspielung auf Esau. Die bei Juden und bei Christen anzutreffenden parallelen Topoi exemplifiziert Krochmalnik an der Identifikation des anderen mit dem unreinen Tier Schwein. Solche gleichlautenden Vorwürfe deutet er als »Spiegelstadium« (Lacan) der jüdisch-christlichen Beziehungen. Unter dem Titel Apologetik bezieht Krochmalnik sich auf das Religionsgespräch zwischen dem Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber im Stuttgarter Lehrhaus am 14.1.1933. Besonders hervorzuheben sind Aussagen Bubers, der fordert, dass beide Seiten nicht den anderen in einem vermeintlichen (?) Irrtum ertragen (Toleranz), sondern, dass sie die grundlegende Verschiedenheit des anderen anerkennen wie gleichzeitig sein Realverhältnis zur Wahrheit. Krochmalnik nennt diese Ebene Apologetik. So wie Brüder gleichabkünftig von den Eltern sind, sind Judentum und Christentum gleichabkünftig von der Wahrheit. Auf der dritten Stufe, die Krochmalnik Dialogik nennt, kommt es zu einer Orientierung an Umkehr und an der Tat, die die erstarrten Formen und Formeln der jeweils eigenen Religion wieder lebendig werden lässt und transformiert. Erst hier verändert die Begegnung mit der anderen Religion die eigene. Die Brüder lernen vonein­ander. Der Aufsatz kommt in diesem Zusammenhang zu einem ungewöhnlichen, aber treffenden Urteil: »Die von Buber ge­wünschte Religiosität war nicht liberal, sondern radikal und total, und er fand sie nicht etwa in den properen deutschjüdischen ›Tempeln‹ in Wien und Berlin, sondern eher in den rückständigsten chassidischen ›Höfen‹ von Sadagora und Czortkow. Obwohl er selbst nicht observant war, predigte er aber keineswegs eine antinomistische, antiritualistische Abrogation des Zeremonialgesetzes, sondern seine Revitalisierung« (45 f.).
Als Neutestamentler stellt Werner Zager Bubers Argumentation in seiner Schrift »Zwei Glaubensweisen« (1950) kritisch dar. Emuna und Pistis bezeichnet er als »Idealtypen« (51), ein Ausdruck, dem später Lothar Stiehm in seinem Beitrag widersprechen wird. Vom exegetischen Befund aus beurteilt Zager die Schrift teilweise kritisch, vor allem, was den Sprachgebrauch der Synoptiker angeht; der Verbindung des urchristlichen Glaubens mit der Auferstehung stimmt er hingegen zu. Der Aufsatz endet mit einigen Thesen zur liberalen Christologie und ihren Konsequenzen zum Verhältnis zwischen Juden und Christen.
Hans-Joachim Werner, Philosoph an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, versucht, Bubers ethisches Denken systematisch im Ausgang von seinen Schriften zum dialogischen Prinzip zu erfassen. Werner zeigt in aufschlussreicher Weise die Nähe Bubers zu Philosophen wie Kant und Scheler auf. Auch Buber geht nämlich von unveränderlichen, absoluten ethischen Geboten aus, die bei aller Kritik von Prinzipien und Werten dennoch inhaltlich genauso wie Zentralwerte und Prinzipien bestimmt werden, nämlich als Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Diese absoluten Gebote gilt es, auf die Situationen zu beziehen. Dabei ist sorgfältige Wahrnehmung der Situation gefordert. Außerdem entsteht notwendigerweise Schuld, weil das Gebot nicht vollständig verwirklicht werden kann. Es kommt deshalb darauf an, so wenig Unrecht wie möglich zu tun. Bubers Ethik ist eine Ethik des Kompromisses. Werner gelingt mit diesen Ausführungen zu zeigen, dass Buber nicht als radikaler Situationsethiker oder kompromissfeindlicher vormoderner Religionstheoretiker verstanden werden kann. Er zeigt ebenfalls, welche hermeneutische Bedeutung für Buber das Verstehen des anderen (»Umfassung«) und die Goldene Regel haben.
Einen Überblick über Bubers pädagogisches Denken von 1919 bis zu seiner Tätigkeit in Israel gibt Lothar Stiehm, der Vorsitzende der Martin-Buber-Gesellschaft, in einem Beitrag, der als einziger nicht ursprünglich auf die Wormser Tagung zurückgeht. Stiehm zeigt auf, dass Bubers erzieherischer Impuls auf das Individuelle des Gegenübers ging. Buber sah deshalb den sokratischen Dialog kritisch. Die Fragen des Erziehers sollen echte Fragen sein, durch die er etwas wirklich Neues, und sei es nur eine kleine individuelle Nuance, in der der Schüler etwas anders sieht als andere, erfahren will. Der Lehrer muss stets immer auch als Lernender gedacht werden. Gegenwärtigkeit und die Bereitschaft, sich zu geben (»Du sollst dich nicht vorenthalten«), sind entscheidend.
In seinem zweiten Beitrag behandelt Lothar Stiehm das Verhältnis von Martin Buber und Albert Schweitzer. Schweitzer ist drei Jahre vor Buber geboren worden, beide starben im selben Jahr 1965. Stiehm zeigt in einer sehr interessanten Weise auf, dass Bubers ex­egetisches Verständnis des Neuen Testaments sich in Zustimmung und Abgrenzung zu Schweitzer entwickelte. Bereits 1901/2 las Buber Schweitzers Dissertations- und Habilitationsschrift. Beide tauschten, nachdem 1928 ein – insgesamt gut 30 Briefe umfassender – Briefkontakt zustande gekommen war, ihre Bücher aus, wobei aufgrund intensiver Anstreichungen in den Originalen insbesondere die Buberlektüre Schweitzers gut nachvollziehbar ist. Ein persönliches Treffen fand am 19.2.1933 in Königsfeld im Schwarzwald statt. Bei diesem Treffen sprachen sie über die jüdischen Wurzeln des Apostels Paulus, die Schweitzer betonte und Buber als eher gering ansah.
Eine längere Erwähnung findet Schweitzer in Bubers Schrift »Zwei Glaubensweisen«. In dieser Schrift arbeitet Buber den Gegensatz heraus zwischen dem jüdischen Du-Glauben und dem christlichen, seit Paulus entwickelten Glauben an Tatsachen, Bekenntnisse und Dogmatik. Stiehm stellt fest, dass die beiden Glaubensweisen, Pistis und Emuna, keine nicht in der Realität vorkommende Idealtypen sind, sondern real existierende Grundformen des Glaubens, die sich zwar oftmals vermischen und beide sowohl bei Juden wie auch bei Christen vorkommen. Bubers Glaube kann von hier aus als auf Gott gerichteter Du-Glaube verstanden werden, während Schweitzer in deutlichem Kontrast dazu ganz die ethische Beziehung zu Jesus von Nazareth in den Mittelpunkt seiner Religion stellt. Stiehm belegt durch Zitate aus dem Briefwechsel Schweitzers mit seiner Verlobten Helene Bressau aus den Jahren 1903/4, dass für Schweitzer die von Jesus verkündigte ethische Pflicht auch dann noch bestünde, wenn es Gott nicht gäbe. Gott Vater und eine mögliche dialogische Beziehung zu ihm treten dabei zurück.
Im letzten Text zeichnet Wolfgang Erich Müller die Religionsphilosophie von Hans Jonas nach. Zwischen Buber und Jonas gab es mehrere Kontakte und einen philosophisch interessanten Briefwechsel über Kants Kategorien und die Ich-Du-Philosophie. Jonas sagte, Buber habe ihn zum Zionismus geführt. Das Zentrum des Aufsatzes ist aber nicht die Beziehung zwischen Jonas und Buber, sondern eine zusammenfassende kritische Rekonstruktion der Re­ligionsphilosophie von Jonas. Die Schrift »Der Gottesbegriff nach Auschwitz« erscheint dabei im Kontext der Arbeiten von Jonas über Materie, Geist und Schöpfung, über die Unsterblichkeit der Seele und über die mögliche Erneuerung von »Gottesbeweisen« (Gott als Garant der Wahrheit vergangener Sachverhalte, Gott als Bedingung der Möglichkeit des Erscheinens von Geist in der Welt). Gleichzeitig werden Passagen aus Jonas’ Erinnerungen an Bultmann und einzelne Abschnitte aus anderen Büchern des Philosophen herangezogen. In einem Vergleich mit Isaak Luria zeigt Müller, dass Jonas Gericht und Strenge im Selbstbeschränkungsprozess Gottes nicht von Luria aufgenommen hat. Kritisch merkt er an, dass das Verhältnis zwischen Teleologie und Erscheinen des Geistes nicht widerspruchsfrei geklärt sei und dass insgesamt Jonas’ Metaphysik Voraussetzungen mache, die heute nur zum Teil Aufnahme finden können.