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Ausgabe:

Januar/2010

Spalte:

105-107

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Ohly, Christoph

Titel/Untertitel:

Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht.

Verlag:

St. Ottilien: EOS 2008. XCVIII, 794 S. gr.8° = Münchener Theologische Studien. III. Kanonistische Abteilung, 63. Geb. EUR 74,00. ISBN 978-3-8306-7297-5.

Rezensent:

Christian Polke

Kanonistik ist für viele evangelische Theologen weithin ein Fremdwort. Dass zum ökumenischen Dialog zentral das Gespräch zwischen katholischen Kirchenrechtlern und ihren – viel zu wenigen – Kollegen auf evangelischer Seite gehören würde, wäre mir neu. Dabei zeigt sich vielleicht nirgendwo besser die Bedeutung konfessioneller Differenzen, die zugleich historische wie gegenwärtige sind. Lebensweltlich betrachtet stellt entgegen gängiger Klischees das Kirchenrecht keineswegs ein bloßes Adiaphoron dar. Anderslautende Bekundungen auf protestantischer Seite kranken immer noch an der Sohmschen Allergie gegenüber allzu Rechtlichem auf dem Terrain des mysterium divinitatis.
Zur Erneuerung der katholischen Kirche durch und nach dem II. Vatikanum gehört die Novellierung des Kirchenrechts und seines zentralen Dokuments, des Codex Iuris Canonici. Dabei verschränkt sich theologische Neujustierung mit kanonistischen Re­formbemühungen. Eines der bedeutendsten Konzilsdokumente stellt die Dogmatische Konstitution Dei Verbum dar, welche die Gründung der Kirche auf das Wort Gottes und die offenbarungstheologische Entfaltung in der Trias Schrift – Überlieferung – Lehramt darlegt. Der theologischen Fundierung entspricht in der kirchlichen Praxis die Zentrierung auf Predigt und Katechese. Neben dem Heiligungsdienst der Kirche – dem Wirken durch Sakramentsspendung – bildet somit deren Verkündigungsdienst den wichtigsten Teil der Aufgaben kirchlicher Amtsträger, ob geweiht oder im Laienstand. Daher ist es von Interesse, die Genese und die Systematik der diesbezüglichen kanonischen Bestimmungen zum »Dienst am Wort Gottes« (cc. 756–772 CIC) genauer zu untersuchen. Im Mittelpunkt stehen die Ausführungen im Buch III des CIC von 1983, genauer gesagt: deren beiden ersten Teile. Mit seiner in München eingereichten Habilitationsschrift unter dem Titel Der Dienst am Wort Gottes hat Christoph Ohly nun eine um­fassende Untersuchung dazu vorgelegt.
In juristischer Gelehrsamkeit gliedert O. seine Schrift nach ausführlichen Prolegomena zur Rechtstheologie (1–147) in zwei große Teile: Der erste beschreibt die Genese der Normbestimmungen für die einzelnen Kanones seit dem Vatikanum II (149–380), der andere widmet sich der inneren Systematik der betreffenden Passagen aus dem CIC, inklusive der teilkirchlichen Einzelbestimmungen, wesentlich im deutschsprachigen Raum (381–771). Im Detail zu O.s Ausführungen Stellung nehmen zu wollen, würde den Rahmen einer anzeigenden Rezension sprengen und käme wohl auf nicht viel weniger als die von O. selbst erbrachte Anzahl von knapp 800 Seiten. Deswegen konzentriere ich mich auf die rechtstheologische Grundlegung.
Der rechtstheologische Teil der Arbeit orientiert sich am Primat der Wort-Gottes-Kategorie und ist damit für protestantische Leser besonders gut geeignet, sich die Eigenart katholischen Kirchenrechts und seiner theologischen Begründung vor Augen zu führen. O.s Ansatz folgt der Logik der Inkarnationschristologie: Christus ist selbst das Mensch gewordene göttliche Wort. An ihm hat sich alle kirchliche Verkündigung zu messen. Dieser personalen Deutung entspricht die Entfaltung der Wortkategorie in ihrer dreifachen Gestalt als niedergeschriebenes, mündlich überliefertes und gegenwärtig verkündigtes Wort. Zudem versteht O. die Kirche als »wesentlich sakramental und inkarnatorisch« (67). Wort und Sakrament bilden dabei eine differenzierte Einheit (vgl. 61 ff.), ebenso wie der Zusammenhang von Wort Gottes und Kirche als einheitlich zu beschreiben ist (vgl. 56 ff.). Schon die Ausrichtung des Wortgeschehens auf Verkündigung und Gehorsam bezeugt dessen rechtlichen Charakter (vgl. 30 ff.) Die Vollmacht zur Verkündigung zieht für die Kirche Handlungsbedarf nach sich – im Sinne der Ausdifferenzierung in Aufgaben und Ämter. Allerdings erfordert »ein im Namen der Kirche erfolgender Dienst am Wort Gottes« (69) keineswegs immer das Innehaben eines geweihten Amtes. Sakramentale Beauftragung kann sich auch durch Taufe und Firmung ergeben: In diesem Sinne spenden sich etwa die Eheleute selbst das Sakrament und beauftragen sich gegenseitig zum verantwortungsvollen Dienst im Stand der Ehe. Das Recht auf den Dienst am Wort wird zweifach begründet: zum einen christologisch durch Rekurs auf Mt 28, zum anderen menschenrechtlich, weil der Kirche eine Rechtspflicht auf Verkündigung zufällt und die Menschen einen Anspruch auf Verkündigung der Wahrheit haben (vgl. 127 ff.133 ff.). »Die Kirche und der Gläubige in ihr besitzen dieses Recht zur Ausübung der Glaubensunterweisung als Teil jener Glaubens- und Gewissensfreiheit, welche die ungestörte Ausübung der Religion und die damit verbundenen Vollzüge schützt« (133). Formal gehört dazu das Recht auf freie Entfaltung in Mission und Katechese, inhaltlich allerdings unterliegt die Ausgestaltung dieser Freiheit naturgemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche, mithin zentral dem Lehramt und seinen Inhabern. Zu den Maßstäben, an die sich kirchliche Verkündigung zu halten hat, gehören neben Integrität und Vollständigkeit der Lehre pädagogische Absicht und ökumenische Orientierung sowie Kontextsensibilität im doppelten Sinne, am Ort der Gemeinde und im Raum einer bestimmten Kultur (vgl. 141 ff.).
Schon diese Ausführungen lassen erkennen, wie schillernd der Rechtsbegriff im Kirchenrecht sein kann. Hat der Gläubige im Sinne der gerade zitierten Normen Rechtsanspruch auf eine solcherart gestaltete Predigt bzw. Katechese, dann korrespondiert dieser »personalen Dimension des Rechts auf Dienst« (141) eine starke Bestimmung der Aufgaben kirchlicher Hierarchie. Zwar lehnt der CIC den Zwang in Glaubensfragen ab und spricht zugleich im Eröffnungsparagraph von Buch III vom angeborenen Recht der Kirche, »unabhängig von jeder menschlichen Gewalt allen Völkern das Evan­gelium zu verkündigen« (cc. 747). Doch wer garantiert hier Rechtsbestandsschutz und wer überwacht die zugleich als »Pflicht« charakterisierte Tätigkeit der Kirche, wenn nicht wiederum diese selbst? An diesem Punkt wiederholt sich ein zentrales Dilemma katholischen Kirchenrechts, jedenfalls aus protestantischer Sicht: Die Differenz zwischen positivem und natürlichem Recht, zwischen göttlicher Stiftung und menschlicher Satzung droht zu verschwimmen.
Auf die detaillierten Ausführungen zu den Einzelbestimmungen soll nicht weiter eingegangen werden. O. hat in weiten Teilen einen gelehrten Kommentar dazu verfasst, was schon an sich eine beeindruckende Leistung darstellt. Zudem finden Einzelbestimmungen von Bischofskonferenzen zu Fragen etwa von Rundfunkpredigt oder Fernsehgottesdiensten Berücksichtigung. O. schlägt darüber hinaus sinnvolle Präzisierungen der »kodikarischen Amtsdefinitionen« (92) vor. Im Anschluss an S. Demel und über sie hinausgehend soll rechtssprachlich stärker zwischen officium, munus und ministerium differenziert werden. (vgl. 93 ff.) Unter servitium sind dann auch Laienaufgaben in ihrer Zuordnung zum Dienst am Wort Gottes erfassbar (97 f.) Schließlich fordert er behutsam eine Erweiterung der Rechtsbestimmungen hinsichtlich neuer Kommunikationsmittel (Beispiel: Gottesdienst im Cyberspace).
Gewiss, ohne elementare Kenntnisse des CIC wird der Leser das Buch unbefriedigt zurücklegen. Aber das sollte weder den Kundigen noch den Unkundigen davor zurückschrecken lassen, sich beides einmal näher anzuschauen: den CIC und das hier zu besprechende Werk. Einzelergebnisse der Studie werden den Protestanten sicherlich nicht erfreuen, etwa wenn aus kirchenrechtlicher Sicht selbst das Verbot von Laienpredigten in Kindermessen einigermaßen klar ersichtlich wird. Das mag so manchen am Sinn des Unternehmens zweifeln lassen. Aber wer meint, der Weg zur Verständigung würde an kirchenrechtlichen Paragraphen und mitunter steil anmutender Amtstheologie vorbeiführen, der obliegt selbst einem Irrtum. Ökumene mag vieles sein; eines ist sie ganz gewiss: ein Bohren dicker Bretter.