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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1187–1190

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. IX, 346 S. gr.8°. DM 68,­. ISBN 3-16-14296-3.

Rezensent:

Martin Rössler

"Theologie als Grammatik": Diese Formulierung aus Wittgensteins "Philosophischen Untersuchungen" (373) ist gelegentlich als Aufforderung verstanden worden. Auch D.s dogmatischer Entwurf folgt diesem seinerseits nicht mehr ganz neuen Trend (vgl. etwa die Bestrebungen E. Güttgemanns’, P. Holmers oder G. A. Lindbecks), die Theologie am Vorbild der Grammatik zu orientieren: Die "eigentümliche Denkform" (III) christlicher Theologie soll als "christologische Grammatik christlichen Glaubenslebens" (ebd.) entwickelt werden. Hatte D. dieses Programm in seinem Buch "Jenseits von Mythos und Logos. Die christologische Transformation der Theologie" in historischer Perspektive zu begründen versucht, so intendiert der vorliegende Band eine systematische Entfaltung seiner "Grammatik der Christologie" (IV).

Dabei setzt das erste Kapitel "Inkarnation: Der Mythos vom inkarnierten Gott" (1-37) mit einer Erinnerung an die Diskussion um den 1977 von John Hick herausgegebenen Sammelband "The Myth of God Incarnate² ein. Diese Debatte, die sich allerdings wegen ihrer spezifisch (neo-)anglikanischen Verstehensvoraussetzungen (vgl. 3 ff.) als "systematisch wenig ergiebig" (6) darstellt, dient D. gleichwohl als Ausgangspunkt für die Frage nach dem wesentlichen und zentralen Thema christlicher Bekenntnisse und seiner angemessenen Formulierung. Und D.s Antwort lautet: Weder die Inkarnation noch die Gottessohnschaft oder andere christologische Titel und Vorstellungen lassen sich als die grundlegende Bekenntnisaussage erweisen; es ist vielmehr die Auferweckungsvorstellung, die "das theologisch unhintergehbare Grundbekenntnis und Basisurteil des christlichen Glaubens" (24) darstellt: "Mit dem Bekenntnis zur Auferweckung Jesu durch Gott steht und fällt der christliche Glaube" (31, i. O. kursiv).

Zu diesem Ergebnis kommt D. aufgrund einer ausführlichen und differenzierenden Betrachtungsweise, die das einheitliche Thema der Christologie aus den vielfältigen Formen christlicher Bekenntnisse zu erheben sucht und dabei zwischen "Bekenntnisgehalt" und "Bekenntnisthema" (22 ff., 28) sowie zwischen "Thema" und "Themenformulierung" (29 ff.) zu unterscheiden sucht. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß der wesentliche, die Identität des christlichen Glaubens verbürgende Bekenntnisinhalt mit einer bestimmten, willkürlich bevorzugten Bekenntnisformulierung verwechselt wird: Der christliche Glaube soll "Glaube an Jesus Christus bleiben und nicht zum Glauben an eine bestimmte Art und Weise, den Glauben an Jesus Christus zu bekennen, verkehrt" werden (31). Fraglich bleibt allerdings, inwiefern D.s unmißverständliche Privilegierung der Auferweckungsvorstellung eben diesen Fehler vermeiden kann: Wird hier nicht doch wider beste Absicht eine bestimmte Themenformulierung für das Thema selbst ausgegeben?

Die Bevorzugung der Auferstehungschristologie bildet dann auch den Ausgangspunkt für den weiteren Gang der dogmatischen Argumentation, die "die Auferweckung im Blick auf das Kreuz, das Kreuz im Blick auf Gott, Gott im Licht der Verkündigung Jesu und Gottes Handeln in Kreuz und Auferweckung Jesu im Blick auf uns und unsere Welt auszulegen" hat (27, 31; vgl. auch 38 und in etwas abweichender Reihenfolge V). Daraus ergibt sich für D. als sachgemäße Anordnung dogmatischer Themen die Abfolge Christologie ­ Gotteslehre ­ Pneumatologie (vgl. 32-37), die zugleich die Gliederung seines Buches bestimmt und in den Kapiteln 3 bis 5 durchgeführt wird. Zuvor lenkt er im zweiten Kapitel "Kreuz und Auferweckung: Das Wort vom Kreuz" (38-84) das Augenmerk noch einmal auf das Thema der Auferweckung, das für D. nur dann angemessen in den Blick kommt, wenn sie konsequent als "Handeln Gottes" (54 ff., 70 ff.) verstanden wird. Das damit aufgegebene Problem der geschichtlichen Vermittlung deutet D. mit einer für seine dogmatische Argumentation charakteristischen Formulierung an: Die "Auferweckung Jesu" ist "kein historisches Ereignis in der Welt", neben anderen historischen Ereignissen, sondern ein "eschatologisches Ereignis an der Welt, das alle Ereignisse in der Welt und insofern diese insgesamt betrifft, ein fundamentaler Wechsel des Bezugsrahmens" (80, Hervorhebungen i. O.).

Das dritte Kapitel "Jesus Christus: Grundprobleme christologischer Lehrbildung" (85-159) bietet einen erhellenden dogmengeschichtlichen Abriß christologischer Fragestellungen und Lehrentscheidungen, deren soteriologische Pointe für D. nur dann erfaßt ist, wenn ihr Gefälle zur trinitarischen Reflexion berücksichtigt wird: "Christologisches Denken nötigt... zu trinitarischem Denken: Um den göttlichen Grund des Seins Jesu Christi für uns zu denken, ist Gott trinitarisch zu denken" (159). Dieser Gedanke bildet zugleich den Übergang zum vierten Kapitel "Trinität: Die theologische Relevanz des Kreuzes für den Gottesgedanken" (160-236), das insgesamt eine Zweiteilung aufweist: Neben die Begründung für die Notwendigkeit einer trinitarischen Explikation des Gottesgedankens tritt D.s eigene Entfaltung der Trinitätslehre (215 ff.), die als "Regelsystem" (218) für den Gebrauch des Ausdrucks "Gott" verstanden wird und daher eine "Grammatik sachgemäßen Redens und Denkens von Gott" (ebd.) darstellt. Eine "Neugestaltung" (225) der Trinitätslehre vollzieht D. dann anhand der als Bilder (vgl. 222 f.) verstandenen Ausdrücke "Liebe", "Leben" und "Handeln Gottes" (225 ff.).

Zuvor jedoch leistet D. eine Begründung dafür, den Gottesbegriff trinitarisch zu explizieren, die ihrerseits zweigeteilt ist: Das begriffliche Argument geht davon aus, daß, soll Gott "inhaltlich konkret" (169) gedacht werden, die Bedingungen für das angemessene und folgerichtige Denken des Gottesgedankens mitgedacht werden müssen, und zwar als durchgängig von Gott bestimmte (vgl. 166-169).

Erkannt werden kann Gott demnach nur dort, wo er sich selbst zu erkennen gibt, nach christlichem Bekenntnis also in der "eschatologische[n] Wirklichkeit Jesu Christi" (174). Wird aber "die Bestimmtheit des Gottesgedankens... aus der Selbsterschließung der Selbstbestimmung Gottes in Jesus Christus entfaltet, wird Gott mit innerer Konsequenz trinitarisch gedacht" (179, Hervorhebung i. O.). Neben dieser begrifflichen Begründung liefert D. einen theologiegeschichtlichen Nachweis für die Nötigung zu einer trinitarischen Entfaltung des Gottesgedankens, der zugleich das gegenwärtige Wiederaufleben der Trinitätslehre erklären will: die derzeitige "Renaissance der Trinitätslehre" (187) ist für D. als Folge der "Wiederentdeckung der eschatologischen Dimension des christlichen Glaubens" (ebd.) anzusehen, als Folge also der "eschatologischen Neuorientierung der Theologie in unserem Jahrhundert" (197). Diese Neuorientierung begreift D. als Bedeutungswandel im Eschatologie-Begriff ("Von den Eschata zum Eschatos": 197 ff.), der v. a. von Tillich und Barth in die Wege geleitet wurde:

Während bei Tillich die Eschatologie von den "Eschata" am Ende der Geschichte auf den als "Eschaton" (199) zu beschreibenden Sinn des geschichtlichen Geschehens überhaupt konzentriert wird, geht Barth über diese "existentielle Umgestaltung" (200) mit seiner berühmten Totalitätsforderung ("ganz und gar und restlos Eschatologie": 199) hinaus und begründet eine "christologische Neugestaltung" (200) der Eschatologie, die Jesus Christus als den "Eschatos und Verwirklicher des Eschatons" begreift (ebd., Hervorhebung i. O.).

Damit avanciert die Eschatologie von einem einzelnen, am hinteren Rand der Dogmatik angesiedelten Thema zum zentralen und wesentlichen Charakteristikum christlicher Theologie: diese hat sich "nicht mit einer Reihe eschatologischer Lehrstücke" zu beschäftigen, sondern "mit der einen eschatologischen Realität des auferweckten Jesus Christus" (200). Die Auferweckung Jesu ist demnach als "eschatologischer Sachverhalt" (201) aufzufassen, der sich ganz dem Handeln Gottes verdankt. Soll aber Gott als Handelnder überhaupt erkennbar sein, so muß sein Handeln als "drei fundamentale und irreduzible Teilhandlungen" (203) umfassend gedacht werden, die epistemologisch als Schöpfung, Offenbarung und Inspiration (vgl. 204) beschreibbar sind.

Nun wird man der theologiegeschichtlichen These zustimmen können, daß die radikale Erweiterung des Eschatologie-Begriffs zu einem Wiederaufleben der Trinitätslehre geführt hat. Problematisch ist an D.s Darstellung hingegen, daß er von den Ergebnissen dieser Begriffsentwicklungen unbekümmert Gebrauch macht. Denn die expressionistisch-religiöse Aufladung des Eschatologie-Begriffs in den 20er Jahren dieses Jh.s führt dazu, daß er bis zur Selbstauflösung erweitert wird: Soll die Eschatologie, wie D. zustimmend beschreibt, "koextensiv mit der Christologie" werden und "die gesamte Theologie" bestimmen (200), dann büßt der Ausdruck seine vormals spezifische Bedeutung ein und kann sich als "Passepartoutbegriff" (Umberto Eco) auf schlechterdings alles Christliche erstrecken: er wird beliebig einsetzbar. Faktisch fungiert der Begriff dabei als religiöse Fremdheitsvokabel zur Bezeichnung der Andersartigkeit Gottes: "eschatologisch" ist hier alles das, was Gottes Wirklichkeit und Handeln ausmacht. Unter diesen Bedingungen kann aber christliche Erfahrung nur als "radikale eschatologische Durchbrechung lebensweltlicher Erfahrung" (209) beschrieben werden; ein Anschluß an die neuzeitliche Dogmatik, die statt bloßer "Durchbrechung" vielmehr nach der Möglichkeit einer Entsprechung zwischen christlicher und lebensweltlicher Erfahrung zu suchen hat, ist hier nicht mehr gegeben.

Im letzten Kapitel "Sühnopfer: Die Heilsbedeutung des Todes Jesu" (236-315) wendet sich D. schließlich der Soteriologie zu, wobei deren Verhältnis zur angekündigten Pneumatologie auffällig kurz abgehandelt wird (vgl. 35, 237). Seine Leitfrage lautet hier: Ist es möglich oder gar notwendig, den Tod Jesu als Sühnopfer zu deuten? Eine klassische Antwort darauf hat R. Bultmann gegeben: Die Vorstellung eines stellvertretenden Sühnopfers Jesu ist "...für uns nicht nachvollziehbar" (241). Dagegen behauptet die von D. mit unüberhörbar ironischem Unterton und großer Ausdauer so genannte "Tübinger Antithese" (241 ff.): Weil ­ exegetisch ­ die Heilsbedeutung des Kreuzes Christi adäquat nur im Horizont des Sühnopfergedankens erfaßt wird, kann ­ dogmatisch ­ die "christliche Soteriologie auf die Kategorie des Opfers nicht verzichten" (242).

Diese Deutung hat eine lebhafte und kontroverse Debatte ausgelöst, die von D. ausführlich dargestellt wird. Dabei besteht eine verdienstvolle Klärung seines "Dialogversuchs" (243) darin, daß er den homiletischen, exegetischen und dogmatischen Aspekt der Sühnopfervorstellung als drei in der Diskussion gelegentlich emphatisch vermischte "Problemkreise" (245) voneinander unterscheidet. D.s Ergebnis lautet nun: Die Opfervorstellung stellt zwar eine zentrale neutestamentliche Kategorie dar, bildet aber keineswegs die einzige Art und Weise, das Heil in Jesus Christus zum Ausdruck zu bringen. Im Gegenteil ist für das Neue Testament insgesamt eine "Polyphonie der christlichen Rede vom Heil" (265) charakteristisch, die in der Individualität der Heilserfahrung ihren guten Grund hat: Weil das Heil nur auf vielfältige Weise, unter Berücksichtigung der jeweils "individuellen und unaustauschbaren Lebensgeschichte[n]" (261) artikuliert werden kann, gehört die "sprachliche Vielfalt... zum Wesen der christlichen Heilserfahrung" (266). Die "Vielfalt der soteriologischen Deutungen von Jesu Tod und Auferweckung" kann daher "aus exegetischen und hermeneutischen Gründen" nicht "auf ein einziges normatives Grundverständnis", also auch nicht auf die Opferkategorie, reduziert werden (258 f.). Insofern ist es plausibel, daß D. der Sühnopfervorstellung einen lediglich relativen Vorzug im Sinne eines "hermeneutische[n] Schlüssel[s]" (269) einräumt, im Blick auf den sich die übrigen soteriologischen Modelle als angemessen erweisen müssen: "Von der Heilsbedeutung des Todes Jesu zu sprechen heißt, von diesem Tod so zu sprechen, daß das zur Sprache kommt, was das Neue Testament von ihm zu sagen sucht, wenn es ihn als Sühnopfer zur Sprache bringt" (270, 271, i. O. kursiv). Diese hermeneutische Einsicht steht nun allerdings in deutlichem Widerspruch zu D.s Privilegierung der Auferweckungsvorstellung: Wenn es die christliche Heilserfahrung nur in einer "irreduziblen Vielfalt von Ausdrucksgestalten" gibt (259), dann ist nicht einzusehen, warum die Rede von der Auferweckung Jesu nicht auch unter diese soteriologisch heilsame Vielfalt fällt. Denn schon das Neue Testament selbst erinnert D. zufolge "nachdrücklich... daran, daß Christen das Heil in Jesus Christus nicht nur auf eine, sondern auf vielfältige Weise aussagen und zur Darstellung bringen können und müssen" (261). Konsequent zu Ende geführt, müßte der "hermeneutische Schlüssel" also lauten: Von der Heilsbedeutung Jesu Christi zu sprechen heißt, von ihm so zu sprechen, daß das zur Sprache kommt, was das Neue Testament von ihm zu sagen sucht, wenn es seine Auferweckung zur Sprache bringt. Völlig zu Recht schärft D. der dogmatischen Reflexion ein, nicht willkürlich "einen bestimmten Bild- oder Vorstellungskomplex oder eine bestimmte soteriologische Leitmetapher als allein maßgeblich zu behaupten oder vorschreiben zu wollen" (261). Aber er läßt die Frage offen, warum eine Anwendung dieser Regel auf seine eigene christologische Konzeption nicht stattfinden soll.

Insgesamt wird man jedoch D.s Privilegierung der Auferweckungsvorstellung einen erschließenden Wert nicht absprechen können: Als Beschreibung von charakteristischen Zügen christlicher Frömmigkeit trifft sie sicherlich zu. Aber die Theologie kann sich im bloßen Nachzeichnen von Inhalten der christlichen Religion nicht erschöpfen; zu ihrer Aufgabe gehört auch, den Sinn und die Bedeutung dieser Inhalte ­ im Einklang mit lebensweltlicher Erfahrung ­ zu verstehen und zu erklären. Dann könnte sich allerdings die Grammatik als ein unzureichendes Vorbild für die Bewältigung der theologischen Aufgabe herausstellen. Denn darin ist zweifellos Wittgenstein (Philosophischen Untersuchungen, 496) zuzustimmen: Die Grammatik "beschreibt nur, aber erklärt in keiner Weise, den Gebrauch der Zeichen."