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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1246–1248

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Veronika [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Gabe. Ein »Urwort« der Theologie?

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2009. 207 S. gr.8°. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-87476-584-8.

Rezensent:

Martin Seils

»Essai sur le don« lautet der Titel jener 1925 erschienenen Darlegung des französischen Ethnologen und Soziologen Marcel Mauss, die zunächst in der französischen Soziologie und Philosophie Aufsehen erregte, dann reichlich im angelsächsischen Sprach- und Wissenschaftsbereich diskutiert wurde, etwa seit den 80er Jahren des vergangenen Jh.s in der deutschen Soziologie und Philosophie Beachtung findet und nunmehr dabei ist, mehrfach auch Thema theologischer Erörterungen zu werden. Mauss hatte in archaischen Gesellschaften ein »System der totalen Leistungen« vorgefunden, das diese Gesellschaften vor dem Aufkommen der Geldwirtschaft durch einen verbindlichen Kreislauf von Geben, Nehmen und Erwidern materieller Güter prägte und zusammenband. Was in der Folgezeit über die ethnologischen Feststellungen hinaus bewegte, war die Entdeckung, dass noch heute, allerdings in einer eher individualisierten und weit über das Materielle hinausreichenden Weise, menschliches Zusammenleben gleichsam unterhalb des Ökonomischen vom wechselseitigen Geben und Nehmen ermöglicht und bestimmt wird. Theologische Relevanz bekommt die »Gabe«-Thematik dadurch, dass die Tragfähigkeit einer soziologisch vordefinierten »Gabe«-Metapher zum Problem wird, wenn ein dem zwischenmenschlichen Geben und Nehmen vorauslaufendes »Geben« oder sogar »Sichgeben« Gottes angenommen werden muss und dann die Frage entsteht, welche Rolle dabei und darunter dem menschlichen »Nehmen« und »Erwidern« zukommen kann.

Die anzuzeigende Aufsatzsammlung zum Thema der »Gabe« entstammt einer Tagung, die im April 2008 in Münster stattfand. Man hatte unter bewusster Konzentration auf systematisch-dogmatische Beiträge katholische und evangelische Theologen und Theologinnen zu Vorträgen eingeladen.

Es sind zwei Beiträge, deren Themabehandlung besonders hervortritt. Der katholische Systematiker Jürgen Werbick nimmt unter der Überschrift »Gottes-Gabe« weitgreifende »fundamentaltheologische Reflexionen zum Gabe-Diskurs« vor. Der evangelische Systematiker Oswald Bayer, der das Diktum von der »Gabe« als einem »Urwort der Theologie« kreiert hat, handelt von der »Ethik der Gabe« in einem umfassenden systematischen Gedankengang. Werbick ist bewegt von der Frage nach der Ermöglichung einer »Wechselseitigkeit des Gabe-Geschehens« im »Gott-Menschen-Verhältnis« (31), wenn doch die Gratuität der göttlichen »Selbst-Gabe« unaufhebbar und unaufgebbar sei. Er antwortet, dass »Gottes Selbstgabe« die »Zumutung« an den Menschen enthalte, sich »zu freier Teilnahme am göttlichen Leben und am Geschehen des guten Willens Gottes bewegen zu lassen« (28 f.). Bayer geht davon aus, dass die Ethik grundlegend die »kategorische Gabe zu bedenken« (99) habe. Auch er stellt fest, dass »Gottes Gabe … ungeschuldet, unbedingt und bedingungslos« (107) sei. Jedoch wolle der in der Schöpfung, in Christus und im Wort sich gebende Gott vom Menschen »die Gegengabe, die Antwort des Glaubens« (115), und zwar vertikal als »Rückgabe an Gott im Gebet, im Glauben« und horizontal als »Weitergabe an den Nächsten in der Liebe« (117). Während Werbick von einer »für das Gott-Menschen-Verhältnis« elementaren »Wechselseitigkeit des Gabe-Geschehens« (31) sprechen kann, handelt es sich für Bayer eher um ein »Kommunikationsgeschehen«, durch das die Welt aus ihrer sündigen »Selbstverschlossenheit gerettet und damit zum Empfangen, Loben und Weitergeben wieder offen wird« (121).

Absicht des dänischen Systematikers Bo Kristian Holm ist es, die reformatorische »Rechtfertigungslehre in einer gabe-theologischen Form« (33) durchzuführen. Dazu bedient er sich des luthe­rischen, an der Ehe- und Liebesanalogie orientierten Bildes vom »fröhlichen Wechsel und Streit« zwischen Christus und der Seele des Menschen, das es erlaube, »die für das Geben notwendige Gegenseitigkeit« (49) in das Rechtfertigungsgeschehen einzuschreiben und »die Gabe der Rechtfertigung« als einen »Verkehr von empfangendem Geben und gebendem Empfang« (51) zu rekonstruieren. In gewisser Weise eine Gegenposition dazu vertritt der katholische Dogmatiker Josef Wohlmuth, dem daran gelegen ist, insbesondere den »Bereich des Sakramentalen« (70) von jedem »Vergleich mit ökonomischem Gabentausch« (67) freizuhalten. Als »dankende[r] Lobpreis« sei die Eucharistie »die freie Anerkennung der Hoheit Gottes, in der wir als Menschen ohne jede Verpflichtung zur Rückerstattung dem Schöpfer geben, was ihm allein gebührt: ›Herrlichkeit und Ehre‹« (70). Ganz auf hermeneutische Überlegungen zum Abendmahl konzentriert sich der evangelische Dogmatiker Philipp Stoellger, der das »Wechselspiel der Deutung zwischen­ der Gabemetapher und dem Abendmahlsvollzug« (75) untersucht und findet, dass »›Abendmahl als Gabe‹ … eine außerordentliche Metapher« sei, denn in »ihr koinzidieren Sagen und Zeigen – allerdings nur für den, der mitfeiert« (92).

Dem Thema der »Vergebung« hat sich der katholische Systematiker Knut Wenzel zugewandt, denn bei der »Vergebung« handele es sich um einen »fundamentalen Kommunikationsakt« (129). Fasse man sie als »Tauschverhältnis« auf, so habe man – mit Ricœur – noch nicht an »das Verhältnis zwischen der Tiefe der Schuld und der Höhe der Vergebung« (137) gerührt. Wenzel betont die Möglichkeit von Vergebung als »Anerkennung des Menschen im Schuldigen« (139) und damit die Notwendigkeit einer » schöpfungstheologischen Grundierung von Vergebung« (143). Auf die Frage nach »Gott in unseren Gabeverhältnissen« (145) bezieht sich die katho­lische Theologin Veronika Hoffmann, die zwar voraussetzt, dass die »Gabe« ein Vorgang sozialer Interaktion sei, ihr theologisch weiterführendes Verständnis aber als »Ereignis wechselseitiger Anerkennung« (146) auffasst. Mische sich Gott in die sozialen Interaktionen ein, so ergebe sich eine gleichsam hyperbolisierende Dehnung der mit der »Gabe«-Metapher beschriebenen Verhältnisse: Gott gebe anfänglich und letztlich, jedoch tue er dies unter reziproken Anerkennungsbezügen.

Ökumenische Lösungsmöglichkeiten mit Hilfe der »Gabe«-Thematik diskutiert die katholische Theologin Christine Büchner unter Bezug auf den Entwurf einer »Ecumenical Theology of Giving« des finnischen Theologen Risto Saarinen, während die evangelische Theologin Joane Beuker sich mit den Konsequenzen beschäftigt, die sich ergeben, wenn man einen »Mittelweg der Gabe« zwischen Egoismus und Altruismus einschlägt, »dessen Grundlage und Ziel der Aufbau von Beziehungen ist« (202).

Die Frage, ob nun »die Gabe« ein »Urwort der Theologie« sei, hat während der Tagung offenbar keine übereinstimmende Antwort bekommen. Dass »die Gabe« jedenfalls als Problem theologische Relevanz habe, tritt vielfach hervor. Vorsichtiger als die katho­lischen Systematiker und Systematikerinnen gehen – jedenfalls meis­tens – die evangelischen Kollegen und Kolleginnen mit der »Wechselseitigkeit« oder »Kommunikation« der »Gabe«-Korrelation zwischen Gott und dem Menschen um. Ob nicht unter theo logischen Präferenzen eine soziologisch vorverstandene »Gabe«-Metapher notwendigerweise »überdehnt« werden müsse, zieht sich als Frage mindestens hintergründig durch manche Beiträge. Wenig Beachtung findet das von Philosophen, Soziologen und Theologen (z. B. Dalferth 2005) längst aufgeworfene Problem eines »Überschusses« in den ethnologisch begründeten und soziologisch begriffenen »Gabe«-Relationen bei einem »Gebeereignis, in dem nicht nur etwas, sondern etwas als Gabe gegeben wird« (Waldenfels 1997). Also dann frei geschenkt? »Die Menschen verlernen das Schenken …« (Adorno, Minima moralia, 1951, Nr. 21). Es ist ein Verdienst der vorliegenden Veröffentlichung – wie auch mancher Beiträge der schon 2005 stattgefundenen Tagung der Linzer Arbeitsgruppe Wirtschaft – Ethik – Gesellschaft mit dem Thema »Ge­schenkt – umsonst gegeben?« –, das theologische Nachdenken über »Gabe« und »geben« kräftig angeregt zu haben.