Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1212–1214

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ziccardi, Costantino Antonio

Titel/Untertitel:

The Relationship of Jesus and the Kingdom of God According to Luke-Acts.

Verlag:

Rom: Editrice Pontificia Università Gregoriana 2008. 580 S. gr.8° = Tesi Gregoriana. Serie Teologia, 165. Kart. ISBN 978-88-7839-126-0.

Rezensent:

Hans Klein

Diese umfassende Studie zu einem zentralen Problem neutestamentlicher Theologie geht auf eine bei John J. Kilgallen SJ ge­schriebene Dissertation zurück. Ihr Verfasser ist gegenwärtig Exekutiv-Direktor für Mission und Dienst an der Seton Hall’s Universität. Z. geht es um den Nachweis der engen Verbindung von Gottesherrschaft und Jesus Christus. Bei vielen Theologen wird diese Beziehung als in Jesu Wirken bereits erfüllt, aber noch nicht vollendet gekennzeichnet. Diese komplexe Beschreibung führt oft dazu, dass der eine Aspekt als wichtiger angesehen wird als der andere, dass also entweder die christologische oder die eschatologische Ausrichtung stärker zur Geltung kommt. Z. ist die Zuordnung der beiden auf derselben Ebene wichtig. Er hat sich die lukanischen Schriften für seine Studie gewählt, weil nach seiner Sicht dort die Beziehung der beiden Größen zueinander am klarsten beschrieben wird.

In der Einleitung (7–36) bietet Z. eine sehr kurze Forschungsgeschichte des Verständnisses der Gottesherrschaft von Johannes Weiß bis zum 2. Vatikanum. Es folgt (8–10) die Darstellung der eigenen Position und daraufhin (18–24) die Skizzierung der Absicht seiner Studie. Es liegt Z. daran zu zeigen, dass Lk in seinem fundamentalen Verständnis Gottesherrschaft und Jesus zusammen sieht (21).
Als Voraussetzungen der Studie (22–24) gibt er an, dass a) Lk als Quellen Mk, Q und Sondergut (L) vorlagen; b) für Lk und Apg derselbe Autor verantwortlich ist; c) er für Heiden außerhalb Palästinas schreibt, Menschen, denen das Alte Testament (LXX) vertraut ist, wobei auch Juden unter den Lesern gewesen sein können. Es folgt (24–36) die Darstellung der vorlukanischen Sicht des Gottesreiches.

Im I. Kapitel seiner Studie (37–94) geht Z. dem Verhältnis von Gottesherrschaft und Jesus in einer grammatikalischen Zuordnung nach. Er untersucht drei Texte der Apg (8,12; 28,23b und 28,31), in denen diese Zuordnung in Parallelsätzen festgehalten ist. Daraus schließt er, dass beide Größen gleichwertig sind. In 28,23 möchte er darum auch den Hinweis auf die Schriften beiden zuordnen, wobei er aber nicht mit weiteren Texten belegt, dass die Gottesherrschaft in den Schriften des Mose angekündigt wurde. Die an anderer Stelle (191) angeführten alttestamentlichen Belege für das Gottesreich stammen aus den Geschichtsbüchern von Samuel bis Chronik. Auch bei 28,31 stellt er richtig die enge Beziehung der beiden Größen fest, bedenkt aber die unterschiedliche Bedeutung von κηρύσσειν und διδάσκειν zu wenig. Dadurch erscheint das Ge­samt­bild zu wenig differenziert.

Im II. Kapitel (95–148) untersucht Z. vier weitere Texte der Apg, wo die Gottesherrschaft genannt wird, von Jesus aber im Kontext, nicht in Parallel-Aussagen die Rede ist (1,1–14; 14,21–28; 19,1–20; 20,7–38). Der hier herausgestellten Zuordnung von Gottesreich und Jesus ist grundsätzlich zuzustimmen, auch wenn der Kontext zuweilen zu rasch in den Zusammenhang gebracht wird, z. B. wenn Z. zu Apg 1,1–14 auch Lk 24 heranzieht.

Kapitel III (149–162) fasst das bisher Erarbeitete zusammen und leitet zur Untersuchung der Texte des Evangeliums über.

In Kapitel IV (163–264) untersucht Z. ausführlich Lk 1–2. Bei 1,2 ist ihm wichtig, dass Lukas die Erfüllung des Planes Gottes berichten wird (169 f.), eine ungewöhnliche Auslegung. Um die Erfüllung der Verheißung geht es ihm auch zu Lk 1,5–25 (171–178). Zu 1,26–38 (179–206) streicht er die Gottessohnschaft Jesu heraus, wozu er als Beleg der Tradition auch den in seiner Deutung höchst umstrittenen Text 4Q 246 heranzieht. Wichtig ist ihm 1,33 mit seiner Betonung der ewigen Herrschaft des Gottessohnes (193), ein Gedanke, der bei der Messiaserwartung nicht begegnet, weil danach der Messias eine zeitlich begrenzte Herrschaft ausübt, bei Paulus (1Kor 15,28) ist es sogar der Sohn. Zum Magnifikat meint Z., dass vom Gottesreich nicht gesprochen wird, weil von Jesus noch nicht die Rede war (212), zum Benediktus sagt er, dass Zacharias in Jesus den erwarteten davidischen König sieht, was die Gottesherrschaft impliziert (224). Nach Lk 2 ist im Sinne von Z. wichtig, dass die Gottesherrschaft Jesus hervorbringt und Jesus der einzige Erfüller derselben ist, wobei diese Erfüllung anders ist, als sie erwartet wurde (263).

In Kapitel V (265–374), wo er Lk 3–4 näher betrachtet, betont Z., dass sich mit Jesu Auftreten der Plan Gottes erfüllt. Damit er­scheint die Gottesherrschaft anders, als sie erwartet wurde, nämlich eschatologisch und definitiv, in Jesus auch als transzendent und universal (371). Sie ist begründet in Jesu Geistbegabung und seiner Gottessohnschaft, die das Böse besiegt.

In Kapitel VI (377–496) analysiert Z. neun weitere Texte des Lu­kasevangeliums. Darauf muss im Einzelnen nicht eingegangen werden, da deren Analysen wenig über das bisher Gesagte hinausführen. Neu ist indes die Betonung, dass in Jesu Wundern die Gottesherrschaft schon präsent (381.397.435 f. u. ö.) und er (Jesus) der entscheidende Agent für die zukünftige Gottesherrschaft ist (460).

Die relativ kurzen Schlussfolgerungen (497–503) geben einen guten Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der sehr inhaltsreichen Studie.

Da bei Weitem nicht alle wichtigen Beobachtungen Z.s hier zur Darstellung kommen können, sei an zwei Beispielen sein Umgang mit den Texten ausführlicher skizziert:
a) In seiner Analyse von Lk 11,1–26 (427–440) wird zunächst der Anschluss an 10,1–16 besprochen, wonach die Jünger angewiesen werden, die Nähe der Vollendung der Gottesherrschaft zu verkündigen, während sie diese gleichzeitig in der ihnen von Jesus erteilten Vollmacht aktualisieren. In 10,21–24 findet er die Nähe Jesu zu Gott als Sohn zum Vater für das Folgende entscheidend.
Diesen Aussagen folgt zunächst ein Durchgang durch 11,1–13, wo er etwas länger bei der Bitte »Dein Reich komme« verweilt. Er betont, dass in der Zeit vor dem Wirken Jesu, im Alten Testament und im frühen Judentum, die Herrschaft Gottes als machtvolles Eingreifen in die Geschichte gesehen wurde. In Lk 11 gehe es um das definitive Kommen der Gottesherrschaft. Das 18-Bitten- und das Qiddusch-Gebet erwähnt Z. nicht. Das Gebet zeige also an, dass die Herrschaft Gott gehört und dieser die Vollendung herbeiführt, ebenso aber auch, dass Jesus grundlegend ( pivotal) in Gottes Plan für das Kommen der Herrschaft eingebunden ist.
Dies wird durch die folgende Perikope (11,14–26) belegt. Die Redeweise vom »Finger Gottes« (Lk 11,20) schreibt er dem Evangelisten zu, der hier eine alttes­tamentliche Redeweise einbringe. Die Aussage dieses Verses, dass in Jesu Wundern die Herrschaft Gottes gekommen sei, enthalte einen prophetischen Aorist (das war auch bei den Aoristen im Magnifikat Lk 1,51–53 so gesehen). Mit Jesu Tätigkeit sei die Herrschaft Gottes zwar initiiert (inauguriert), da die Macht des Satans gebrochen worden sei, die Vollendung stehe aber noch aus.
b) Im Abschnitt Apg 14,21–28 (110–118) streicht Z. den in 14,22 enthaltenen Spruch »Wir müssen durch viel Trübsal ins Gottesreich eingehen« heraus. Er meint, dass diese Aussage auf Jesus zurückgehe, da dieser ähnliche Sprüche geprägt habe. Damit erreicht Z. die Verbindung zwischen Jesus und der Gottesherrschaft, die er an dieser Stelle sehr deutlich von einem Leben nach dem Tode, in Abrahams Schoß wie Lazarus (Lk 16,19 ff.) oder im Paradies wie der Mitgekreuzigte (Lk 23,43), unterscheidet. Nach diesen Aussagen zieht Z. 14,23 heran, wo, allerdings in einem neuen Gedankengang, von den »im Herrn gläubig Gewordenen« gesprochen wird. Damit ist für Z. die enge Verbindung zwischen der Gottesherrschaft und Jesus auch an dieser Stelle eindeutig.


Z. geht souverän mit den exegetischen Methoden um und zieht das Alte Testament massiv zur Begründung seiner Thesen heran. Da­durch kommt er immer wieder zu überraschenden Erkenntnissen, die man zuweilen dankbar annimmt, über die man aber zuweilen mit ihm diskutieren möchte. Seiner Methode folgend fragt man sich, warum Z. im Zusam­menhang von 14,25–35 nicht auch Kapitel 15,1–3 heranzog, einen Text, der sehr wohl mit 14,25–35 zusammen gesehen werden kann. Ebenso bleibt offen, warum er 17,11–35 nicht behandelt, wo doch 17,20 ff. vom Kommen der Gottesherrschaft gesprochen wird und 17,11–19 von einer Rettung durch Jesus. Ein Nachdenken über das berühmte ἐντὸς ὑμῶν in Lk 17,21 und eine Erörterung der Frage, ob die Formulierung »Jesus und die Auferstehung« in Apg 17,18 eine Variante zu »Jesus und das Gottesreich« sein kann, hätten der Studie nicht geschadet.

Das Buch ist ein Musterbeispiel der Arbeit eines systematisch begabten Exegeten, der einerseits die großen Linien der Bibel verfolgt, andererseits die Aussagen der Texte immer wieder überfordert. Für seine einheitliche Sicht auf ein schwieriges Thema ist ihm zu danken. Die Studie wird für Gespräch in der Fachwelt sorgen.