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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1093–1095

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Pilnei, Oliver,

Titel/Untertitel:

Wie entsteht christlicher Glaube? Untersuchungen zur Glaubenskonstitution in der hermeneutischen Theologie bei Rudolf Bultmann, Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XIV, 403 S. gr.8° = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 52. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149330-0.

Rezensent:

Andreas Hunziker

P.s Untersuchung ist die leicht überarbeitete Fassung seiner 2006 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommenen Dissertation. Betreut wurde sie von E. Herms, von dessen Verständnis der Theologie als ›Phänomenologie des christlichen Glaubens‹ nicht nur P.s Darstellung und Kritik der hermeneutischen Positionen Bultmanns, Fuchs’ und Ebelings, sondern auch seine eigene Antwort auf die Frage nach der Glaubenskonstitution ihr deutliches Gepräge erhält.
In der Einleitung (1–20) werden die Fragestellung und die Methode ihrer Beantwortung näher bestimmt: Drei Entwürfe hermeneutischer Theologie werden daraufhin untersucht, »mit welchen kategorialen Mitteln sie das Glaubensgeschehen entfalten und welches Bild sie von der Glaubenskonstitution zeichnen«, um in kritischer Auseinandersetzung mit diesen Entwürfen selbst »einen Beitrag zu einer Theorie der Glaubenskonstitution zu leis­ten« (2). Die Aufgabe einer solchen Theoriebildung besteht darin, das Wirklichkeitsverständnis zu entfalten, das in den Selbstäußerungen des Glaubens enthalten ist, um von daher die ontologisch-kategorialen Mittel für eine sachgemäße Beschreibung des Glaubensgeschehens in seinen beiden Grundaspekten und deren Verhältnis zueinander zu gewinnen: dem göttlichen Offenbarungshandeln und dem menschlichen Glaubensvollzug. Die Methode ist diejenige einer theologischen Phänomenologie, indem sie nach dem Wie des Gegebenseins des Glaubens für den Glaubenden fragt. Und sie nimmt die Gestalt einer Subjektivitätstheorie (in der Tradition Schleiermachers) an, indem sie dezidiert nach den Möglichkeitsbedingungen fragt, » wie der gerechte Gott für den sündigen Menschen zum deus justificans und wie aus dem homo peccator der durch den Glauben gerechtfertigte und geheiligte Mensch wird« (14).
Die ontologischen Basisannahmen, auf denen das Glaubensverständnis in der hermeneutischen Theologie beruht, rühren nach P. daher, dass der Glaube als ein Existenz begründender Verstehensvollzug verstanden wird, »dessen Struktur sich aus der der Be­schreibung zugrunde liegenden Auffassung über die Verfassung der Existenz ergibt.« (15) Paradigmatisch zeigt sich dies an Rudolf Bultmanns hermeneutischer Position (I. Bultmanns Theorie der Glaubenskonstitution im Kontext seiner Hermeneutik, 21–54), welche die fundamentaltheologische Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Verstehensvollzüge des Glaubens aufgeworfen und im Horizont einer Ontologie geschichtlichen Daseins beantwortet hat. Die Grenze dieses Programms besteht darin, dass es die Beschreibung der Glaubenskonstitution von einer vorgegebenen Fundamentalanthropologie abhängig macht, die es ihm nicht erlaubt, die eschatologische Existenz des Glaubens konsistent und phänomenal ausweisbar zu beschreiben.
Im zweiten Kapitel (II. Die Glaubenskonstitution in der Hermeneutik von Ernst Fuchs, 55–202) verfährt P. seinem methodischen Leitfaden entsprechend so, dass er nach einer hilfreichen Beschreibung der Entwicklung von Ernst Fuchs’ (1903–1983) hermeneutischem Programm dessen ontologische und anthropologische Fun­damente freilegt, um schließlich von daher die Stärken und Grenzen von Fuchs’ Verständnis der Glaubenskonstitution he­rauszuarbeiten. Der maßgebliche Fortschritt gegenüber Bultmanns »formaler Existenzdialektik« (72) besteht darin, dass er seine ontologischen Kategorien nicht einfach der Philosophie entlehnt, sondern sie phänomenologisch aus den Konstitutionsbedingungen der christlichen Existenz selbst zu entwickeln versucht. Die konkrete Weise, wie Fuchs diesen »Übergang von der Fraglichkeit zur Sprachlichkeit der Existenz« (66) vollzieht, offenbart aber zu­gleich die Problematik von Fuchs’ theologisch-phänomenologischem Paradigmenwechsel. Zwar setzt er richtig an, indem er den Glauben aus dem Ereignis heraus verstehen will, dem sich der Glaube verdankt – mit der Folge, dass »neue Existentiale (Freude an Gott, Liebe, Freiheit zum Wort etc.) in den Vordergrund treten.« (101) Es gelingt aber letztlich darum keine hinreichend präzise kategoriale Beschreibung der Bedingungen der Möglichkeit der Glaubenskonstitution in seinen differenten Aspekten, weil die reduktionistische Konzeptualisierung des Offenbarungs- und Glaubensgeschehens als Sprachereignis die Tatsache übergeht, »dass Sprachereignisse als Sprachgebrauch auf ... einem vorsprachlichen Erleben und Erleiden der Existenz fußen« (136). Fuchs’ Hermeneutik des Sprachereignisses mangelt es darum im Blick auf die Beschreibung der Konstitutionsbedingungen des Glaubens an phä­nomenal ausweisbarer Evidenz.
Die Rekonstruktion und Kritik von Gerhard Ebelings (1912–2001) hermeneutischer Position im dritten Kapitel (III. Die Glaubenskonstitution in der Theologie Gerhard Ebelings, 203–353) verläuft ganz analog. Auch hier folgt auf die Darstellung der Genese des hermeneutischen Programms die Explikation der ontologischen und anthropologischen Fundamente: Die in der Auseinandersetzung mit Luthers Theologie gewonnene Konzentration auf die Relation von Wort und Glaube führt ähnlich wie bei Fuchs »zu einer verstärkten Orientierung an der Sprachlichkeit der Wirklichkeit sowie der Kategorie des Wortgeschehens« (208). Die Eigenart von Ebelings Hermeneutik ergibt sich aus seinem Verständnis des Menschen als Gewissen, in dem auch die relational-ontolo­gische Coram-Struktur des Daseins sowie das exzentrische Personverständnis angelegt sind. Aber auch diese fundamentalanthropologische Orientierung am Wortgeschehen und Gewissen vermag nach P. im Hinblick auf eine phänomenal angemessene Konzeptualisierung der Glaubenskonstitution nicht zu überzeugen. Der Mensch coram Deo lässt sich in dieser ontologischen Grundbegrifflichkeit zwar als schlechterdings passiv beschreiben. Der Charakter des Glaubens als menschliche Tat und seine Wirklichkeit als Selbsterleben sind in diesem an der Externität des Wortgeschehens orientierten Rahmen aber nur unzureichend erfassbar.
Im vierten Kapitel (Schluss, 354–379) zieht P. das Fazit aus seinen Untersuchungen. Zuerst wird der Beitrag der drei hermeneutischen Theologien noch einmal zusammengefasst: Sachdienlich sei er, weil die Frage nach der Glaubenskonstitution »durch eine Besinnung auf die in den neutestamentlichen Texten zur Sprache kommende Sache gesucht wurde.« (355) Umgekehrt bestehe das kategoriale Grundproblem im Verständnis des Offenbarungsgeschehens als Sprachereignis bzw. Wortgeschehen und der damit verbundenen Konzeption der Wirklichkeit als Sprachlichkeit. Der vorsprachliche Bereich menschlichen Existierens werde dadurch vernachlässigt und damit auch die Frage nach dem Glauben in seiner Wirklichkeit als Selbsterleben. In einem zweiten Schritt umreißt P. dann noch einmal thetisch sein Alternativmodell einer transzendentalen »Hermeneutik als Phänomenologie des christlichen Glaubens« (364–369). Indem jegliche sprachliche Symbolisierung aus seinen vorsprachlichen Bedingungen begriffen werde, könne das Anliegen der hermeneutischen Theologie aufgenommen, aber auf einen tragfähigeren kategorialen Boden gestellt werden. Die Arbeit schließt mit skizzenhaften »Überlegungen zur Glaubenskonstitution« (369–379).
Der Arbeit von P. kommt das wichtige Verdienst zu, einen ins Vergessen geratenden theologisch-hermeneutischen Diskussionszusammenhang (im Blick auf die Frage nach der Konstitution des Glaubens) einer kritischen Relektüre zu unterziehen. Wer sich in demselben Denkrahmen wie P. bewegt, der dürfte in dessen Arbeit überzeugende Erklärungen dafür finden, wieso das Modell der Hermeneutik als theologischer Grundwissenschaft in seiner kategorialen Durchführung über weite Strecken nicht mehr zu überzeugen vermag. Wer dagegen mit der hermeneutischen Theologie davon ausgeht, dass ›das‹ Subjektivitätsparadigma aus philosophischen und theologischen Gründen zumindest einer starken Revision bedarf, der kann durch P.s detailreiche Arbeit dazu angeregt werden, zu einer Lektüre der Texte von Bultmann, Ebeling und vor allem Fuchs selbst zurückzukehren. Es wären deren Versuche dann aber betonter aus deren eigenen Motivlagen und Problemhorizonten heraus zu verstehen, um ihre Stärken und Grenzen innerhalb der gegenwärtigen philosophischen und theologischen Diskussionszusammenhänge herausarbeiten zu können.