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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1054–1056

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Baruch J., Wright, David P., Stackert, Jeffrey, and Naphtali S. Meshel [Eds.]

Titel/Untertitel:

Perspectives on Purity and Purification in the Bible.

Verlag:

New York-London: T & T Clark International (Continuum) 2008. X, 118 S. gr.8° = Library of Hebrew Bible. Old Testament Studies, 474. Lw. £ 70,00. ISBN 978-0-567-02832-7.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Der Band vereinigt Referate, die auf zwei Sitzungen während des SBL-Kongresses 2005 in Philadelphia gehalten wurden. Sie waren einem der beiden Hauptthemen der alttestamentlichen Kultvorschriften gewidmet: den Regelungen für Reinheit und Reinigung.
Der Band ist in zwei Hauptteile gegliedert: Teil I mit der Überschrift »System« (7–73) beschäftigt sich mit Problemen der inhaltlichen Klassifizierung. Teil II »Method« (77–110) behandelt gro­ßenteils Fragen der Methodik für das Urteil über kultische Texte.
R. E. Gane »The Function of the Nazirite’s Concluding Purification« (9–17) beschäftigt sich mit dem Reinigungsopfer, das zur Abschlusszeremonie anlässlich der Beendigung eines Nazirats (Num 6,13–20) gehört (V. 14.16). Gegenüber der häufigsten Annahme, das תאטח-Opfer bedeute an dieser Stelle eine Desakralisierung des die Erfüllung seines Gelübdes abschließenden Naziräers, versteht Gane das Ritual in Analogie zu dem תאטח-Opfer anlässlich einer Priesterweihe: Durch die Darbringung seines Haares an die Gottheit werde der bisherige Naziräer in einen höheren Status von Reinheit überführt.
Ein zentrales Thema behandelt J. Sklar mit »Sin and Impurity: Atoned or Purified? Yes!« (18–31). Ausgehend von der Beobachtung, dass das Verbumרפכ pi. und das Substantiv רפכ zugleich im Zusam­menhang mit unbemerkter Sünde wie mit schwerer Verunreinigung vorkommen, erklärt Sklar den Doppelgebrauch damit, dass beide Gefahr (erfordert Freikauf) wie Unreinheit (erfordert Reinigung) bewirken. – Abgesehen von einer derartigen rationalen Begründung ist die Ineinssetzung von Schuld und Unreinheit eine wichtige Eigenart alttestamentlichen Weltverständnisses gegen­über modern-westlichen Kategorien.

Die Untersuchung von N. S. Meshel »Pure, Impure, Permitted, Prohibited« (32–42) beschäftigt sich mit dem komplexen System in Lev 11. Das Miteinander einerseits von Tieren, die rein sind und zum Verzehr geeignet, mit solchen, die rein sind, aber zum Verzehr verboten, unrein und doch zum Verzehr erlaubt, mit anderen, die unrein sind und zum Verzehr verboten, und andererseits von Arten, die rein sind und berührt werden dürfen, solchen, die rein sind, aber verboten zu berühren, anderen, die unrein sind, aber berührt werden dürfen, mit anderen, die unrein sind und nicht berührt werden dürfen (39), erklärt Meshel folgendermaßen: Eine alte, natürliche Ordnung von rein und unrein, die den Tieren von Natur inhärent ist, wurde mit einer jüngeren, religiösen Klassifizierung, die zwischen berührbaren und nicht berührbaren Tieren unterschied, vermischt. – Der ideologische Ansatz, der sich hinter der Datierung (natürlich = alt; religiös = jünger) verbirgt, bedarf noch der Diskussion.
T. Kazen »Dirt and Disgust: Body and Morality in Biblical Purity Laws« (43–64) versucht eine Erklärung der gleichen Phänomene. Auch er betrachtet rituelle und moralische Unreinheit und die Wege ihrer Beseitigung als eng miteinander verbunden. Moral und Reinheit haben nach Kazen einen gemeinsamen Ursprung (46). Dies finde man auch bei Israels Nachbarn. Für seine These, die Moral sei aus körperlichen Empfindungen herzuleiten, im Gegensatz zu Descartes’ rationaler Begründung, beruft sich K. auf die Entwick­lungs­theo­rie. Speisevorschriften beruhten auf Ekelgefühlen, etwa gegenüber mit ץרש be­zeichneten Tieren oder Widerwillen gegen bestimmte körperliche Erscheinungen wie Hautkrankheiten, Ausflüssen usw. Auch den Begriff תובעה will Kazen verstehen als ursprünglich »a term for a primarily physical and emotional reaction of disgust« (60). Dieser psychologische Hintergrund verbinde alle drei Elemente, für die eine Reinheits-Sprache gebraucht werde: Speisegesetze, Berührungsregeln und bestimmte unmoralische Handlungen. – Im Ganzen erscheint dies wenig einleuchtend, da der sakrale Aspekt der Entstehungszeit in der Antike unberück­sichtigt bleibt und moderne (oder postmoderne) Ideologie das Urteil bestimmt (vgl. zu einem solchen Ansatz auch Klawans, s. u.).
D. Tabb Stuart »Does the Priestly Purity Code Domesticate Women?« (65–73) behandelt die Stellen in Lev 11–15, in denen Themen aus dem Erfahrungsbereich von Frauen vorkommen. Dazu gehören: Lev 13,29–39 Schuppen und Flechten bei Frauen. Dieser Abschnitt (bis V. 44), der solche mit Angelegenheiten von Männern unterbricht, wurde meist als jüngerer Einschub betrachtet; offenbar hat der männliche Verfasser in P ihr Fehlen beachtet. – Lev 13,47–59 behandelt Schimmel- und Pilzbefall auf Stoffen und Le­derwaren, dem Arbeitsbereich von Frauen. Tabb Stuart unterstreicht, dass hier Frauenkultur beachtet wird. Schließlich Lev 15,18: Frauen als heterosexuelles Objekt.
Der Vf. macht auf die konzentrische Struktur V. 2b.16–18.19.25 aufmerksam (יכ שא ישא; יכ ישאו; רשא יוששה; יכ שיאו; יכ שיאו), die bewusst drei weibliche auf zwei männliche Fälle folgen lässt. Schließlich werden noch Lev 15,19.25–30 (Menstruation und krankhaft verlängerter Blutfluss) genannt, wobei der be­sondere Schutz der Frau während der Menstruationszeit positiv erwähnt wird.


Teil II. »Methoden« (75–110) beginnt mit einem Beitrag von W. K. Gilders »Blood as Purificant in Priestly Torah: What do we Know and How do we Know it?« (77–83). Gilders behandelt hier die Ab­schnitte Lev 14,4–7.49–53 (»Vogel-Ritus«) und 14,10–32 (»םשא- und טאתח-Ritus«). In beiden Fällen sind die Angaben des Textes sichtbar lückenhaft und die Verständnismöglichkeiten durchaus nicht eindeutig. Das gilt besonders für die Verben: רפכ pi. wäre wiederzugeben mit »entsühnen«, רהט qal. mit »rein werden«. Zum Abschluss betont Gilders ausdrücklich, wie wenig Einzelheiten wir tatsächlich über die Bedeutung des Blutritus im Alten Testament wissen.– Verwiesen sei (vgl. Anm. 1) auf Gilders’ vorangegangene Monographie »Blood Ritual in the Hebrew Bible: Meaning and Power«, Baltimore 2004, auf die er hier zurückgreift.
Am anregendsten ist der Beitrag von J. Klawans: »Methodology and Ideology in the Study of Priestly Ritual» (84–95). Er nimmt darin Ergebnisse seiner Monographie »Purity, sacrifice, and the temple. Symbolism and supersessionism in the study of ancient Judaism« (Oxford 2006) auf. Aufgerollte Fragen: 1. Sind die priesterlichen Rituale symbolisch zu verstehen? Überall, meinte Mary Douglas in »Purity and Danger« (London 1966). Selektiv, urteilte J.Milgrom. Eine selektive Auffassung hält Klawans nicht für un­möglich. Niemals, urteilt I. Gruenwald, »Rituals and Ritual Theory in Ancient Israel« (Leiden 2003). Klawans kritisiert alle diese Vorschläge als zu allgemein. Die Frage nach möglichem Symbolismus müsse speziell auf Israel bezogen werden. Das stärkste Argument für den Symbolgehalt der Rituale Israels komme von den Propheten: ihren Symbolhandlungen. Sie zeigten, dass die Propheten von der Symbolhaftigkeit von Handlungen überzeugt waren. Hinweise auf die mögliche Fragwürdigkeit des Vergleichs mit Ritualen weist Klawans zurück. Ob mit Recht, bleibt m. E. offen.

Für das Verhältnis zwischen Ritual und Ethik macht Klawans mit anderen darauf aufmerksam, dass gegenwärtige Vorstellungen von religiöser Frömmigkeit vielfach die Diskussion bestimmt haben. Deshalb sei den Propheten meist das Monopol für Ethik gegeben worden. Klawans plädiert für eine Gleichbehandlung des Priestertums in solchen Urteilen. Zur Geschichte der priesterlichen Traditionen: »the evolutionist model is inherently flawed« (93).
F. H. Gorman, »Critical Reflections on Method« (96–110), setzt sich zu­nächst am Beispiel J. Milgroms kritisch mit der heutzutage verbreiteten symbolischen Wertung der priesterlichen Rituale als den heidnischen der Umwelt grundsätzlich überlegen auseinander. Angesichts der Unausgeglichenheiten im priesterlichen Sa­kralrecht bezweifelt er, ob die Priester ein geschlossenes System schaffen wollten. Auch fragt er, ob die Priester überhaupt Regeln für die Praxis aufzeichnen wollten und nicht nur Texte zum Lesen anfertigten. – Letzteres ist sicher unzutreffend, aber die kritischen Bedenken Gormans ge­genüber ideologisch bedingten Fehlurteilen über alttestamentliche Rituale sind durchaus beachtenswert.


Bibelstellen- und Autorenregister am Schluss des Bandes (111–118) erleichtern den Überblick über den Sammelband. Im Ganzen liegt eine Sammlung von Beiträgen unterschiedlichen Wertes vor: Mehrfach bieten sie nur Zusammenfassungen von früheren monographischen Behandlungen des jeweiligen Spezialthemas aus dem Be­reich kultischer Reinheit und Reinigung.